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Kai Gehring
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Frage von Monika T. •

Frage an Kai Gehring von Monika T. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Gehring,

die meisten Menschen vermuten, dass unser Geld durch staatliche Organe in Umlauf gebracht wird. Es ist jedoch so, dass der größte Teil des von uns verwendeten Geldes (das Giralgeld) durch private, gewinnorientierte Banken erzeugt und in Umlauf gebracht wird; und zwar durch einen einfachen Buchungsvorgang immer dann, wenn jemand einen Kredit aufnimmt. Diese Praxis wird auch von der Deutschen Bundesbank so bestätigt.

Durch die Tatsache, dass die Banken bei jeder Kreditvergabe zusätzlich zum vereinbarten Kreditbetrag auch Zinsen einfordern, ist die Summe der Forderungen immer höher als die Summe des ausgegebenen (Giral-)Geldes. D.h., dass Schulden eigentlich nie vollständig zurückgezahlt werden können.

Wie stehen Sie zu dieser Praxis? Halten Sie sie für zielführend bei der Bewältigung der gegenwärtigen Bankenkrise?

Mit freundlichen Grüßen

Monika Theisen

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Theisen,

Sie beschreiben völlig zutreffend die Praxis der Giralgeldschöpfung.

Ihre Schlussfolgerung, nämlich dass Schulden nie vollständig zurück bezahlt werden können, trifft jedoch nicht auf den einzelnen Anleger zu. Das System bedingt jedoch, dass neue Anleger wieder Kredite aufnehmen oder dass zumindest die Zentralbankgeldmenge ein etwaiges Schrumpfen der Giralgeldmenge kompensiert. Ohne eine solche Kompensation würde es sonst irgendwo im Kreditsystem zu Ausfällen kommen.

Solche Ausfälle entstehen beispielsweise, wenn kreditfinanzierte Vermögensblasen platzen, und zwar mit enormen ökonomische, sozialen und auch ökologischen Folgewirkungen. Um das entstehen solcher Blasen zu verhindern, muss das Instrumentarium der Finanzmarktaufsicht und der Europäischen Zentralbank aus unserer Sicht weiterentwickelt werden. Dazu gehört eine funktionierende makroprudentielle Aufsicht, die das Verhältnis von Giral- und Zentralbankgeldmenge im Blick hat.

Als einen wichtigen destabilisierenden Faktor im Finanzsystem sehen wir die wachsende Spreizung der Vermögen in Deutschland, denen Schulden anderen gegenüber stehen, sowie die mangelhafte Regulierung von Finanzinstitutionen. Die Ursachen sehen wir primär in einer mangelhaften Regulierung am Finanzmarkt und einer unsozialen Steuerpolitik. Seit den 80er Jahren galt in Europa wie in den USA in weiten Teilen die neoliberale Doktrin, dass keine Regulierung die beste Regulierung sei. Bis Ende der 70er Jahre hatten wir bereits Fiat-Geld, ohne dass dadurch Finanzkrisen entstanden wären. In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg funktionierte die Allokationsfunktion der Banken recht gut und so konnten Banken mit ihren Transformationsfunktionen dafür sorgen, dass Spareinlagen der Bürger den Weg zu Unternehmen mit Investitionsbedarf fanden. Erst mit einer immer stärkeren Deregulierung der Finanzmärkte hat sich die Krisensequenz verschärft. Die Einführung von Derivaten und der sprunghafte Anstieg dieser im Vergleich zur realwirtschaftlichen Entwicklung bezeugen diesen Trend. Wir sehen die Ursache der Krise daher nicht in unserem Geldsystem als solchem, sondern in fehlerhaften Anreizen, die das System setzt. Die Strukturen auf den Finanzmärkten geben einzelnen AkteurInnen die Macht, das Gesamtsystem zu gefährden. Die internationalen Finanzmärkte sind alles andere als finanziell nachhaltig und krisenfest. Mit der Einführung von Basel II wurde Banken erlaubt, ihre aufsichtsrechtliche Eigenkapitalquote künstlich hoch zu rechnen, während die tatsächliche Eigenkaptalquote, und damit die Fähigkeit, Verluste zu absorbieren, drastisch gesunken ist. Die fragmentierten und auf die Nationalstaaten beschränkten Bankenrettungsprogramme waren ineffizient und haben die Krise sogar weiter verschlimmert. Es bestehen Fehlanreize zu Gunsten kurzfristigen Handelns – sowohl bei der Frage der Eigenkapitalunterlegung von Risiken als auch bei Bonuszahlungen. Die bisherige Rettungspolitik formt darüber hinaus immer größere Banken, die noch schwerer abzuwickeln sind und die ihre Größe auch politisch nutzen.

Wir meinen, dass
• Finanzmärkte effizienter reguliert und beaufsichtigt werden müssen,
• eine Schuldenbremse für Banken (leverage ratio) in Form einer absoluten Untergrenze des Eigenkapitals eingeführt werden muss, bei welcher die gesamten Risiken einer Bank eingerechnet werden,
• eine europäische Finanztransaktionssteuer eingeführt werden und dafür das Erfordernis der Einstimmigkeit bei Steuerfragen in eine Mehrheitsentscheidung geändert werden muss,
• Gehälter und Boni ab 500.000 € nicht mehr gewinn- und steuermindernd berücksichtigt werden dürfen

Des Weiteren muss der Agglomeration hoher Vermögen bei Einzelnen entgegengewirkt werden. Die Hauptkritik der Vollgeldbefürworter richtet sich auf ein Problem, das aus verstärkter Vermögenskonzentration resultiert. Diese Kritik unterstützen wir auch voll und ganz. Dies ist auch ursächlich für den deutlichen Anstieg der Geldmenge. Wenn immer mehr Geld aber nicht für Konsum sondern für Anlagezwecke gehalten wird, ist dies ein maßgeblicher Faktor für Vermögensblasen in Finanzmärkten. Insbesondere die Rettung von Finanzinstitutionen während der Krise kostete einen hohen Preis. Dabei wurden durch die Rettungsmaßnahmen Vermögenswerte gesichert. Die Rettungen haben also Vermögenden mehr genutzt als anderen MitbürgerInnen. Daher haben wir Grüne auf unserem Parteitag im November eine Vermögensabgabe zum Abbau der enormen Staatsverschuldung beschlossen. Über 10 Jahre sollen Millionäre 1,5 Prozent ihres Vermögens als Abgabe bezahlen, um die Schulden der Krise in Höhe von 100 Mrd. € abzubauen. Das ist maßvoll und vernünftig. Die Vermögensabgabe belastet weniger als ein Prozent der Deutschen. Es sind rund 330 000 Personen.

Mit freundlichen Grüßen
Kai Gehring

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