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Kai Gehring
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Frage von Thorsten G. •

Frage an Kai Gehring von Thorsten G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Gehring,

folgendem Artikel ist zu entnehmen, dass ab dem 01. November 2014 eine Neufassung des Melderechtsrahmengesetzes (MRRG) in Kraft tritt, dass den Datenschutz aushebelt.

http://www.chip.de/news/Adressauskunft-Widerspruchsrecht-abgeschafft_56540821.html

Besteht aus Ihrer Sicht die Möglichkeit dieses skandalöse Gesetz mit der Rot-Grünen Mehrheit im Bundesrat noch aufzuhalten?

Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Gabb

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Gabb,

wir lehnen die vom Bundestag beschlossene Reform des Meldegesetzes ab, denn wir halten die Klauseln zur Datenweitergabe für katastrophal. Die Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen haben im Innenausschuss den Änderungsantrag von CDU/CSU und FDP abgelehnt und wir haben im Bundestag gegen das gesamte Gesetz gestimmt. Da wir bekanntlich in der Opposition sind hat unser „Nein“ leider nicht dazu geführt, dass das Gesetz gestoppt wurde. Nun gibt es noch im Bundesrat die Chance, mit rot-grünen Stimmen den Vermittlungsausschuss anzurufen, dort könnte dann die untragbare Regelung zur Adressweitergabe verändert werden.

Nach dem bisher geltenden Melderechtsrahmengesetz und den entsprechenden Gesetzen der Länder war es für so ziemlich jedermann einfach möglich, die Daten zu einer Person zu bekommen. Dem zu widersprechen war kaum möglich, nach der Zustimmung zur Weitergabe ihrer Daten wurden die Betroffenen auch nicht gefragt.

Diesen Zustand wollen wir schon lange ändern. Für uns gilt: Meine Daten gehören mir, und ich bestimme dann auch, wer sie bekommen darf. Heißt: Wenn der Staat ein Melderegister aufbaut, dann kann er dafür meine Daten bekommen, das finden wir nicht problematisch. Aber wenn diese Daten dann an Dritte weitergegeben werden, ohne dass ich das weiß und ohne dass ich es verhindern kann, dann ist das der falsche Weg. Denn so kommt es, dass Adresshändler gute Geschäfte mit den Daten machen, die die Bürgerinnen und Bürger zwar gerne ihrem Meldeamt gegeben haben, aber niemals für Werbung hergegeben hätten.

Der ursprüngliche Entwurf für das neue Meldegesetz (er war nötig, weil jetzt der Bund und nicht mehr die Länder für das Melderecht zuständig ist) hatte für das Problem eine gute Lösung: Sollen die Daten für Werbung oder Adresshandel genutzt werden, dann muss der Betroffene jedes Mal explizit zustimmen. Diese Lösung, das sogenannte „opt-in“ ist der richtige Ansatz. Denn so behält jede und jeder die Regie über die eigenen Daten.

Kurz vor Abschluss des Gesetzesverfahrens haben dann CDU/CSU und FDP einen Änderungsantrag vorgelegt: Statt „opt-in“, der Zustimmung im Einzelfall, heißt das Prinzip nun „opt-out“ – man muss widersprechen, dass die eigenen Daten für Werbung und Adresshandel genutzt werden. Das ist wenig bürgerfreundlich: Wenn man sich neu anmeldet und darauf hingewiesen wird, dann kann man das mit erledigen. Aber zum Amt gehen und einen Antrag stellen müssen, dass die eigenen Daten nicht weitergegeben werden – das ist umständlich und eben die falsche Reihenfolge: Es will doch der Adresshändler was vom Bürger, nicht umgekehrt.
Es ist aber alles noch schlimmer: Denn man kann gar nicht wirklich widersprechen, wenn das Gesetz so bleibt! Der Widerspruch ist ungültig, wenn Daten nur „bestätigt“ oder „berichtigt“ werden. Das klingt nach Sonderfall, ist es aber nicht: Hat ein Adresshändler die alte Adresse und will die aktuelle, dann gilt der Widerspruch nicht – und das sind die meisten Abfragen, denn Adresshändler verdienen damit, dass ihre Daten aktuell sind. Abfragen zur Auffrischung sind die Regel, nicht die Ausnahme.

Nach dem neuen Gesetz muss man also der Weitergabe widersprechen und dann hoffen, dass der Widerspruch auch gilt. Das ist aus unserer Sicht kein Datenschutz. Wir werden im Bundesrat gegen das Gesetz stimmen und dann im Vermittlungsausschuss dafür kämpfen, dass wieder die Zustimmungsregel ins Gesetz kommt.

Vielleicht gelingt es uns im Vermittlungsausschuss auch, die anderen, etwas kleineren Probleme im Gesetz zu lösen: die Meldepflicht in Hotels ist ein bürokratischer Aufwand ohne wirkliche Wirkung und gehört eigentlich nicht ins Meldegesetz. Die Bescheinigung des Vermieters bei der Anmeldung bedeutet ebenfalls viel Aufwand und bisher sieht es so aus, als gebe es dagegen sehr wenig Nutzen. Schließlich ärgern sich die Soldatinnen und Soldaten, dass sie sich im Ort melden sollen, wo sie übergangsweise in einer Kaserne leben, und solange zuhause Zweitwohnungssteuer zahlen müssen und nicht an Wahlen teilnehmen können.

Aber diese Fragen verblassen neben den Regeln zur Widerspruchslösung. Es ist auch sehr erstaunlich, dass nun die Bundesregierung so tut, als hätte der Bundestag ein Gesetz beschlossen, dass sie nicht wollte. Die Regierungsvorlage war viel besser und die Änderung kam während des Verfahrens im Bundestag – aber die Bundesregierung hat sich mit keiner Silbe dagegen gewehrt. Nicht in der Zeit zwischen Vorlage des Änderungsantrages und Abstimmung im Bundestag, nicht bei der Diskussion im Innenausschuss und auch nicht durch „Nein“-Stimmen von der Regierungsbank. Man kann sich ja freuen, dass die Bundesregierung nun erneute Änderungen will, aber sie sollte schon zugeben, dass sie ihre Meinung damit zum zweiten Mal ändert. Und sie sollte es auch ehrlich tun: In Brüssel wird gerade eine Reform der europäischen Richtlinien zum Datenschutz diskutiert. Und da setzt sich die Bundesregierung gar nicht für die datenschutzfreundliche „opt-In“ Lösung ein, die sie nun angeblich favorisiert.

Mit freundlichen Grüßen
Kai Gehring MdB

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