Portrait von Marina Schuster
Marina Schuster
FDP
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Marina Schuster zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Charly H. •

Frage an Marina Schuster von Charly H. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Schuster,

In Berlin demonstriert seit einigen Wochen eine Gruppe Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor. Sie haben zuvor einen Fußmarsch über 600 Kilometer, der in Würzburg startete, auf sich genommen und bewusst ihre Residenzpflicht verletzt und damit ihre Abschiebung riskiert, um auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen.

Asylbewerber flüchten aus teils schwierigsten Verhältnissen, Kriegen, politischer oder ethnischer Verfolgung nach Deutschland. Der Umgang des deutschen Staates mit diesen Menschen ist meines Erachtens nicht dem Selbstverständnis einer freiheitlichen, pluralistischen und sozialen Demokratie genügend. Zu kritisieren sind die materielle Versorgung, der Mangel an Anwälten und Dolmetschern für die Asylverfahren, die Dauer der Asylverfahren, auch durch Kettenduldung, Abschiebehaft für Menschen in schwacher Verfassung über einen teils langen Zeitraum, das Arbeitsverbot mit nachfolgendem Nachrang, die nicht zeitgemäße Residenzpflicht, die Sammellager an der Peripherie von Städten, bürokratische Hürden, die z.B. die Aufnahme eines Studiums erschweren.

Die Flüchtlingszahlen in Deutschland sind lange Zeit rückläufig gewesen, stehen auch heute in keinem Vergleich zu denen der 90er-Jahre und stellen erst recht keine Bedrohung für die ökonomische Stabilität oder den sozialen Friedens Deutschlands dar. Deutschland ist das bevölkerungsstärkste Land Europas und eines mit weitverbreitetem Wohlstand, und die pro Kopf getragene Last ist in unserem Land bei Weitem nicht die größte in Europa.

Die Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor sind inzwischen bei Eiseskälte ein zweites Mal in den Hungerstreik getreten, da sie sich von politischen Entscheidungsträgern nicht gehört fühlen.

Ich möchte daher gerne wissen, ob Sie mit Asylbewerbern am Brandenburger Tor oder anderswo in den Dialog getreten sind oder treten wollen und was Sie beabsichtigen, um die Lage der Asylbewerber in Deutschland zu verbessern.

Mit freundlichen Grüßen

Charly Heberer

Portrait von Marina Schuster
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Heberer,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die mir Gelegenheit gibt, zu einem sehr wichtigen Thema Stellung zu nehmen.

Ihre Frage kann ich mit JA beantworten: In der vergangenen Woche habe ich im Rahmen eines Termins mit dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages Vertreter der Flüchtlinge vom Brandenburger Tor getroffen. Zudem habe ich Ende Oktober die Zentrale Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Zirndorf (Landkreis Fürth) besucht, um mir selbst ein Bild der Lage zu machen. Und mein Eindruck lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Zustände waren wirklich schlimm. Die Gebäude waren schlichtweg heillos überfüllt. In beheizten Zelten mit Feldbetten und in Garagen mit Stockbetten waren die Asylbewerber in nicht tragbaren Zuständen untergebracht. Dixi-Toiletten wurden aufgestellt. Insgesamt waren zum Zeitpunkt meines Ortsbesuches 969 Personen (auch in zwei Außenstellen) untergebracht, normalerweise sind es etwa 400. Der Presse haben ich entnommen, dass nun glücklicherweise mehr Landkreise und Gemeinden bereit waren, Asylbewerber aufzunehmen, so dass die Zahl auf etwa 530 gesunken ist (siehe: http://www.br.de/franken/inhalt/aktuelles-aus-franken/asylbewerber-zirndorf-ueberlastung-100.html ).

Gleichwohl: Wir wissen schon jetzt, dass die Flüchtlingszahlen gerade über den Winter weiter steigen werden, aus Syrien oder Afghanistan, aber auch anderen Ländern. Mein Appell geht da-her auch weiterhin an die Landkreise mit ihren Gemeinden: wir brauchen in den Landkreisen mehr Unterkünfte, am besten mit geeigneter Infrastruktur (z.B. Bus, Arzt, Supermarkt). Denn die Zirndorfer Aufnahmeeinrichtung kann schnell wieder an ihre Kapazitätsgrenzen kommen, wenn nicht überall in Bayern geeignete Unterkünfte gefunden werden.

Sie haben auch vollkommen recht: Deutschland hat in der Vergangenheit zum Teil doppelt so viele Flüchtlinge aufgenommen. Wir haben gemeinsam unsere Solidarität gezeigt, sei es während der Balkankriege in den 90ern oder bei Christen im Irak. In den 90ern Jahren kamen pro Jahr je über 100 000 Asylbewerber nach Deutschland, 2011 waren es 45.741. (Über meinen Besuch habe ich übrigens einen Leserbrief verfasst, der im Hilpoltsteiner Kurier veröffentlicht wurde: http://www.donaukurier.de/lokales/hilpoltstein/leserbriefe/art75645,2675958 ).

