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Lydia Westrich
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Frage von Martin K. •

Frage an Lydia Westrich von Martin K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Westrich,
vielen Dank für ihre schnelle Antwort. Leider kann ich ihre Argumente nicht ganz verstehen und bitte daher um Klärung. Ihre wichtigen Argumente sind: "Die Zensurinfrastruktur ist durch die Providerverträge schon da" und "Der Gesetzesvorschlag wurde angepasst"

Nur eine Hand voll Provider hat sich für die Verträge entschiedenen. Ohne das Gesetz, dem Sie zugestimmt haben, könnten die Bürger selbst entscheiden, ob Sie den Sperren vertrauen oder zu einem Anbieter ohne Zensurinfrastruktur wechseln. Mit dem Gesetz verlieren die Bürger diese Entscheidungsfreiheit.

Das Prinzip "großes Geschütz erst wenn ´weniger schwere´ Maßnahme versagt" ist falsch angewandt: Es wird Zensurinfrastruktur geschaffen und dann geprüft, ob das notwendig war. Sinnvoller wäre es, zunächst nach intensivem, ernsthaftem und direktem (dh. Hoster gleich informieren ohne Umweg über ausländische Behörden) "Löschen STATT Sperren" zu prüfen, ob es Seiten gab, die dennoch nicht gelöscht wurden und danach über die Notwendigkeit der Sperrinfrastruktur zu entscheiden. In einzelnen Feldversuchen (AK Zensur, Carechild, Scusiblog uvm.) wurden verdächtige Seiten schon nach sehr kurzer Zeit ohne bürokratischen Aufwand aus dem Internet genommen, indem eine einfache formlose Löschaufforderung gesendet wurde.
Das unabhängige, nur 5 Personen große Gremium prüft nicht die Listen sondern Stichproben. Warum prüfen nicht je ein Bürger und ein Volljurist zusätzlich JEDE einzelne Seite?
Die Verkehrs- und Nutzungsdaten der Stoppseiten wären ohnehin nutzlos, da Stoppseiten-Sightseeing betrieben wird (Man ruft gesperrte Seiten auf, um die Stoppmeldung zu sehen)
Dass dieses Gesetz keine Ausweitung auf andere Seiten duldet ist eine Farce: Ein Gesetzesänderung wird die existierende Infrastruktur für andere Zwecke nutzen.

Daher meine Frage: Warum haben Sie sich nicht für "Löschen STATT Sperren" eingesetzt?

Mit freundlichen Grüßen

Martin I. Köhler

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Köhler,

haben Sie vielen Dank für Ihre Nachfrage auf meine erste Antwort. Gerne erläutere ich meine Entscheidung noch einmal:

Lassen Sie mich aber zuvor noch einmal in aller Deutlichkeit voranstellen: Bei dem Zugangserschwerungsgesetz handelt es sich um ein Spezialgesetz, welches ausschließlich den Zugang zu Seiten mit kinderpornographischen Inhalten verhindern soll. Gerade aufgrund dieser Spezialität lehne ich jede Erweiterung auf andere Inhalte ab!

Maßgeblich für meine Zustimmung war das Ziel, den Zugang zu kinderpornographischen Inhalten zu erschweren. Lediglich die Wahl des Mittels hielt ich für nicht unbedenklich, da mir die potenzielle Gefährlichkeit von Internetsperren bewusst war. Ein Teil meiner Bedenken konnte aber durch die von Ihnen erwähnte „Anpassung des Gesetzentwurfes“ entkräftet werden.

Darüber hinaus war für meine Entscheidung auch die bereits vom BKA mit der Privatwirtschaft eigenständig aufgebaute Sperrinfrastruktur wesentlich. Ich halte es für nur schwer erträglich, dass die parlamentarische Kontrolle über solche Sperrstrukturen bislang nicht gewährleistet war. Denn es handelt sich bei den kooperierenden Providern eben nicht nur um „eine Hand voll Provider“, sondern vielmehr um die größten Provider Deutschlands. Die weit überwiegende Mehrheit der deutschen Internetnutzer war somit bereits von der Sperrinfrastruktur betroffen, ohne dass eine Kontrolle stattgefunden hätte. Dies kann auch nicht in Ihrem Interesse gewesen sein!

Sicherlich hat Ihr Lösungsvorschlag des „Löschens statt Sperrens“ auf den ersten Blick etwas Einnehmendes: Von Seiten der deutschen Behörden werden die ausländischen Hoster gebeten, die fraglichen Inhalte aus dem Netz zu nehmen – und dies geschieht laut der von Ihnen angeführten Feldversuche offensichtlich auch. Aber was passiert, wenn ein Hoster der Aufforderung nicht nachkommt? Sollte erst dann ein Gesetz erlassen werden, wenn sich ein Hoster verweigert? Und sollte dies dann ein Gesetz sein, welches konkret nur für diese eine Seite gilt oder auch für andere (in Zukunft nicht kooperierende) Seiten? Beide Varianten wären meines Erachtens nicht überzeugend: Eine Einzelfalllösung wäre in jedem Fall verfassungswidrig und die zweite Variante würde letztlich den Zustand herstellen, der durch das Zugangserschwerungsgesetz bereits jetzt zur geltenden Rechtslage wird. Im Übrigen ist das Grundanliegen Ihres Ansatzes und des beschlossenen Ansatzes doch das Gleiche: Das Löschen genießt absoluten Vorrang!

Sehr geehrter Herr Köhler, ich hatte Ihnen bereits mitgeteilt, dass ich mir meine Zustimmung zu dem Gesetz nicht leicht gemacht habe. Meine persönliche Erklärung zu der Abstimmung können Sie in der Antwort an Herrn Singer noch einmal nachlesen. Sicherlich kann niemand garantieren, dass geänderte Mehrheitsverhältnisse nicht neue Initiativen zur Ausweitung der Sperren hervorbringen, aber dieses Risiko bestünde auch, wenn das Gesetz nicht jetzt beschlossen worden wäre, sondern zu einem späteren Zeitpunkt mit anderen Mehrheitsverhältnissen.

Mit freundlichen Grüßen

Lydia Westrich, MdB