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Kirsten Lühmann
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Frage von Manuel N. •

Frage an Kirsten Lühmann von Manuel N. bezüglich Verkehr

Sehr geehrte Frau Lühmann

an Sie wende ich mich in Ihrer Funktion als Verkehrspolitische Sprecherin der SPD Bundestagsfraktion.

Können Sie mir erklären, wieso einige Hersteller von Kraftfahrzeugen nicht dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass sie mit ihren Fahrzeugen geltendes Recht nicht einhalten?

Die EU Verordnung EG 715/2007 schreibt in Artikel 4, Abs. 2: "Die von dem Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen müssen außerdem sicherstellen, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges bei normalen Nutzungsbedingungen entsprechend dieser Verordnung wirkungsvoll begrenzt werden.".

Durch Medienberichte werden wir fast täglich daran erinnert, dass einige Fahrzeugtypen dies anscheinend nicht erfüllen. Meinem Verständnis nach handelt es sich um einen Rechtsbruch.

Können Sie mir erklären, wie sich das für Sie darstellt?

Beste Grüße

M. N.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Neumann,

die aktuelle Situation um erhöhte Stickoxidemissionen (NOX) im Bereich der Diesel-Pkw gestaltet sich wie folgt:

Der VW-Konzern hat nachweislich mittels Softwaremanipulationen (illegale Abschalteinrichtungen - defeat devices) bei den Prüfstandtests gegen geltendes Recht verstoßen, weshalb das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) einen verpflichtenden Rückruf zur Änderung der Software angeordnet hatte. Nach Aufspielen der neuen Software entsprechen die Fahrzeuge wieder der Typgenehmigung, ohne dass Nachteile beim Verbrauch oder der Leistung entstehen.

Andere Automobilherstellende haben nach heutigem Kenntnisstand nicht gegen die von Ihnen zitierte EU-Verordnung EG Nr. 715/2007 verstoßen, da die Konzerne auf Artikel 5 Absatz 2 verweisen und argumentieren, dass Abschalteinrichtungen zum Schutze des Motors eingesetzt werden. Aus meiner Sicht muss die EU-Verordnung in dieser Frage präzisiert werden, damit solche Regelungslücken nicht mehr ausgenutzt werden können. Zumindest mit den neuen strengeren Prüfverfahren auf EU-Ebene, nämlich dem neuen Rollenprüfstandverfahren WLTP (World Harmonized Light-Duty Vehicle Test Procedure) und den Tests im realen Fahrbetrieb RDE (Real Driving Emissions) für neue Typgenehmigungen beziehungsweise Neuzulassungen, sind wichtige Schritte zur Verbesserung umgesetzt worden. Jedoch haben diese neuen Verfahren keine Auswirkungen auf die Bestandsfahrzeuge. Rechtlich können die Herstellenden nicht belangt werden, sofern die Fahrzeuge die Vorgaben für die Messungen auf dem Rollenprüfstand einhalten. Den Passus zum Motorschutz nutzten viele Herstellende derart aus, dass bei niedrigeren und höheren Umgebungstemperaturen die Abgasreinigung mit Begründung des Motorschutzes ausgeschaltet wurde (sogenannte Thermofenster). Diese im Rahmen der Untersuchungskommission Abgas festgestellten Auffälligkeiten führten zumindest zu einem freiwilligen Rückruf bei europaweit 630.000 Dieselfahrzeugen, um die Thermofenster auf das tatsächlich notwendige Maß zu beschränken. Beim Nationalen Forum Diesel im August vergangenen Jahres haben Bundesregierung, Länder und Automobilherstellende zudem vereinbart, dass neben dem bereits angeordneten verpflichtendem Rückruf von rund 2,4 Millionen Dieselfahrzeugen die Automobilherstellenden im Rahmen eines zusätzlichen freiwilligen Rückrufes weitere Diesel-Pkw mit Abgasnorm Euro 5 und Euro 6 mit neuer Software ausstatten werden, sodass in Deutschland insgesamt 5,3 Millionen zugelassenen Diesel-Pkw weniger NOX emittieren. Jüngst ordnete das KBA einen weiteren Rückruf von 238.000 in Deutschland angemeldeten Daimler-Fahrzeugen wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen an, insgesamt sind in Europa 774.000 Fahrzeuge betroffen. Der Daimler-Konzern kooperiert zwar beim Rückruf, hat aber einen Widerspruch angekündigt, da Daimler weiterhin davon überzeugt ist, dass diese Abschalteinrichtungen nicht gegen die EU-Verordnung verstoßen würden. Eine gerichtliche Klärung dieser Frage kann ich nur begrüßen. Wir brauchen endlich Klarheit.

Das Ganze bleibt für die betroffenen Verbrauchenden zweifellos ein Ärgernis. Viele haben sich im guten Glauben bewusst auch mit dem Ziel des Klimaschutzes für die CO2-ärmere Dieseltechnologie entschieden und sind nun mit einem starken Wertverlust ihres Fahrzeugs und drohenden Fahrverboten konfrontiert. Daher hat sich die SPD-Bundestagsfraktion in der Vergangenheit gegen großen Widerstand seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Einführung einer Musterfeststellungsklage eingesetzt. Das Gesetz haben wir am Freitag beschlossen. Damit können Betroffene in Zukunft über Verbraucherorganisationen einfacher ihre Rechte gegenüber Dritten (wie eben Automobilkonzernen) auf Augenhöhe vor Gericht durchsetzen.

Stickoxide sind bekanntermaßen gesundheitsschädlich, weshalb neben den bereits erfolgten Softwareupdates und den von der SPD-Fraktion unterstützten Maßnahmen im Sofortprogramm „Saubere Luft 2017-2020“ zur Unterstützung der von NO2-Grenzwertüberschreitungen betroffenen Städte im bisherigen Umfang einer Milliarde Euro weitere Maßnahmen notwendig sind. Daher setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion schon seit längerem für Hardware-Nachrüstungen (Einbau von effizienten Abgas-Reinigungsanlagen mit einer Selective Catalytic Reduction - SCR-Technologie) ein, die Kosten dafür sollten die Automobilherstellenden tragen. Dies wäre eine wichtige Maßnahme der Industrie, um die Stickoxidemissionen deutlich zu senken und das Vertrauen der Verbrauchenden zurückzugewinnen. Damit lassen sich aus unserer Sicht auch drohende Fahrverbote abwenden. Leider wird diese Forderung bisher nicht von der CDU/CSU-Fraktion und den unionsgeführten Ministerien unterstützt.

Mit freundlichen Grüßen
Kirsten Lühmann, MdB