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Frage von Pascal H. •

Frage an Martin Dörmann von Pascal H. bezüglich Jugend

Sehr geehrter Herr Dörmann,

die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Legalisierung der medizinisch nicht unbedingt notwendigen Entfernung der Vorhaut von nicht einwilligungsfähigen Jungen vorlegt, der den Eltern kaum Schranken für die operative Gestaltung des Genitalbereichs ihrer Söhne setzt.

Mit Drucksache 17/11430 wurde ein Gegenentwurf vorlegt, der für diese Art des Eingriffs ein Schutzalter von 14 Jahren vorsieht. Dieser Entwurf reiht sich nach meinem Verständnis ein in die sonst geltende Jugendschutzgesetzgebung wie sie auch für Piercings und Tätowierungen besteht.

Für welchen Entwurf werden Sie stimmen?

Für Ihre Antwort bedanke ich mich im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen

Pascal Hoven

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Hoven,
vielen Dank für Ihre Frage.

Der Deutsche Bundestag hat am 12. Dezember 2012 den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes (Drucksache 17/11295) mit einer breiten fraktionsübergreifenden Mehrheit verabschiedet.

Ich habe dem Gesetzentwurf am Ende zugestimmt, auch wenn ich mir noch Änderungen hierzu gewünscht hätte. Leider fanden entsprechende von mir unterstützte Änderungsanträge keine Mehrheit.

Mit dem Gesetz wird ermöglicht, dass auch in Zukunft bei religiös motivierten Beschneidungen von Kindern weder Ärzte noch Eltern mit einer Strafverfolgung rechnen müssen, soweit sie sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. Zu den im Gesetz geregelten Anforderungen gehört, dass die Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll, zudem darf durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl nicht gefährdet werden. Außerdem ist geregelt, dass in den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes die Beschneidung auch von einer Person durchgeführt werden kann, die von einer Religionsgemeinschaft dafür vorgesehen ist, soweit sie dafür besonders ausgebildet ist und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt ist.

Die Alternative zu dieser gesetzlichen Regelung wäre im Falle einer Ablehnung gewesen, dass zukünftig sowohl Eltern als auch Ärzte sich dem Risiko ausgesetzt sähen, im Falle einer Beschneidung strafrechtlich verfolgt zu werden. Hintergrund hierfür ist ein Urteil der Strafkammer des Landgerichts Köln, durch das erhebliche Rechtsunsicherheit entstanden ist. Bislang war es nämlich so, dass Betroffene nicht von einer Strafbarkeit ausgehen mussten.
Gerne möchte ich Ihnen meine Beweggründe für die Zustimmung zum Gesetzentwurf erläutern. Ich will dabei vorweg schicken, dass ich hohen Respekt vor all denen habe, die eine Beschneidung, die ja einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes darstellt, ganz grundsätzlich ablehnen und auch nicht durch das Sorgerecht der Eltern oder die Freiheit der Religionsausübung eingeschränkt sehen möchten. In dieser Frage komme ich persönlich jedoch unter Abwägung aller Argumente zu einem anderen Schluss.

Gerade die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in den vergangenen Monaten besonders intensiv mit allen Pro- und Contra-Argumenten auseinandergesetzt. Neben der Anhörung im zuständigen Bundestagsausschuss gab es auch eine fraktionsinterne zusätzliche Anhörung sowie zahlreiche weitere Gesprächstermine, in denen wir uns ein Bild über die medizinischen und religiösen Hintergründe der Beschneidung ausführlich informiert haben.

Aus all diesen Informationen habe ich den Entschluss gezogen, dass Eltern (und Ärzte), die eine Beschneidung aus religiösen Gründen durchführen, nicht der pauschale Vorwurf gemacht werden kann, sie wollten hierdurch das Kindeswohl beeinträchtigen. Vielmehr ist es so, dass dem Kind eine vollwertige Teilnahme am religiösen Leben ermöglicht werden soll. So ist für den jüdischen Glauben die Beschneidung von Jungen um den 8. Tag ihres Lebens schlechthin konstituierend für den Bund mit Gott. Den Eingriff erst ab 14 Jahren durchführen zu können, wie es manche fordern, würde diesen Erfordernissen nicht entsprechen. Allerdings gibt es von diesem Grundsatz durchaus Ausnahmen, insbesondere wenn durch die Beschneidung die Gesundheit des Kindes in besonderer Weise gefährdet wäre.

Von daher habe ich Vertrauen darin und gehe davon aus, dass Eltern ihre elterliche Sorgfaltspflicht verantwortungsvoll wahrnehmen. Würde man eine religiös motivierte Beschneidung grundsätzlich bestrafen, würde dies insbesondere bei Menschen jüdischen Glaubens dazu führen, dass sie vor der Alternative stünden, entweder Deutschland zu verlassen oder aber die Beschneidung insgeheim bzw. im Ausland vornehmen zu lassen, und zwar gegebenenfalls auch ohne Hinzuziehung eines Arztes. Alle Alternativen hielte ich auch unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls für äußerst bedenklich.

Zu berücksichtigen ist aus meiner Sicht ferner, dass das Beschneidungsritual im Falle des Judentums bereits seit vielen tausend Jahren durchgeführt wird und auch in den über 60 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland nicht grundsätzlich infrage gestellt wurde. Eine plötzliche Strafbarkeit würde bei vielen Menschen, nicht nur solchen jüdischen oder muslimischen Glaubens, auf Unverständnis stoßen, zumal Deutschland das einzige Land mit einer solch restriktiven Regelung wäre.

Selbstverständlich respektiere ich jeden, der unter Abwägung aller Umstände zu anderen Schlussfolgerungen kommt als ich. Man sollte allgemein anerkennen, dass es sich um eine sehr schwerwiegende grundsätzliche Frage handelt, mit guten Argumenten in die eine oder andere Richtung. Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn ebenfalls diejenigen, die eine religiöse Beschneidung gerne unter Strafe gesetzt sehen wollen, sowohl die Entscheidung des Bundestages als auch die Integrität der betroffenen Eltern respektieren.

Ich selbst würde mir aber auch wünschen, wenn innerhalb der betroffenen Religionsgemeinschaften die Diskussion der letzten Monate dazu führen würde, das Ritual der religiösen Beschneidung in eine Richtung weiterzuentwickeln, die den geringstmöglichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Kindern bedeuten würde.

Wenn diese Diskussion im gegenseitigen Respekt geführt wird, bin ich zuversichtlich, dass die Debatte sowohl dem Kindeswohl als auch dem religiösen Leben in Deutschland genutzt und nicht geschadet hat.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Dörmann, MdB