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Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Olaf K. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Olaf K. bezüglich Jugend

Guten Tag, Frau Göring-Eckardt,

in der derzeitigen (für mein Empfinden viel zu spät kommenden) Debatte über Pädophilie bei den Grünen weisen Ihre ParteifreundInnen gerne alle Schuld den Stadtindianern bzw. der Indianerkommune zu, getreu dem Motto http://www.gruene.de/typo3temp/pics/7a03c93458.jpg .

Wie stehen Sie

1. zur Forderung der Bundesgrünen, das Gesetz gegen Kindesmißbrauch (§ 182 StGB http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__182.html ) aufzuheben und somit auch nach Abschaffung des Schutzes minderjähriger Mädchen vor sexuellem Mißbrauch (siehe Bundestagsdrucksache 10 / 2832 vom 4Februar 1985)

2. zur diesbezüglichen Begründung der Grünen "Schutzgüter wie Virginität, Geschlechtsehre und ähnliches sind nur scheinbar individuelle und gehen auf ältere Vorstellungen von ´Marktwert´ und ´Heiratschancen´ des Mädchens zurück. Mädchen wird die Fähigkeit zur Entscheidung über ihre sexuellen Interaktionen abgesprochen, das Vorhandensein einer eigenständigen und selbstbestimmten Sexualität von Mädchen wird geleugnet" und "Die Strafdrohung belastet das konfliktfreie sexuelle Erleben derjenigen Jugendlichen, die sich ihrer homosexuellen Orientierung bereits gewiß sind. Die Strafandrohung, der sich ein zufällig über 18 Jahre alter Partner ausgesetzt sieht, vermittelt eine negative Bewertung der gesamten Beziehung" (beides ebenfalls nachzulesen in o.g. Bundestagsdrucksache) und "die Strafandrohung behindere KINDER und Jugendliche beim Herausfinden der ihnen gemäßen Sexualität" SZ, 12Februar 1985

3. zur Forderung der Grünen daß "gewaltfreie Sexualität" zwischen Kindern und Erwachsenen niemals Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung sein dürfe. Sie sei "im Gegenteil von allen Restriktionen zu befreien, [...]" "Gewaltfreie Sexualität muß frei sein für jeden Menschen, unabhängig von Alter, [...] Daher sind alle Straftatbestände zu streichen, die gewaltfreie Sexualität mit Strafe bedrohen"
dpa 1031985, Bild, 113 1985, FAZ, 163 1985, Die Welt, 2031985

MfG Olaf Kramer

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kramer,

selbstverständlich lehnt Frau Göring-Eckardt die von Ihnen zitierten Forderungen ab. Sie hat sich schon vor einigen Monaten in einem Interview dazu geäußert:

http://www.welt.de/politik/deutschland/article116515669/Damals-sind-Grenzen-ueberschritten-worden.html

Die grüne Position ist eindeutig: Sexueller Missbrauch und sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen sind Straftaten, die besonders schwerwiegende seelische Verletzungen bei den Betroffenen nach sich ziehen. Die grüne Bundestagsfraktion hat deshalb in den letzten Jahren sehr intensiv für eine Stärkung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen engagiert und musste zum Teil erheblichen Druck auf die Bundesregierung ausüben, damit sich etwas ändert.

Die Grünen waren es, die das Thema sexuelle Gewalt bzw. sexueller Missbrauch von Kindern angegangen frühzeitig sind. Wir haben das Thema im Deutschen Bundestag deutlich zur Sprache gebracht. Bereits 1984, gerade mal ein Jahr nachdem die GRÜNEN erstmals in den Bundestag eingezogen waren, brachte unsere Fraktion eine Große Anfrage „Sexueller Missbrauch von Kindern“ in den Bundestag ein (Bundestagsdrucksache 10/2389). Darin wurde die Arbeit der staatlichen Organe, Polizei, Jugendfürsorge und Justiz kritisch hinterfragt.

Grüne haben sich für eine Effektivierung der Strafverfolgung im Bereich der sog. Kinderpornographie ebenso eingesetzt wie gegen den sogenannten „Kindersextourismus“. Als erste Fraktion des Bundestages haben wir 1996 einen umfassenden Antrag „Maßnahmen zur wirksamen Verfolgung der sexuellen Ausbeutung von Kindern durch Deutsche im Ausland“ (Bundestagsdrucksache 13/5139) vorlegt mit dem Ziel, sexuellen Missbrauch von Kindern strafrechtlich effektiver zu verfolgen. 1997 schließlich haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als erste Fraktion ein Gesamtkonzept zur Verbesserung des Schutzes von Kindern vor sexualisierter Gewalt als Antrag in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 13/7087). 2002 und 2003 haben wir zwei in Fachkreisen viel beachtete Fachgespräche zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern durchgeführt.

Im Jahr 2001 fand in Yokohama der Weltkongress gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern statt. Ein Mitglied unserer Fraktion gehörte zur Regierungsdelegation und war maßgelblich an den Verhandlungen und am Zustandekommen eines Ergebnisses beteiligt. Deutschland hat sich den Verpflichtungen aus dem Weltkongress gestellt. Unter der rot-grünen Regierung wurde 2003 der erste „Aktionsplan der Bundesregierung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung“, beschlossen. Die rot-grüne Bundesregierung hat erstmals eine umfassende Gesamtstrategie festgelegt, um Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt und Ausbeutung wirkungsvoll zu schützen. Ein Jahr später haben wir den Antrag „Kinder und Jugendliche wirksam vor sexueller Gewalt und Ausbeutung schützen“ (Drucksache 15/3211) in den Bundestag eingebracht.

