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Kerstin Müller
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Frage von Johannes G. •

Frage an Kerstin Müller von Johannes G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Müller,

bei der Abstimmung zu dem Gesetz über Internet-Sperren haben Sie sich enthalten. Meine Frage dazu: Sind Sie der Meinung, dass dem Bund hierfür die Gesetzgebungskompetenz zustand? Und wenn nicht, wieso haben sie sich dennoch enthalten und nicht gegen das Gesetz gestimmt? Sind rechtsstaatliche Belange wie die Gesetzgebungskompetenz für die ohne Bedeutung?

Mit freundlichen Grüßen

Johannes Grafmüller

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Grafmüller,

die Enthaltung zu dem Gesetz zur „Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsstrukturen“ von 15 grünen Bundestagsabgeordneten hat für einige Diskussionen gesorgt. Das Gesetzvorhaben bewegt sich schließlich in einem letztlich nicht aufzulösenden Spannungsverhältnis zwischen Schutzpflichten und Freiheitsrechten. Nach intensiver Abwägung des Für und Wider war für mich persönlich eine Ablehnung des Gesetzes mit meinem Gewissen nicht vereinbar.

Auch wenn ich dabei (ausnahmsweise) mal eine andere Auffassung als meine Partei vertrete.

Bei meiner Gewissensabwägung haben die Argumente, die sämtliche Kinderschutzorganisationen anführen, letztlich den Ausschlag für meine Entscheidung gegeben.

Wie andere Abgeordnete der Fraktion, die sich an der Stelle enthalten haben, bin ich in einer Kinderschutzorganisation aktiv, vertrete die Fraktion offiziell im UNICEF-Komitee und habe gemeinsam mit Ekin Deligöz, Tom Königs, Marianne Birthler u.a. intensiv an den Reformen der letzten Monate gearbeitet. UNICEF wie auch sämtliche andere Kinderschutzorganisationen (siehe auch Stellungnahme von UNICEF, Deutsches Kinderhilfswerk, Action Innocence, ECPAT, Save the children, Lobby für Kinder) befürworten klar solche Internetsperren. Meines Erachtens mit überzeugenden Argumenten. Gerade UNICEF hat in seinem kürzlich veröffentlichten international hoch angesehenen Bericht 2009 „Stoppt sexuelle Ausbeutung“ (siehe: http://www.unicef.de/6585.html) gleich an mehreren Stellen solche Internetsperren gefordert.

Man mag zwar der CDU und von der Leyen Wahlkampfgetöse mit dem Gesetzesentwurf unterstellen. Auch ich finde, dass der Gesetzesentwurf sehr schlecht das Anliegen umsetzt.(s.u.)

Aber all diesen Organisationen die Redlichkeit der Argumentation abzusprechen, nach dem Motto, es ginge ja nur um „Zensur“ (v. der Leyen wurde als Zensursula im Netz diffamiert) und nicht um den Schutz der Kinder, halte ich schlicht für inakzeptabel.

Für mich ist dieses Gesetz vielmehr ein Schritt in Richtung eines digitalen Rechtsraums, der nicht hinter die Errungenschaften des Rechts außerhalb des Internets zurückfallen darf auch wenn es einige Defizite aufweist.

Kindern gebührt jeder Schutz, den eine Gesellschaft bieten kann. Kinderpornografie ist eine der widerlichsten Formen von Kriminalität. Die Herstellung und Verbreitung von Bildern und Filmen über Vergewaltigung und anderen schweren Missbrauch von Kindern sowie der Besitz solchen Materials ist zu Recht strafbar. Deshalb ist in diesem Rahmen die Diskussion um Zensur, die unter dem Stichwort „Zensursula“ stattfand, völlig fehl am Platz.

Gerade diese Kampagne im Netz hat bei mir den Verdacht genährt, dass es vielen Gegnern der Netzsperre in keinster Weise um taugliche Wege zum bestmöglichen Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt geht, sondern sie ausschließlich die Internet-Freiheit im Blick haben.

Eine solche Position, die erst gar keine Rechtsgüterabwägung vornimmt, kann in einer solchen Sachlage fatale Folgen haben.

Die Verbreitung kinderpornographischen Materials hat mit zunehmender Nutzung des Internets enorm zugenommen. Es ist daher meines Erachtens an der Zeit, dass der *Gesetzgeber handelt.* Das Internet darf gerade in dieser Frage kein rechtsfreier Raum sein.

Allerdings hat das Gesetz viele Defizite in der Schlagkraft und Wirksamkeit. Dies ist der Grund, weshalb ich gemeinsam mit 14 anderen Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion dem Gesetz auch nicht zugestimmt sondern habe mich enthalten. Ich habe es aber auch nicht abgelehnt, da es eine klare Botschaft sendet: Es hat eine *Signalwirkung* an die Gesellschaft, dass jede Verbreitung von Kinderpornografie und Gewalt gegen Kinder von der Gesellschaft geächtet wird.

