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Martin-Sebastian Abel
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Frage von Jens K. •

Frage an Martin-Sebastian Abel von Jens K. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Hallo Herr Abel,

wenn Sie gegen eine Schuldenbremse sind, welches ist Ihr Rezept, um die Kommunen auf eine sichere wirtschaftliche Basis zu stellen? Und falls das auf eigene Steuerhoheit (in Teilen) hinausläuft, wie soll dann sichergestellt werden, dass die Belastung der Bürger dabei nicht zu stark zunimmt.

Beste Grüße,
Jens Kellersmann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kellersmann,

Vielen Dank für Ihr Interesse an meinen Positionen.

Erlauben Sie mir vorweg eine Erläuterung zur jetzigen Situation der Kommunen, damit Sie meine Position zur Schuldenbremse richtig einordnen können:

Die NRW-Kommunen befinden sich in einer katastrophalen Lage: gerade einmal 39 von 427 Städten und Gemeinden verfügen über einen strukturell ausgeglichenen Haushalt, das sind nur noch knapp 10 % der NRW-Kommunen. Alleine in der Zeit von Mitte 2005 bis Ende 2009 stiegen die kommunalen Kassenkredite in NRW um rund 70% von 10,2 auf rund 17,7 Milliarden Euro. Die NRW-Kommunen haben damit über die Hälfte der bundesweiten Kassenkredite aufgenommen!

Das Land hat unter der schwarz-gelben Landesregierung in den vergangenen Jahren massiv zu Lasten der Städte und Gemeinden gespart oder Lasten ohne entsprechenden Ausgleich verschoben. Allein in den Jahren 2005 bis 2009 hat NRW rund 18 Milliarden Euro Steuern mehr eingenommen als im Vergleichszeitraum 2000 bis 2004 und den Städten und Gemeinden somit über 4 Milliarden Euro vorenthalten. Das Land hat unter anderem den Anteil der Kommunen an der Grunderwerbsteuer gestrichen, dafür beteiligt es aber die Städte und Gemeinden doppelt so hoch an den Krankenhausinvestitionen, und leitet die Bundesbeteiligung an den Kosten des Wohngeldes nicht an die Kommunen durch. Genauso enthält das Land den Kommunen die Kostenbeteiligung des Bundes an den Betriebskosten der U 3 - Betreuungsplätzen vor und es hat die Beteiligung an den Elternbeiträgen für Kindertagesstätten gestrichen. Ferner kommen Kürzungen bei der Schülerbeförderung, der Weiterbildung und in verschiedenen anderen Bereichen der Kommunen hinzu.

Die frustrierende Tagesordnung vieler Kommunen in NRW sind die Diskussionen und Kämpfe, wo der Rotstift angesetzt werden soll und wo nicht: Theater schließen, Stellen streichen, auch leistungsfähige Beschäftige nicht mehr befördern.

Kurzum: die meisten Städte und Gemeinde haben einfach keine vernünftige Basis! Eine Schuldenbremse würde lediglich dafür sorgen, dass das Land weitere Aufgaben an die Kommunen abgibt, ohne einen finanziellen Ausgleich zu garantieren.

Statt aber zumindest ansatzweise eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu betreiben, wollen CDU und FDP diese noch weiter ins Schleudern bringen. Nach der Verabschiedung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, das das Land Nordrhein-Westfalen nach Angaben des Ministerpräsidenten jährlich mit 885 Millionen Euro belastet, sollen weitere Steuersenkungen vorgenommen werden. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP auf Bundesebene, der in der Landesvertretung NRWs in Berlin unter intensiver Mitwirkung des noch amtierenden Ministerpräsidenten und seines noch amtierenden Stellvertreters ausgehandelt wurde, sind weitere Entlastungraten von 17 Milliarden Euro vorgesehen. Allein dies würde den Landeshaushalt und die Kommunen in NRW mit mindestens 1,7 - 2 Milliarden Euro belasten. Sollte ein echter Stufentarif nach dem Vorbild der FDP eingeführt werden, würde dies die öffentlichen Kassen nach Angaben des Bundesfinanzministeriums gar 67 Milliarden Euro kosten. Dann würden die Haushalte in NRW mit mehr als sechs Milliarden Euro jährlich mehr belastet.

Angesichts derartiger Haushaltsentwicklungen, die die Verschuldung des Landeshaushalts weit in die zweistellige Milliardenhöhe treiben würde, kann wohl kaum von einer Schuldenbremse, als vielmehr von einer Schuldenlawine gesprochen werden.

Die kommunalen Spitzenverbände haben in den Anhörungen mehr als deutlich gemacht, dass sie die Gefahr sehen, dass entsprechende Lasten auf die Städte und Gemeinden verlagert werden könnten.

Ich will die Kommunen vor weiteren Eingriffen bewahren, denn die würden besonders die Bürgerinnen und Bürger belasten. Nur Reiche können sich eine arme Kommune leisten.

Deswegen muss erst geregelt werden, wie die Kommunen überhaupt auf wieder einen Fuß auf den Boden bekommen können, bevor wir mit gut gemeinten Maßnahmen dafür sorgen, dass immer mehr Einrichtungen geschlossen werden. Wir Grünen wollen das durch einen Altschuldenfond gewährleisten. Weitere Informationen dazu finden Sie in unserem Grünen Zukunftsplan: http://www.gruene-nrw.de

Ich bin nicht grundsätzlich gegen das Instrument einer Schuldenbremse und indirekt haben wir ja in der Europäischen Union bereits eine geltende Regelung: im Stabilitätspakt der EU haben sich alle Mitgliedsländer zu einer Neuverschuldung von max. 3% des BIP und einem max. Schuldenstand von 60% des BIP verpflichtet. Diese supranationale Maßnahme finde ich sinnvoll. Allerdings kritisiere ich daran, dass es keine qualitative Betrachtung der Haushalte gibt. Ich würde zum Beispiel für mehr Investitionen und Ausgaben in Bildung auch eine Neuverschuldung in Kauf nehmen, wenn es im Haushalt keine Stellen mehr für den Rotstift geben sollte.

Aufgrund der brisanten Situation unserer Kommunen und den beschriebenen Gefahren, bin ich in der konkreten Ausgestaltung aber dagegen.

Mit freundlichen Grüßen

Martin-Sebastian Abel