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Frage von Erich S. •

Frage an Karin Roth von Erich S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Roth,

meine Anfrage vom 8.2.12, warum Sie nicht für die Ächtung der Zwangsbeschneidungen bei allen Kindern eintreten, haben Sie bisher nicht beantwortet.
Dagegen wurde auch mit Ihrer Stimme eine Resolution mit dem Ziel eingebracht, die männliche Beschneidung straffrei zu stellen. Der Begriff "Beschneidung" umfasst bekanntlich alle Verstümmelungen, von der Zirkumzision bis zur Schafthautverkürzung/-häutung, Subinzision, etc.. Gehe ich richtig in der Annahme, daß mit der Resolution nur die Zirkumzision gemeint ist? Wenn ja, warum ist in dieser, wie auch in dem jetzt übereilt vorgelegten Gesetzentwurf, immer nur vague von "Beschneidung" die Rede?

Ist ihnen bekannt, dass Zirkumzision das med. Äquivalent zur Klitorisvorhautreduktion darstellt? Können Sie eine rechtliche Begründung geben, warum die männliche Vorhautbeschneidung von Kindern rechtmäßig sein soll, die weibliche aber nicht? Hat in unserem Land ein männliches Kind weniger Rechte als ein weibliches?

Wissen Sie, dass es bei der Zirkumzision verschiedene "sadistische" Ausführungsformen gibt (Entfernen von innerem/äusserem Vorhautblatt, von Frenulum incl. Wurzelausschabung, Verkürzung der Schafthaut) die bis zu 75 % Verlust an sexuellen Empfindungsnerven des Genitals bedingen? Wissen Sie, daß diese wehrlosen Jungen für ihr Leben gezeichnet sind (Schmerzen bei Erektion, infolge Desensibilisierung kein vaginaler Geschlechtsverkehr)? Wissen Sie, dass solche Operationen schon bisher zigfach in deutschen Spezialkliniken/-praxen unter dem Deckmantel des bisher rechtsfreien Raumes durchgeführt wurden?

Wissen Sie, daß bei uns das Kupieren von Hundeohren-/schwänzen gesetzlich verboten ist? Ist es mit dem Rechtsstaat vereinbar, daß man Hunde vor dem Kupieren schützt, gleichzeitig aber das beliebige Kupieren der Penishaut von Jungen gesetzlich erlauben will? Wollen sie es als SPD-Abgeordnete zulassen, daß ein Hund rechtlich besser geschützt ist als ein männliches Kind?

MfG
Erich Schuster

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schuster,

seit einigen Monaten wird das Thema rituelle Beschneidung von Jungen sehr emotional und leidenschaftlich diskutiert. Auf der einen Seite ist der Schutz der Schwächsten unserer Gesellschaft, nämlich der Kinder, fundamental für unsere Rechtsordnung. Auf der anderen Seite muss es unseren jüdischen und muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern auch künftig möglich sein, grundlegende Glaubensinhalte in unserem Land zu praktizieren. Es ist nicht einfach, die insoweit widerstreitenden Interessen zu einem vernünftigen Ausgleich zu bringen.

Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten muss klar sein, dass jüdisches und muslimisches Leben und deren Kultur fester Bestandteil der Gesellschaft in Deutschland ist. Das Grundgesetz garantiert das Recht auf freie Religionsausübung und macht keinen Unterschied zwischen den Glaubensgemeinschaften.

Allerdings muss sich die Ausübung der Religionsfreiheit im Rahmen der geltenden Gesetze bewegen. Die derzeitige politische Diskussion richtet den Fokus m.E. zu stark auf das Recht der freien Religionsausübung. Natürlich sollen unsere jüdischen und muslimischen Mitbürger die Beschneidung auch in Zukunft frei von Sanktionen ausüben können. Gleichzeitig sollte eine strafrechtliche Regelung jedoch auch den hohen Stellenwert zum Ausdruck bringen, den unser Grundgesetz dem Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit eingeräumt hat. Eine zukünftige Regelung muss den Schutz von Kindern als den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft garantieren. Wie dies innerhalb der Strafrechtssystematik gewährleistet werden kann, muss juristisch geprüft werden.