Auch das Strafrecht ist nicht immer direkt wirksam. Dennoch haben wir als Grüne uns bei Gesetzesinitiativen wie der gegen „die Vergewaltigung in der Ehe“ von solchen Argumenten nicht abhalten lassen. Und auch wenn heute nicht jede Vergewaltigung angeklagt wird – die Signalwirkung ist unübersehbar: Vergewaltigung ist kein Kavaliersdelikt mehr, die Zahlen sind insgesamt zurückgegangen, der Staat kann auch der „Ehefrau“ helfen und muss nicht tatenlos zusehen. So wie es damals immer hieß, der Staatsanwalt habe im Ehebett nichts zu suchen, so heißt es auch jetzt in vielen Blogs und Chats: der Staatsanwalt hat im Netz nichts zu suchen – Das kann angesichts schwerster Rechtsgüterverletzungen an kleinen Kindern wohl nicht sein.

Und auch wenn die IT-Sperre die Vergewaltigung an den Kindern nicht verhindert, so erweitert sie doch das Instrumentarium der Ermittlungsbehörden auf die Täter dahinter zuzugreifen und signalisiert von der Gesellschaft klar: wir lassen nichts unversucht, die Täter zu verfolgen und die Netzwerke der Pädophilen und Menschenhändler zu zerstören.

Auch die IT-Sperre ist daher für mich ein Baustein im Kampf gegen Kinderpornografie.

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Frage nach der *Kontrolle* des BKAs beim Erstellen der Sperrlisten. Hier haben die kritischen Stimmen bereits bewirkt, dass Daten von Nutzern, die beim Anklicken gesperrter Seiten auf das „Stoppschild“ umgeleitet werden, nicht gespeichert werden und auch nicht zur Strafverfolgung genutzt werden. Es ist zu begrüßen, dass es ein unabhängiges Kontrollgremium geben soll, dass die Sperrlisten in regelmäßigen Abständen überwacht. Ob diese Aufgabe beim Datenschutzbeauftragten, der seine Rolle hier zurecht kritisch sieht, richtig angesiedelt ist, muss noch geklärt werden. Auch ich meine, eine richterliche Anordnung wäre der rechtsstaatlich sauberere Weg.

Die von GegnerInnen des Gesetzes zur Sperrung von Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt oftmals beschriebene Alternative zwischen *Sperren und Löschen* teile ich nicht. Es geht vielmehr darum zu sperren, wenn Löschen nicht greift – also Löschen vor Sperren.

Insbesondere an dieser Stelle wurde in der letzten zur Abstimmung gestellten Fassung nach den Ausschussberatungen noch entscheidende Veränderungen vorgenommen. Es heißt jetzt wie von unserer Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gefordert: Sperren erst und nur solange, eine Löschung nicht oder nicht zügig möglich ist, z.B. weil der Server in Ländern steht, die zu solchen Maßnahmen nicht bereit sind.

Die sinnvolle Verknüpfung beider Maßnahmen bietet einen weiteren Baustein im Kampf gegen Kinderpornographie. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme werden durch eine Evaluation nach zwei Jahren bewertet . In den skandinavischen Ländern, wo es bereits heute ähnliche Internetsperren gibt, sind die Zugriffszahlen massiv zurückgegangen.

Eines der Hauptargumente der Gegner ist, das Gesetz diene ja nur als Türöffner für die Sperrung anderer Bereiche. Es solle eine Sperr-Infrastruktur aufgebaut werden, die dann leicht ausgebaut werden könne.

Es mag sein, dass die CDU und Frau von der Leyen dies vorhaben Aber zur Umsetzung müssten sie ein neues Gesetz in den Bundestag einbringen, da es sich hier um eine spezialgesetzliche Regelung handelt und diese klar nicht den Zugriff auf andere Bereiche ermöglicht.

Es gibt dann die Möglichkeit für jede/n Parlamentarier/in diese neuen Regelungen ggf. abzulehnen.

Ich persönlich lehne weitere gesetzliche Sonderregelungen für andere Bereiche ab, weshalb es verfehlt ist, denjenigen, die sich enthalten haben, zu unterstellen, sie wären generell für Zensur und eine „Zensur-Infrastruktur“ für das Internet.

Im Internet wie in allen anderen Bereichen des Lebens muss immer eine Abwägung zwischen der Freiheit des Einzelnen und anderen Rechtsgütern erfolgen. Erst recht, wenn es um solch schwerwiegende Rechtsgüter wie das Kindeswohl und die kindliche Unversehrtheit geht wie hier.

Ich stehe dazu, dass für mich Schutzrechte von Kindern über der Freiheit im Netz stehen. Ich sehe dieses Gesetz auch nicht als Einfallstor für weitere Maßnahmen zur Einschränkung der „Freiheit im Internet“. Es ist für mich vielmehr eine wichtige Gestaltung des bislang eher *rechtsfreien Raumes Internet*. Jede weitere Maßnahme muss erneut einer strengen Rechtsgüterabwägung unterzogen werden.

Darüber hinaus dürfen wir nicht ruhen, andere Bausteine wie den *Nationalen Aktionsplan* zum „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung“ weiter zu fordern. Dieser sollte den Schwerpunkt der Aufdeckung und Vermeidung von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung, sowie die Identifizierung der Opfer und entsprechende staatliche Angebote für deren Schutz und Betreuung beinhalten. Denn nicht nur die Täter müssen verfolgt werden, vor alle die Opfer brauchen umfassenden Opferschutz. Und da gibt es noch viel zu tun.

Mit freundlichen Grüßen

Kerstin Müller