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Julia Verlinden
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Regina R. •

Frage an Julia Verlinden von Regina R. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Verlinden,

in Ihrem Kommentar zur Antwort der Bundesregierung zum Gasbedarf und Gasmix bis zum Jahr 2030 fordern Sie, dass fossiles Erdgas durch "biogene und synthetische Gase" ersetzt wird. Können Sie dies bitte genauer definieren?

Sie wenden sich außerdem gegen North Stream 2. Ist Ihnen lieber, dass stattdessen das wesentliche teurere Flüssiggas (LNG) - z. B. Fracking-Gas aus den USA - geliefert wird und die Steuerzahler die LNG-Terminals mitfinanzieren wie in Litauen geschehen? (Das LNG-Terminal hat die EU mit fast einer halben Mrd. Euro gefördert.) Oder von Statoil (Norwegen), das "intensiv an der Frackingförderung in Nordamerika beteiligt ist"? Laut Artikel "TTIP: Freifahrt für Fracking" aus dem Jahr 2015 könnte die US-Volkswirtschaft durch den Export von Öl und Gas, darunter ausdrücklich Flüssiggas und die dazugehörigen Infrastrukturen 800 bis 1800 Mrd. US-Dollar gewinnen. Also auf Kosten der europäischen bzw. deutschen Steuerzahler und Gas-Verbraucher.

Für eine ausführliche Antwort wäre ich dankbar.

Mit freundlichen Grüßen
R. R.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau R.,

vielen Dank für Ihre Frage.
Um die Klimaerhitzung auf unter 2 Grad zu begrenzen, wie es in Paris von der Staatengemeinschaft beschlossen wurde, müssen wir künftig weitgehend auf fossile Energieträger verzichten. Nur so kann es gelingen, die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. Für Deutschland bedeuten die Paris-Ziele, dass wir unsere Treibhausgasemissionen bis 2050 um ca. 95% gegenüber 1990 verringern müssen. Der Kohleausstieg und der Ausbau der erneuerbaren Energien sind dafür ganz entscheidende Schritte. Aber sie reichen nicht aus, auch Erdöl und Erdgas müssen langfristig raus aus unserem Energiemix. Erdgas aus fossilen Quellen, egal ob es nun aus russischen Gasfeldern, aus Norwegen, dem niederländischen Groninger Feld, als LNG aus Katar oder aus US-Fracking-Bohrungen kommt, sollte allerspätestens 2050 nicht mehr eingesetzt werden. Ich habe die Bundesregierung danach gefragt, wie sie den künftigen Gasbedarf einschätzt, weil ich von ihr erwarte, dass sie Pläne entwickelt, die dieses Ziel realistisch erreichbar machen. Noch ist Erdgas die zweitwichtigste Energiequelle in Deutschland nach Erdöl. Das verdeutlicht, was für eine große Aufgabe es wird, den Ausstieg aus dem fossilen Erdgas bis 2050 zu schaffen. Die Bundesregierung macht bisher jedoch keine Anstalten, sich dieses Themas anzunehmen.

Es herrscht weitgehend Einigkeit bei Forschungsinstituten, dass wir auch 2050 noch gasförmige Energieträger brauchen werden, zum Beispiel für bestimmte Prozesse in der Industrie oder für Gaskraftwerke, die dann Strom erzeugen, wenn Wind- und Solarenergie als Stromquellen nicht ausreichen. Wenn dieses Gas nicht mehr aus fossilen Quellen stammen soll, muss es entweder aus biogenen Quellen (zum Beispiel Bioabfälle, Gülle, Algen ...) oder aus synthetischen Quellen stammen, also zum Beispiel, indem mit Strom aus erneuerbaren Energien künstliches Methan oder Wasserstoff hergestellt wird. Biomasse steht uns nur begrenzt zur Verfügung. Synthetisches Methan oder Wasserstoff zu erzeugen, ist aufwendig und weniger effizient als den erneuerbaren Strom direkt zu nutzen. Aus diesen Gründen müssen wir vorrangig den Gasbedarf auf ein Minimum reduzieren, damit wir möglichst wenig synthetische und biogene Gase brauchen.
Mehr Energie einsparen in Haushalten und Industrie spart Gas und reduziert die Abhängigkeit von fossilen Importen. Gas ist bisher noch der wichtigste fossile Energieträger im Wärmemarkt. Klimaschutz und Unabhängigkeit von fossilen Importen geht also nur mit einer Energiewende im Wärmebereich. Damit müssen wir jetzt anfangen. Denn die Investitionszyklen im Heizungs- und Gebäudebereich sind lang. Gebäude, die heute gebaut werden, werden auch noch 2050 genutzt.

Gleichzeitig müssen wir klären, wie wir die Gas-Infrastruktur (das betrifft Gasnetze und Speicher) energiewendetauglich machen. Das heißt, wir wollen sie da erhalten, wo sie der Energiewende dient. Wir wollen kein Steuergeld für falsche Weichenstellungen ausgeben, die wir bei Einhaltung unserer Klimaschutzverpflichtungen nicht mehr brauchen. Dazu zählen zum Beispiel auch Hermesbürgschaften für fossile Pipelineprojekte, also Bürgschaften der Bundesregierung für Unternehmen, die neue Gaspipelines zum Import von Erdgas bauen wollen. Denn wir müssen Erdgas durch CO2-freie Energieträger ersetzen, anstatt Erdgas aus möglichst vielen unterschiedlichen Quellen zu gewinnen (Diversifizierung). Investitionen sollten, zumal, wenn sie mit Steuergeld gefördert werden, in Energieeinsparung und Erneuerbare Energien fließen statt in Erneuerung und Erweiterung fossiler Strukturen. Nur, wenn der Gasbedarf sinkt, wird es uns gelingen, fossiles Erdgas langfristig durch erneuerbare Gase zu ersetzen.

Wir Grüne haben zwei Studien veröffentlicht, die beschreiben, wie eine Versorgung mit 100% erneuerbaren Energien im Wärme- und im Strombereich aussehen könnte, die Sie hier nachlesen können:
- Neue Stromwelt: https://www.gruene-bundestag.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/18-28-Die_neue_Stromwelt-ONLINE.pdf
- Neue Wärmewelt: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/publikationen/18-91-Die_neue_W%C3%A4rmewelt_Innenteil_komplett_webvariante-neutral.pdf

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Herzliche Grüße
Julia Verlinden

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