Auch muss sichergestellt sein, dass eine Beschneidung von minderjährigen Jungen unter medizinischen Bedingungen und ohne unnötige Schmerzen durchzuführen ist. Eine Grenze zur sittenwidrigen und nachhaltig schädlichen Verstümmelung der Genitalien von Mädchen muss unmissverständlich und kompromisslos gezogen werden. Denn die weibliche Genitalverstümmelung und die Beschneidung von Jungen sind nicht zu vergleichen.

Von Kritikern der Beschneidung wird u.a. auch zu Bedenken gegeben, dass die Beschneidung das Recht des Kindes auf freie Religionswahl verletzt, für das durch die Beschneidung irreversible Fakten geschaffen werden. Grundsätzlich umfasst das Recht der elterlichen Sorge auch die Bestimmung der Religionszugehörigkeit des Kindes bis zu dessen Religionsmündigkeit. Darüberhinaus ist keine eindeutige Zuordnung zu einer Religionszugehörigkeit möglich, da die Beschneidung sowohl zum jüdischen als auch muslimischen Glauben gehört, sowie auch aus medizinischen Gründen erfolgen kann.

Die Vorsitzenden der Fraktionen von SPD, CDU/CSU und FDP sind übereingekommen, die Frage der Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen gesetzlich eindeutig zu regeln. Ein entsprechender fraktionsübergreifender Antrag, der die Bundesregierung zur Erarbeitung eines solchen Gesetzes auffordert, ist am 19. Juli 2012 vom Bundestag beschlossen worden.

Mir ist bewusst, dass die Eile, mit der dieser Antrag entstanden und auf die Tagesordnung gekommen ist, diskussionswürdig ist. Diese Eile ist aber dem Umstand geschuldet, dass vom Bundestag möglichst schnell ein deutliches Signal an die Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens, aber auch an die, die der Beschneidung minderjähriger Jungen kritisch gegenüberstehen, ausgesendet werden sollte, wie man in diesem Bereich Rechtssicherheit schafft, religiöses Leben in Deutschland weiter ermöglicht und gleichzeitig dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes Rechnung trägt.

Zwischenzeitlich liegt ein Referentenentwurf vor. Dieser Entwurf wurde am heutigen Mittwoch im Kabinett verabschiedet und wird in nun in das parlamentarische Verfahren eingebracht.
Entscheidend ist aus meiner Sicht und der der SPD-Bundestagsfraktion, dass eine gesetzliche Regelung keine Spielräume eröffnet, bei denen das Kindeswohl verletzt wird. Dies wäre auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht denkbar. Daher muss der Gesetzentwurf folgende Kriterien erfüllen:

Diejenigen Personen, die eine Beschneidung vornehmen dürfen, müssen medizinisch ausreichend ausgebildet sein. Eine unzureichende medizinische Ausbildung gefährdet die Gesundheit der Jungen.

Eine lokale Betäubung ist bei einem derartigen Eingriff erforderlich, um den betroffenen Kindern unnötige Schmerzen zu ersparen. Der Eingriff sollte in einem geschützten Raum stattfinden. Die Eltern müssen umfassend von einem Mediziner über Art, Umfang und Folgen des Eingriffs aufgeklärt werden. Denn nur eine ausreichende Aufklärung gewährleistet, dass Eltern eine Entscheidung im vollen Bewusstsein auch über die Risiken treffen können. Nur dann ist auch juristisch gesehen eine wirksame Einwilligung der Eltern in einen derartigen Eingriff möglich. Zudem sollte das Erfordernis einer ärztlichen Bescheinigung vor Durchführung des Eingriffs festgeschrieben werden, wonach der Gesundheitszustand des Jungen eine Beschneidung zulässt. Schließlich müssen ältere, minderjährige Jungen die Möglichkeit eines „natürlichen Vetorechts“ erhalten. So fordert es auch der Deutsche Ethikrat. Die SPD-Bundestagsfraktion wird in den kommenden Wochen den Gesetzentwurf daraufhin prüfen, ob die vorgenannten Kriterien hinreichend klar berücksichtigt wurden. Wir sollten die weitere Diskussion über den Gesetzentwurf mit der gebotenen Sachlichkeit und dem Respekt vor den verschiedenen Argumenten führen.

Mit freundlichen Grüßen

Karin Roth MdB