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Frage von Anna H. •

Frage an Martin Dörmann von Anna H. bezüglich Kultur

Herr Dormann,

bitte um Beantwortung der folgenden Frage:

Es gibt die Diskussion um die Errichtung des Museums gegen Vertreibung in Berlin. Sind Sie für oder gegen das Museum ?

Danke.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Hohenstein,

vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte. Bitte entschuldigen Sie, dass die Beantwortung wegen der zahlreichen aktuellen Anfragen - nicht nur in diesem Forum - ein paar Tage gedauert hat.

Zu Ihrer Frage ob ich /für /oder /gegen /ein sog. "Zentrum gegen Vertreibung" bin, möchte ich zunächst anmerken, dass ich - wie übrigens alle relevanten politischen und gesellschaftlichen Kräfte - das Gedenken an die Opfer von Vertreibungen und "ethnischen Säuberungen" für wichtig und notwendig erachte. Das betrifft selbstverständlich auch die deutschen Opfer von Vertreibungen.

Auf der anderen Seite ist dies aber ein politisch hochsensibles Thema, weil unsere Nachbarn zu Recht von uns erwarten, dass wir auch den Vertreibungen in den anderen europäischen Ländern, die durch Hitler-Deutschland gelitten haben, berücksichtigen.

Wichtig ist deshalb, dass ein Gedenken im europäischen Kontext geschieht. Schon im Juli 2002 hat der Deutsche Bundestag auf Antrag der Bundestagsfraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossen: "Ein solches Projekt ist eine europäische Aufgabe und braucht zu seiner Verwirklichung europäische Partner, die auch in die Trägerschaft einbezogen werden. An der Ausarbeitung sollten Persönlichkeiten aus europäischen Ländern, die in ihrer Geschichte von Vertreibungen betroffen waren oder sind, beteiligt werden. Über Konzept und Ort einer solchen Einrichtung muss in europäischer Zusammenarbeit beraten und entschieden werden."

Ein allein deutsches Zentrum anstelle eines europäischen Ansatzes birgt die Gefahr des Missverständnisses. Das haben die Reaktionen, vor allem in Polen, in der Vergangenheit gezeigt. Das vergangene Jahrhundert war durch Kriege und Vertreibungen in Europa geprägt. Es ist eine gemeinsame oder eine miteinander verflochtene Geschichte, die gemeinsam aufgearbeitet werden muss. Dass ein großes Bedürfnis für eine gemeinsame Aufarbeitung dieses schwierigen Teils europäischer Geschichte existiert, zeigte ein Aufruf des SPD-Bundestagsabgeordneten Markus Meckel im Juli 2003, den mehr als 120 Persönlichkeiten aus Deutschland, Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Ungarn unterstützten.

Die "Danziger Erklärung" der beiden Präsidenten Rau und Kwasniewski vom Oktober 2003, in der zu einem "ehrlichen Dialog" über die Leiden der Vergangenheit aufgerufen wurde, zeigte die richtige Richtung. Die Kulturminister Deutschlands, Polens, Ungarns und der Slowakei haben sich im Februar 2005 deshalb darauf verständigt ein "Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität" zu schaffen, das auch für andere Staaten offen ist und an dessen Ausgestaltung derzeit gearbeitet wird. Dieses Netzwerk sollte offen gestaltet und für die Beteiligung weiterer Länder grundsätzlich geöffnet bleiben, zumal auch andere Länder wie beispielsweise Russland, die Ukraine und Litauen Interesse an einer Mitarbeit signalisiert haben. Thematisch soll sich das Netzwerk nicht nur mit dem Thema der Vertreibungen befassen, sondern auch mit den Folgen totalitärer Diktaturen, dem Leiden der Zivilbevölkerung als Opfer von Kriegen und nationalistisch, rassistisch und ideologisch motivierter Repression. Von deutscher Seite werden sich zivilgesellschaftliche und öffentlich geförderte Institutionen sowohl an der wissenschaftlichen Aufarbeitung als auch der Breitenarbeit (Ausstellungen, Dokumentationen, Konferenzen, Veröffentlichungen, u.a.) des Netzwerkes beteiligen. In ihrem Wahlprogramm kündigt die CDU/CSU dagegen an, "im Geiste der Versöhnung, mit dem "Zentrum gegen Vertreibung" in Berlin ein "Zeichen" setzen zu wollen. Dieses "Zeichen" bringt nach meiner Auffassung allerdings keine Versöhnung, sondern führt abermals zu einer schweren Belastung, etwa der deutsch-polnischen Beziehungen. Die CDU/CSU sollte sich daher endlich zu einer europäischen Lösung entscheiden - wenn ihr an der europäischen Einigung wirklich liegt. Nicht zuletzt hatte Frau Merkel beim "Tag der Heimat" am 6. August für eben jenes Zentrum plädiert und zugleich die "Ideen, Vertreibungszentren in verschiedenen Städten Europas zu errichten - in Breslau, in Sarajewo, in Eriwan beispielsweise - als Orte jeweils eigener nationaler Erinnerung über unvergleichbare Verbrechen der europäische Vertreibung". Jeder kümmert sich dann um seine Eigene Geschichte. Das kann meiner Meinung nach aber nicht der richtige Ansatz in einem friedlichen, zusammenwachsenden Europa sein. Darüber hinaus gibt es in Deutschland 15 bedeutende Einrichtungen zur Geschichte der Vertriebenen, die aus dem Etat der Kulturstaatsministerin Weiss gefördert werden, darunter sieben Museen. In diesem Jahr erhalten diese Einrichtungen rd. 15 Millionen Euro. Warum fordern dann das CDU-Bundestagsabgeordnete und Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) Frau Steinbach und Frau Merkel noch jenes "Zentrum", dass uns im neuen, erweiterten Europa bereits so viel Vertrauen gekostet hat?

Aus den oben aufgeführte Gründen, bin ich der Überzeugung, dass nur die Gründung des "Europäischen Netzwerkes Erinnerung und Solidarität" der erste und richtige Schritt für eine Aufarbeitung der Themen Vertreibung und Zwangsmigration darstellen kann. Es bietet aufgrund seiner Struktur die Möglichkeit der Mitarbeit sowohl für andere Länder als auch für verschiedene Initiativen.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Dörmann, MdB