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Frage von Angelika B. •

Frage an Kurt Segner von Angelika B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kurt Segner,

Kennen Sie die Aktion Volksabstimmung eine Initiative des Vereins Mehr Demokratie e.V.? Wenn sie die Initiative noch nicht kennen können Sie sich unter www.aktion-volksabstimmung.de darüber genauer informieren.

Ich wüsste gerne, was sie von der Initiative halten und ob sie bereit sind ein solche Volksabstimmung auf Bundesebene mitzutragen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Politikverdrossenheit im Lande immer grösser wird, finde ich die Möglichkeit einer gewissen Mitbestimmung über ein Volksbegehren bezw. einen Volksentscheid eine Hilfe .
Könnten sie sich vorstellen dieses zu unterstützen?

Mit freundlichen Grüßen

Angelika Buchholz

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Antwort von
CDU

Sehr geehrte Frau Buchholz,

vielen Dank, dass Sie mir Ihre Meinung zum Thema Volksabstimmung auf Bundesebene mitgeteilt haben. Da diese Frage immer wieder kontrovers diskutiert wird, will ich Ihnen gerne meine Meinung darlegen.

Das Grundgesetz sieht Volksabstimmungen vor, wenn die Bundesländer neu gegliedert werden. Ansonsten sind Volksabstimmungen generell nicht vorgesehen. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie, d.h. alle wesentlichen Entscheidungen über das Gemeinwesen werden von einem gewählten Parlament gefällt. Im Mittelpunkt unserer Demokratie steht also das Parlament, das vom Volk in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen gewählt wird.

Abgesehen von dem im Grundgesetz genannten Fall lehne ich Volksabstimmungen auf Bundesebene ab. Grund dafür ist, dass Gesetzgebungsvorhaben auf Bundesebene oftmals sehr komplex sind. Die meisten Gesetzentwürfe bedürfen nicht nur im Plenum des Bundestages, sondern auch in seinen Ausschüssen sowie in den Arbeitsgruppen der Fraktionen und der Koalition umfangreicher und detaillierter Beratungen. Nicht selten sind bei den sehr schwierigen Regelungsmaterien Anhörungen von Sachverständigen notwendig. Vielfach ist auch eine sorgfältige Folgenabschätzung erforderlich. Während des Beratungsprozesses werden meistens Änderungen an den Gesetzentwürfen diskutiert und vorgenommen. Die Entscheidungsfindung ist meines Erachtens zu komplex, als dass man diese auf eine einfache Ja-Nein-Entscheidung einer Volksabstimmung reduzieren könnte.

Aus meiner Sicht ist die parlamentarische Demokratie der bessere Weg, durchdachte und ausgewogene Entscheidungen über komplexe und schwierige Sachverhalte zu treffen. Beispiele für komplexe und schwierige Entscheidungen sind die Gesundheitsreform (216 Seiten), der Bundeshaushalt 2009 (2793 Seiten) sowie der Vertrag von Lissabon (202 Seiten).

Warum Volksabstimmungen sehr problematisch sind, zeigt das gescheiterte Referendum über den Vertrag von Lissabon in Irland im letzten Jahr. Die meisten Wähler in Irland kannten die Inhalte des Vertrags überhaupt nicht und stimmten folglich aus vollkommen anderen Gründen für oder gegen dessen Ratifizierung. Viele Wähler glaubten den meist populistischen und oftmals wirren Argumenten EU-feindlicher Gruppierungen. Zudem wurde die Abstimmung vielfach benutzt, um die amtierende Regierung für ihre Politik abzustrafen. Das Votum erfolgte also nicht auf Grund einer tatsächlichen Ablehnung des Vertrages, sondern vor allem „aus dem Bauch heraus“ und durch völlig sachfremde Beweggründe.

Die jüngsten Volksabstimmungen im Land Berlin über den Flughafen Tempelhof und über den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen belegen, dass Volksabstimmungen nicht zu einer höheren Wahlbeteiligung führen. Zu befürchten ist, dass Volksabstimmungen eine Schwächung des Parlaments mit sich bringen. Ich kann nicht erkennen, dass dies zu mehr Vertrauen in die Parlamentarier und damit zu weniger Politikverdrossenheit führen wird. Vielmehr besteht die Gefahr, dass sich das Parlament vor schwierigen und unpopulären Entscheidungen drückt und stattdessen lieber Volksabstimmungen abgehalten werden.

In diesem Jahr feiern wir 60 Jahre Grundgesetz. Die Bundesrepublik hat sich alles in allem als eine stabile und erfolgreiche Demokratie erwiesen. Die Entscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes, eine parlamentarische Demokratie einzuführen, war also richtig. Die Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene würde den Charakter unserer Demokratie stark verändern – ich fürchte nicht zum positiven.

Mit freundlichen Grüßen

Kurt Segner