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Niels Annen
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Frage von Steffen H. •

Frage an Niels Annen von Steffen H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Tag Herr Annen,

wie fällt die völkerrechtliche Bewertung der Bundesregierung für den türkischen Angriff aus Affrin aus? Bzw. bis wann hat das Auswärtige Amt die Bewertung abgeschlossen.

Können Sie mir erklären, warum ein vermeindlicher Völkerrechtsbruch Syriens (Giftgas Untersuchungen wurden noch nicht abgeschlossen) zu einem Völkerrechtsbruch der USA und Frankreichs (Bombardierung Syriens) führt und wie die Bundesregierung dieser Verwässerung des Völkerrechts, dass scheinbar nur beachtet wird wenn es den Staaten (West und Ost) in den Kram passt entgegenwirken will?

Vielen Dank für Ihre Zeit und freundliche Grüße
Steffen Habekuß

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Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für Ihre E-Mail, zu der ich gerne Stellung beziehe. Bevor ich allerdings auf die Entwicklungen in der Region um Afrin zu sprechen komme, möchte ich zuerst auf die Folgen des Giftgasangriffs auf Duma eingehen.

Ich betrachte die Entwicklung in Syrien mit großer Sorge. Es ist klar, dass nur eine politische Lösung in Syrien zu langfristiger Stabilität führt. Aus diesem Grund hat sich Deutschland, trotz der schwierigen Ausgangslage, in den vergangenen Jahren immer wieder für den diplomatischen Weg stark gemacht.

Wir müssen allerdings feststellen, dass die syrische Führung seit Jahren systematisch Menschenrechte verletzt und Grundsätze unserer regelbasierten Weltordnung missachtet. Chemiewaffen sind im Syrien-Krieg fast schon zur Normalität geworden, obwohl ihr Einsatz im internationalen Recht ein Kriegsverbrechen darstellt. Kaltblütig setzt die Assad-Regierung seit Jahren immer wieder Giftgas gegen die eigene Bevölkerung ein. Die Uno-Untersuchungskommission macht für 27 der seit Kriegsbeginn eindeutig nachgewiesenen Chemiewaffenangriffe das Regime verantwortlich. 113-mal ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Syrien-Frage zusammenkommen.

Zu meinem großen Bedauern ist dieser im Hinblick auf die Frage von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien durch das Agieren Russlands blockiert und war auch im Fall des Giftgasangriffs auf Duma nicht in der Lage, seine Aufgaben zu erfüllen. Die Verbrechen des Assad-Regimes zu ignorieren und stattdessen zur Tagesordnung überzugehen, stand für mich nicht zur Debatte. Ein solcher Angriff auf die Zivilbevölkerung konnte nicht folgenlos bleiben. Der begrenzte Luftschlag der USA, Frankreich und Großbritannien war daher aus meiner Sicht eine angemessene und erforderliche Antwort auf das grausame Verhalten des Assad-Regimes.

Am 21. April konnten die Experten der OPCW, der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, ihre Arbeit in Duma aufnehmen und Proben entnehmen. Diese werden derzeit in ausgewählten Laboren untersucht. Russland jedoch blockiert eine umfassende Aufklärung, in deren Rahmen auch die Verantwortlichen für den Angriff benannt werden könnten. Stattdessen sind die Experten lediglich damit beauftragt nachzuweisen, ob und mit welchen Substanzen der Chemiewaffenangriff stattgefunden hat.

Aus meiner Sicht ist nun erforderlich, dass Russland seine Blockadehaltung im UN-Sicherheitsrat beendet und damit die OPCW zur vollen und unabhängigen Aufklärung der Chemiewaffeneinsätze befähigt. Ein sogenannter „Joint Investigative Mechanism“ muss auch die Verantwortlichkeit für den Angriff klären.

Ich unterstütze ausdrücklich den von den USA, Frankreich und Großbritannien im UN-Sicherheitsrat eingebrachten Resolutions-Entwurf. Diese Friedensinitiative soll unter anderem einen uneingeschränkten und effektiven Zugang zu humanitärer Hilfe ermöglichen. Insbesondere die syrische Regierung muss hierbei in die Pflicht genommen werden.

Außerdem muss das Regime ohne Vorbedingungen und konstruktiv Verhandlungen mit den Rebellen aufnehmen, bei denen die legitimen Interessen aller Akteure und Bevölkerungsgruppen Gehör finden. Ziel dieser Gespräche sollte die Bildung einer Übergangsregierung sein, die den Weg ebnet für eine umfassende Verfassungsreform, an deren Ende freie und demokratische Wahlen stehen.

Mit Blick auf den türkischen Militäreinsatz und die Entwicklungen in Nordsyrien insbesondere in der Region um Afrin haben sich die Bundeskanzlerin und Außenminister Heiko Maas im Deutschen Bundestag deutlich geäußert. Die Bundesregierung hat erhebliche Zweifel am Ausmaß der türkischen Militäraktion. Was immer die Türkei unternimmt, es muss sich im Rahmen des Verhältnismäßigen bewegen. Das humanitäre Völkerrecht und der Schutz der Zivilbevölkerung haben oberste Priorität. Außenminister Maas hat in der Vergangenheit bereits betont, dass eine dauerhafte Besetzung Afrins eine neue Qualität hätte und erhebliche Zweifel an der Völkerrechtsmäßigkeit des türkischen Vorgehens begründen würde.

Dabei stehen die berechtigten Sicherheitsinteressen in Bezug auf die Sicherheit ihrer Staatsgrenzen außer Frage. Gleichzeitig aber muss die territoriale Integrität Syriens gewahrt bleiben. Es sind durchaus Zweifel angebracht, ob das militärische Vorgehen in Nordsyrien die Sicherheit der Türkei wirklich nachhaltig stärken wird. So droht der Kurdenkonflikt immer weiter zu eskalieren und dies hat nicht nur negative Folgen für das Land sondern für die gesamte Region. Durch die Intervention ist eine neue militärische Konfliktlinie entstanden, bei der die ohnehin geschundene Zivilbevölkerung erneut zwischen die Fronten gerät.

Um den Druck auf die türkischen Verantwortlichen aufrechtzuerhalten, nutzen wir sowohl auf bilateraler als auch auf multilateraler Ebene unsere Gesprächskanäle zur Türkei. Die Bundesregierung hat der türkischen Regierung bei Gesprächen ihrer Haltung Nachdruck verliehen, dass die Militärpräsenz so schnell wie möglich zu beenden sei. Gleichzeitig unterstützen wir die Bestrebungen Verwaltungsstrukturen aufzubauen und einen eigenständigen Stadtrat in Afrin einzusetzen. Ich begrüße es, dass die Türkei den lokalen Akteuren hierbei Mitsprache einräumt. Nur so kann die Region langfristig stabilisiert werden.

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen und meinen Standpunkt in Bezug auf die Giftgasangriffe in Syrien und die türkische Militärpräsenz in der Region um Afrin darlegen konnte.

Mit freundlichen Grüßen
Niels Annen

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