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Martina Stamm-Fibich
SPD
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Frage von Anne L. •

Frage an Martina Stamm-Fibich von Anne L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Stamm-Fibich,

wie steht denn die SPD zu den Vorkommnissen und zur Unterstützung der kriminellen Vorgehensweisen der lybischen Küstenwache mit Unterstützung der EU?

https://www.facebook.com/seawatchprojekt/videos/1945788685639203/?hc_ref=ARTQZVoFFukxxEis4VTqooaGiMem0IzLwrzyTfkbJEemv3ra7TvVrOGoKGTfTHzaTA4&pnref=story

Mfg

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau L.,

vielen Dank für Ihre Frage!

Aus Libyen erreichen uns leider immer wieder Nachrichten von Menschenrechtsverletzungen und humanitären Notlagen in die vor allem Menschen auf der Flucht vor Not, Elend und Krieg geraten. Sie sind selbstverständlich niemals hinnehmbar und gehören strafrechtlich verfolgt, öffentlich kritisiert und politisch bekämpft. Bezüglich der Meldungen über Angriffe der libyschen Küstenwache auf Schiffe von Flüchtlingshelferinnen und –helfern in internationalen Gewässern stimme ich insofern der Kritik des stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden Ralf Stegner zu. Ich halte es für richtig, dass die Europäische Union die libysche Einheitsregierung dabei unterstützt stabile staatliche Strukturen im Land aufzubauen. Solche rechtswidrigen Angriffe darf sie und dürfen wir aber nicht hinnehmen.

Eine einfache Antwort auf die komplexe Lage in Libyen insgesamt kann es aber nicht geben. Die Lage ist sehr unübersichtlich und oft ist unklar, welche Akteure in Libyen handeln. Im April 2015 hat die Europäische Union die Militärmission EUNAVFOR MED Operation Sophia im Mittelmeer ins Leben gerufen. An der EU-Mission sind auch deutsche Soldatinnen und Soldaten – mit einem Mandat des Deutschen Bundestages ausgestattet - beteiligt. Neben Deutschland beteiligen sich Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien und Slowenien an dieser Mission. Die SPD-Bundestagsfraktion hat EUNAVFOR MED in der Vergangenheit immer unterstützt. Denn mit der Operation soll das Geschäftsmodell der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer unterbunden und Seenotrettung betrieben werden. Ob das auch für die Zukunft gelten kann, hängt auch vom Umgang der libyschen Einheitsregierung mit den dokumentierten Rechtsverletzungen ab. Denn eine weitere wichtige Aufgabe von EUNAVFOR MED ist es die Fähigkeiten der libyschen Küstenwache auf- und auszubauen. Italien und die Europäische Union unterstützen die offizielle, also der libyschen Einheitsregierung unterstehende, Küstenwache mit Ausrüstung und Ausbildung. Zu den Schwerpunkten der Ausbildung gehören unter anderem die Vermittlung von Kenntnissen in den Bereichen Such- und Rettungsdienste, Seemannschaft, Funk und Sprachausbildung, Erste Hilfe, humanitäres Völkerrecht, Menschenrechte und Seerecht.

2017 hat die libysche Küstenwache bereits weit über 10.000 Menschen das Leben gerettet. Diese Menschen werden an einer von etwa einem Dutzend Stellen an der libyschen Küste angelandet und dort unter anderem vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration IOM erstversorgt. Anschließend werden sie in sogenannte staatliche „Detention Centres“, also Auffanglager, gebracht. Die Zustände dort sind durch inhumane Unterkunftsbedingungen gekennzeichnet. Mittlerweile sind in diesen Lagern bis zu 19.000 Menschen interniert. Regelmäßige schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in diesen Zentren sind in einem Bericht der United Nations Support Mission in Libya (UNSMIL) und des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) dokumentiert.

Die Bundesregierung unterstützt die Aktivitäten der IOM und des UNHCR zur Verbesserung der humanitären Situation vor Ort auch finanziell. Im August 2017 hat die Bundesregierung beiden Organisationen bis zu 50 Millionen Euro zusätzlich für den Ausbau des Schutzes und der Versorgung von Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchteten in Aussicht gestellt. Die Bundesregierung mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel spricht gegenüber der libyschen Einheitsregierung regelmäßig an, dass sie die Verantwortung dafür trägt, eine menschenwürdige Behandlung von Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchteten sicherzustellen. Sie fordert insbesondere die Einrichtung offener Unterbringungen für diese Menschen. Die Bundesregierung weist in bilateralen und multilateralen Gesprächen mit hochrangigen libyschen Vertretern regelmäßig auf die Einhaltung von rechtlichen Verpflichtungen und internationalen Standards hin.

Neben der offiziellen Küstenwache gibt es in Libyen aber auch Milizen, die nicht der Einheitsregierung unterstellt sind, sich aber selbst als Küstenwache bezeichnen. Milizen und Schleuser unterhalten zudem eine unbekannte Anzahl von Privatgefängnissen, in denen Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten unter anderem sexuell ausgebeutet sowie zur Zwangsarbeit gezwungen und zur Erpressung von Lösegeldern festgehalten werden. IOM und UNHCR haben hier keinen Zugang.

Wie Sie sehen ist die Situation insgesamt trotz aller Bemühungen auch der Bundesregierung sehr schlecht. Dazu tragen insbesondere die politische Instabilität Libyens und die teilweise Machtlosigkeit der Einheitsregierung als Folgeerscheinungen des Bürgerkriegs bei. Klar ist, dass Rechtsbrüche – egal ob von offiziellen Stellen oder irregulären Milizen begangen – aufgeklärt, soweit möglich rechtlich geahndet und politisch kritisiert werden müssen.
Die Herausforderung ist der Spagat zwischen der Unterstützung beim Aufbau staatlicher Strukturen in Libyen und dem nötigen politischen Druck um auf die Einhaltung von geltendem Recht zu pochen. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat am 15. November bekräftigt, dass er aktuell keine Alternative zur Unterstützung der offiziellen libyschen Küstenwache sieht. Ein Abrücken von der Unterstützung der Küstenwache des Bürgerkriegslandes würde bedeuten, dass wieder tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken. Und auch für diese Menschen haben wir eine Verantwortung.

Ich hoffe Ihnen mit meiner Antwort geholfen zu haben. Für Rückfragen stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Martina Stamm-Fibich

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