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Kai Klose
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Frage von Karin B. •

Frage an Kai Klose von Karin B. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Klose!
Transsexuelle Menschen müssen in Dänemark nunmehr keinen Gutachter von ihrer Geschlechtszugehörigkeit überzeugen.
Kann in dieser Legislaturperiode im Bundestag ein ähnliches Gesetz verabschiedet werden? Wird die deutsche Gesetzgebung dem dänischen Beispiel folgen, ohne Zwangswartezeit mit Beibehaltung der Regelung für Minderjährige?
( ÄVFGG Drucksache 17/2211 17. Wahlperiode 16. 06. 2010)
Wird die CDU auf ihre seit über 30 Jahren ausgeübte Sperrminorität durch die Kenntnisnahme "neuer" wissenschaftlicher Erkenntnisse verzichten?
Wie kann es möglich sein, dass transgeschlechtliche Menschen mit ihrem Coming-Out ihre im GG verankerten Menschenrechte verlieren?
2006 wurde unter der Federführung Milton Diamonds des GIRES-Reviews der neurobiologische Paradigmenwechsel angestoßen unter Beteiligung von:
Professor Milton Diamond, PhD. (Chair) (USA)
• Professor Michael Besser, DSc, MD, FRCP, FMedSci. (UK)
• Professor Dr Peggy Cohen-Kettenis PhD. (The Netherlands)
• Dr Pamela Connolly PhD. (USA)
• Professor Dr Petra de Sutter, PhD. (Belgium)
• Dr Domenico Di Ceglie, FRCPsych., DIP. PSICHIAT. (Italy) (Child Section) (UK)
• Dr Yuko Higashi, Ph.D. (Japan)
• Dr Frank Kruijver, MD., PhD. (The Netherlands)
• Professor Zoe-Jane Playdon, BA(Hons), PGCE, MA, MEd, PhD, DBA, FRSA.
(UK)
• Professor William Reiner, MD. (USA)
• Professor Dick Swaab, MD, PhD. (The Netherlands).

Konservative Minderheiten, wie der einflussreiche Ulmer Psychoanalytiker und Forensiker Friedemann Pfäfflin wollten diesen neurobiologischen Paradigmenwechsel nicht mittragen.
Hinweisen möchte ich auf eine gute deutsche Übersetzung eines Artikels von Milton Diamond Ph.D./ University of Hawaii Published in: Sexualität als Experiment: Identität, Lust und Reproduktion .... Pethes and S. Schicktanz eds. (Aus dem Englischen von Olaf Jubin) (last updated on December 10,2012)
http://www.hawaii.edu/PCSS/biblio/articles/2005to2009/2008-soziale.html

Freundliche Grüße
K. Blum

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Blum,

herzlichen Dank für Ihre Frage zu meiner Position zum Transsexuellengesetz. Gestatten Sie, dass ich aufgrund der Komplexität des Themas etwas ausführlicher antworte:

Das geltende Transsexuellengesetz (TSG) ist über 30 Jahre alt und entspricht nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Es stellt für die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit unbegründete Hürden auf, die die Würde und die Selbstbestimmung transsexueller Menschen beeinträchtigen. Bereits sechs Mal hat das Bundesverfassungsgericht einzelne Vorschriften des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt Auch weitere Vorschriften des TSG stehen verfassungsrechtlich in der Kritik.

Das TSG ist Ausdruck eines auf Angst fundierten Wahrnehmung der Geschlechtlichkeit, in der die bipolare Aufteilung in Männer und Frauen die Basis für die traditionell geordnete Gesellschaft bildet. Allerdings stammt dieses Verständnis von Geschlecht aus Zeiten, in denen man über Gender, also soziales Geschlecht, nichts wusste. Danach mussten Aussehen und Rollenverhalten einer Person mit dem Personenstand zweifellos übereinstimmen. Und schließlich ist das TSG Ausdruck des Misstrauens in die Fähigkeit der Menschen, über ihr eigenes Geschlecht selbst bestimmen zu können.
Deshalb hat die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen in der letzten Wahlperiode den Entwurf eines Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit (ÄVFGG) in den Deutschen Bundestag eingebracht. Damit sollen die Grundrechte Transsexueller in vollem Umfang verwirklicht und die tatsächliche Vielfalt von Identitäten akzeptiert werden, statt transsexuelle Menschen in vorgegebene Raster zu pressen und ihnen das Leben zu erschweren.
Wir wollen die Verfahren für die Änderung der Vornamen und zur Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit deutlich vereinfachen und nur vom Geschlechtsempfinden der Antragstellerin bzw. des Antragstellers abhängig machen.

Es soll auf die bisherige Begutachtungspraxis (mindestens dreijährige Dauer des Zwangs des Zugehörigkeitsempfindens zum anderen Geschlecht sowie irreversibler Charakter dieses Empfindens) verzichtet werden. Transsexualität kann nicht diagnostiziert werden, lediglich der Antragsteller selbst kann letztlich über seine geschlechtliche Identität Auskunft geben. Dazu soll auf die Anrufung eines Gerichts verzichtet werden. Der Antrag ist beim Standesamt zu stellen, so dass die Vornamensänderung und Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit im Rahmen eines Verwaltungsaktes erfolgen sollte.

Ein wesentlicher Schwerpunkt unseres neugefassten Gesetzentwurfs ist die Reform des Offenbarungsverbots – also des Verbots, die neue geschlechtliche Identität zu ignorieren oder auf die alte Identität abzustellen. Das bisherige Offenbarungsverbot hat sich als zahnlos erwiesen: Immer wieder haben Behörden und Unternehmen sich geweigert, Unterlagen oder Zeugnisse neu zu erstellen. Für die Betroffenen folgt deswegen nach dem Kampf um die neue Identität häufig eine Auseinandersetzung um die Anerkennung der neuen Realität durch die Umwelt. Unser Gesetzentwurf sieht nun bei einer vorsätzlichen und beharrlichen Verweigerungshaltung eine strafbewehrte Ordnungswidrigkeit vor. Und schließlich soll es möglich sein, eine bestehende eingetragene Lebenspartnerschaft in eine Ehe zu überführen und umgekehrt.
Der vor uns vorgelegte Gesetzentwurf geht von dem Prinzip in dubio pro libertate – im Zweifel für die Freiheit – aus. Unser Gesetzentwurf rückt die Selbstbestimmung und die Menschenwürde von Transsexuellen und Transgendern in den Mittelpunkt. In Zukunft sollen die Betroffenen selbst über ihre Geschlechtszugehörigkeit entscheiden. Wir als Politik dürfen nicht die geschlechtliche Identität eines Menschen überprüfen, sondern müssen dafür Rahmenbedingungen schaffen, dass sich sein rechtlicher Status lediglich nach seiner inneren Überzeugung richtet. Die bisherige Gängelei durch Behörden und Gutachter sind hingegen eines modernen Rechtstaats nicht würdig. Deshalb werden wir auch in der laufenden Legislaturperiode erneut versuchen eine Mehrheit für ein modernes Transsexuellenrecht zu gewinnen.

Mit freundlichen Grüßen

Kai Klose MdL