Die Verbesserung der Situation von Asylbewerbern betrifft verschiedene Ebenen (Europa, Bund, Land, Landkreise und Kommunen) und verschiedene, inhaltliche Punkte.

1. Zum Arbeitsverbot und zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Auf Druck der FDP wurde die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber zum Zwecke der Ausbildung, des Schulbesuchs und des Studiums bereits gelockert. Die Bundesverfassungsgericht hat darüberhinaus erst im Juli dieses Jahres entschieden, dass Asylbewerber mehr Geld bekommen müssen, weil die bisherige Regelung gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstoße. Das Urteil bestätigt uns in der Auffassung, dass es Aufgabe der deutschen Politik ist, Asylbewerbern ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Neben der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gehört aus unserer Sicht auch eine Arbeitserlaubnis dazu. Die FDP-Bundestagsfraktion hat das Urteil begrüßt und hat zudem die Aufhebung des Arbeitsverbots gefordert. (Siehe: http://www.n24.de/news/newsitem_8075852.html ) Asylbewerber in meiner Heimatstadt Greding haben beispielsweise auch den ausdrücklichen Wunsch geäußert, arbeiten zu dürfen.

2. Zur Residenzpflicht und zur Situation in Bayern:
Die Situation der Asylbewerber war vor Regierungsantritt der FDP in Bayern unhaltbar. Die FDP hat deshalb im Interesse der Menschlichkeit dem Koalitionspartner CSU einige Verbesserungen abgerungen. So konnten wir bereits 2010 als FDP erreichen, dass die Residenzpflicht gelockert wird. Damit wurde die Bewegungsfreiheit für Asylbewerber auf den gesamten Regierungsbezirk und die angrenzenden Landkreise benachbarter Regierungsbezirke ausgeweitet. Früher durften sich Flüchtlinge nur in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt bewegen. Im Sommer 2010 konnte die FDP außerdem auf Verbesserungen für Familien und Alleinerziehende drängen: So endet künftig die Gemeinschaftsunterkunftspflichtigkeit für Familien sowie Allein-erziehende mit Kindern bereits nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens, wenn und so-bald ein rechtliches oder faktisches Ausweisungs- oder Abschiebungshindernis besteht. (Siehe: http://www1.bayern.landtag.de/ElanTextAblage_WP16/Drucksachen/Folgedrucksachen/0000004000/0000004138.pdf )

Meine Kollegin im Bayerischen Landtag, Frau Brigitte Meyer, hat sich zusammen mit der FDP-Landtagsfraktion sehr engagiert in einer Reihe von Initiativen für weitere Fortschritte in der Asylsozialpolitik eingesetzt, beispielsweise für mehr finanzielle Mittel für die Asylsozialberatung. (Siehe z.B. http://www.fdp-fraktion-bayern.de/Mittel-fuer-die-Asylsozialberatung-verdoppelt-Leistungen-fuer-Asylbewerberkinder-ausgeweitet/11421c19896i1p2878/index.html ; http://www.fdp-fraktion-bayern.de/KLEIN-und-MEYER-Eine-Dreiviertelmillion-Euro-mehr-fuer-die-Asylsozialberatung/14567c27008i1p2878/index.html ).

3. Zur Diskussion auf europäischer Ebene:
Meine FDP-Kollegin Nadja Hirsch aus dem Europäischen Parlament hat sich zusammen mit der ALDE-Fraktion erfolgreich für die Einführung eines Europäischen Asylverteilungsschlüssels eingesetzt, der sich am deutschen “Königsteiner Schlüssel” orientiert. In Brüssel konnte man sich vor Kurzem fraktionsübergreifend auf EU-weit einheitliche Aufnahmebedingungen einigen. Demnach entscheiden u.a. die Bevölkerungsstärke und Wirtschaftskraft eines Landes über die Anzahl der Anträge, die dort bearbeitet werden müssen. Durch eine quotale Zuteilung der Asylantragsteller auf die einzelnen Mitgliedsstaaten könnten nationale Behörden (z.B. in Malta und Zypern) entlastet und die Qualität der Verfahren erhöht werden – das verbessert die Situation der Antragsteller. (Mehr dazu hier: http://www.europahirsch.eu/politisch/ausschusse/ausschuss-burgerliche-freiheiten-justiz-inneres/asylpaket/europaischer-verteilungsschlussel-fur-asylsuchende/ .)

Ich kann Ihnen daher versichern: wir werden weiterhin auf eine menschenwürdige Asylpolitik dringen. Deutschland hat sich vor langer Zeit völkerrechtlich verpflichtet, Menschen als Flüchtlinge anzuerkennen, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung geflohen sind (siehe Wortlaut der Genfer Flüchtlingskonvention). Für mich persönlich ist es aber auch schlicht eine Frage der Menschlichkeit, die Menschen offen und ohne Vorurteile zu empfangen.

Mit freundlichen Grüßen

Marina Schuster