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Martin Gerster
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Frage von Daniel D. •

Frage an Martin Gerster von Daniel D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Gerster,

wie stehen sie zum "Lissaboner Vertrag"?
Es gibt Einige in diesem Land welche sich sehr viele Gedanken machen bezüglich des Lissaboner Vertrag! Warum ist es z.B. möglich daß eine Abstimmung wie sie in Irland mit "Nein" zum Lissaboner Vertrag beantwortet wurde nicht im Demokratischem Sinne auch so aktzeptiert wird? Viele Menschen sehen die Gefahr daß durch ein Lissaboner Vertrag die Autonomie und dessen Grundgesetzt eines jeden europäischen Landes ausser Kraft gesetzt wird! Ich beziehe mich speziell auf einen Artikel im Lissaboner Vertrag welcher bei Demonstrationen den Schießbefehl rechtfertigt und fördert! Soetwas findet man im Deutschen Grundgesetzt nicht!

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Dreier,

für Ihre Frage bedanke ich mich herzlich. Auch wenn Sie mich zwischenzeitlich gebeten hatten, von einer Beantwortung abzusehen, habe ich mich dazu entschlossen, dennoch zu antworten. Schon allein, um Ihnen auf diesem Wege zu versichern, dass Ihre Bedenken, die mir das Abgeordnetenwatch-Moderatorenteam zur Kenntnis gebracht hat, völlig unbegründet sind.

Zunächst einmal möchte ich meine Ansicht nochmals bekräftigen, dass der Lissabonner-Vertrag eine sinnvolle und notwendige Fortentwicklung der EU-Strukturen darstellt. Zur Vertiefung der staatenübergreifenden Zusammenarbeit, wie sie sich im europäischen Integrationsprozess entwickelt hat, sehe ich angesichts der wachsenden Zahl globaler Herausforderungen keine Alternativen.

Was das irische „Nein“ zum Vertrag angeht, denke ich, dass man sich genau ansehen muss, warum es dazu kam und welche Schlüsse die Politik daraus ziehen sollte. Aus der Ablehnung ein kategorisches „Nein zu Europa“ herauszulesen, wäre zu einfach. Ich denke vielmehr, dass hinter dem Ergebnis des irischen Volksentscheids die Wahrnehmung steht, der auf dem Weg zu einer besseren europäischen Integration eingeschlagene Weg sei fragwürdig. Das zweite Referendum, das voraussichtlich im Oktober dieses Jahres ansteht, wird zeigen, ob es zwischenzeitlich gelungen ist, die irischen Bedenken gegen die Reform auszuräumen.

Hier gibt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wie ich bereits im Zusammenhang mit einer anderen Frage dargelegt habe, eine Richtung vor, die ich inhaltlich ausdrücklich begrüße. Schließlich werden die Rechte unseres nationalen Parlaments gestärkt, was sicherlich auch eine Signalwirkung für andere Mitgliedstaaten haben dürfte.

Was die Diskussion zum angeblich durch den Vertrag gedeckten „Schießbefehl“ angeht, handelt es sich um eine aus der Luft gegriffene Konstruktion, die - so weit mir bekannt - eigentlich nur von Prof. Karl Albrecht Schachtschneider vertreten wird. Seine Thesen genießen in verschwörungstheoretischen und europaskeptischen Kreisen am rechten Rand große Beliebtheit, weshalb man von ihm hauptsächlich auf obskuren Plattformen wie „secret.tv“ oder aus der“ Jungen Freiheit“ hört bzw. liest. Im September 2005 wurde Schachtschneider von der sächsischen NPD-Landtagsfraktion zu einem Expertenhearing im Landtag eingeladen, im Januar 2009 war er Referent auf einem Kongress der rechtspopulistischen FPÖ in Wien und hielt im März dieses Jahres einen Vortrag bei der vom Verfassungsschutz beobachteten Vereinigung „Pro-Köln“. 2006 erklärte Herr Schachtschneider auf der II. „Bielefelder Ideenwerkstatt“ der politisch einschlägigen Burschenschaft Normannia-Nibelungen zu Bielefeld: „Deutschland ist kein Rechtsstaat und keine Demokratie.“ (Quelle: http://www.bnr.de/content/auf-rechten-abwegen, blick-nach-rechts: Ausgabe 6/2009).

Den Aussagen eines Staatsrechtlers, der sich durch seine zahlreichen Kontakte zur extremen Rechten so randständig verortet, stehe ich mit entsprechender Skepsis gegenüber. Der Teilerfolg der - von Schachtschneider als Verfahrensbevollmächtigem mitgetragenen - Klage beim BVerfG ändert daran nichts.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Gerster

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