Nicht nur auf das, was im Ausland geschieht, haben wir geschaut, sondern auch das Leben von Kindern in den Familien in den Blick genommen und auch hier die Schutzfunktion des Staates betont:
Nachdrücklich haben die Grünen im Zuge ihrer Regierungsbeteiligung die Einführung des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Familie im Jahr 2000 (Drucksache 14/3781) sowie das Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung (Gewaltschutzgesetz) unterstützt und befördert. In die Zeit unserer Regierungsbeteiligung fiel auch 2005 die Verabschiedung des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes (KICK), welches an zentraler Stelle die Abwehr möglicher Kindeswohlgefährdungen enthält.

Wir haben schnell und klar auf das Bekannt Werden vieler Missbrauchsfälle reagiert: Wir haben uns nicht zuletzt aufgrund der vielen Vorfälle vernachlässigter und missbrauchter Kinder in den letzten zwei Wahlperioden intensiv in die Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zur Effektivierung des Kinderschutzes eingebracht. Als im Januar 2010 die ersten Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen aus Internaten und Heimen öffentlich wurden, haben wir zeitnah Opfer und Experten in den Deutschen Bundestag eingeladen und anschließend das Positionspapier „Kinder schützen – nicht die Institutionen“ verabschiedet ( http://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/familie/kinder_schuetzen_nicht_institutionen/missbrauch.pdf ) Uns war es wichtig, dass die Betroffenen gehört werden und das die Aufklärung durch unabhängige Dritte erfolgen muss. Damals haben wir uns für die Einrichtung einer unabhängigen Kommission durch den Deutschen Bundestag stark gemacht. Wir haben die Schaffung einer unabhängigen Anlaufstelle für die Betroffenen und die Einrichtung eines Entschädigungsfonds unterstützt.
Auch haben wir uns in der Zeit danach intensiv in die Arbeit des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ und seinen Arbeitsgruppen eingebracht. Mehrere Mitglieder der Fraktion waren an der Arbeit beteiligt. Auch das Bilanztreffen des Runden Tisches zur Auswertung der Umsetzung der Empfehlungen im Februar dieses Jahres geht auf einen grünen Vorschlag zurück.

Wir haben im Herbst 2011 das im Grundsatz positive Bundeskinderschutzgesetz im Bundestag unterstützt- und gleichzeitig deutlich gemacht, dass noch weitergehende Regelungen notwendig wären. (Entschließungsantrag zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksache 17/7531) Die meisten dieser Punkte, insbesondere fehlende Kooperationsregeln und -pflichten jenseits der Jugendhilfe, allen voran der Gesundheitsbereich, sind nach wie vor aktuell. Nachdem der grüne Gesetzentwurf zur Stärkung der Opferrechte über zwei Jahre im Rechtsausschuss des Bundestages nicht behandelt wurde, ist Anfang dieses Jahres endlich eine gesetzliche Regelung zur Verjährung beim sexuellen Missbrauch verabschiedet worden. Diese ist ein Fortschritt und trägt den besonderen Schwierigkeiten der Opfer Rechnung. Unser Anliegen zu den Verjährungsfristen wurde – allerdings nur teilweise - von der Regierungskoalition zum Teil übernommen.

Bekämpfung der Verbreitung von Darstellungen sexueller Gewalt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen
Ähnlich verhält es sich bei der Verbreitung der Darstellungen sexuellen Missbrauchs im Internet. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass es neben der konsequenten Löschung der Inhalte um die Verhinderung der Taten – die später u.a. im Internet dokumentiert werden - gehen muss und klar gemacht, warum das Sperren von Websites keine wirkungsvolle Lösung ist. Die Fraktion hat 2011 hierzu ein umfangreiches Eckpunktepapier entwickelt und verabschiedet, das Vorschläge für die Verbesserung der Prävention, Strafverfolgung und Opferhilfemacht und Wege zu effektiver Löschung und Strafverfolgung aufzeigt. ( http://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/netzpolitik/schluss_mit_zensursula/verbreitung_von_darstellungen_sexueller.pdf ).

Neben den einfachgesetzlichen Regelungen und Reformen wollen die Grünen seit Jahren eine Stärkung der Kinderrechte im Grundgesetz. Die Stärkung der Kinderrechte, das Wissen um die eigenen Rechte und der Ausbau an Möglichkeiten, sich über Rechtsverletzungen zu beschweren, sind für uns auch wichtige Bausteine zu Prävention von sexueller Gewalt. Bisher verwehrt sich die Bundesregierung bei diesem Anliegen und vermeidet die Debatte. Daher hat die grüne Fraktion in dieser Wahlperiode einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 17/11650), mit dem auch der Schutz von Gefährdungen des Kindeswohls im Text des Grundgesetzes verankert werden soll. Damit ist der Umfang des staatlichen Wächteramtes grundsätzlicher benannt und fokussiert sich nicht allein auf die Ausübung der elterlichen Sorge.

Mit freundlichen Grüßen

Büro Katrin Göring-Eckardt

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