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Frage von Nico B. •

Frage an Johannes Kahrs von Nico B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Leider verfestigt sich bei mir der Eindruck, das die Politiker aller Parteien nur noch die Erfüllungsgehilfen der Konzerne sind.
Beispiele:
- Transaktionssteuer: trifft nur die Kleinanleger.
- Kassenbonpflicht: die kleinen Geschäftsleute werden drangsaliert, währenddessen die Großkonzene weiterhin ihre Steuervermeidungspolitik ungehindert weiterführen dürfen und Milliarden an Steuern hinterziehen.
- Umweltpolitik: ist für euch nur ein Mittel die Abgaben und Steuern zu erhöhen ohne das etwas für die Umwelt dabei herauskommt.
Autofahren wird zwar teurer, aber zur Arbeit müssen wir trotzdem kommen also kommt keine C02 Ersparnis zustande, da wir nicht auf ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz ausweichen können.
- Umgang mit dem Steuerüberschuss: Anstatt die Mehreinnahmen in den Ausbau der Infrastruktur zu stecken soll das Geld über die Senkung der Unternehmenssteuern an die Industrie verschenkt werden. Später, wenn die Zeiten mal wieder schlechter werden, werden dann die Unternehmenssteuern nicht etwa wieder angehoben , nein dann müssen wieder „alle“ (gemeint sind damit natürlich nur die Bürger) der Gürten enger schnallen.
- Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Organisationen wie Change.org, Campact, Attac usw. währenddessen die Lobbyisten der Konzerne von diesen von der Steuer abgesetzt werden können.
- …
Ich könnte so weiter machen!

Frage:
Wie rechtfertigen Sie den von Ihnen vertretenen Anspruch Politik für das Wohl und die Interessen der Wähler bzw. der Bürger dieses Landes zu machen?

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Antwort von
SPD

Moin Herr B.,

vielen lieben Dank für Ihre Antwort.

Butter bei die Fische, wie wir im Norden sagen:

Thema "Finanztransaktionssteuer":

Natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass bspw. der Derivatenhandel ebenso besteuert wird, wie der „normale“ Aktienhandel.

Am Ende des Tages kommt es aber immer auf die politische Machbarkeit und Durchsetzbarkeit an.

Auch wenn wir eine umfassendere Besteuerung unter Einbeziehung von Derivaten und anderen Finanzprodukten vielfach aus guten Gründen für zweckmäßiger halten, ist diese derzeit weder europäisch noch international durchsetzbar.

Gleich vorneweg nur eins: Die Finanztransaktionssteuer (FTT) ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, auf die noch viele weitere folgen müssen. Das nun von allen Seiten

Kritik auf Olaf Scholz einprasselt ist verständlich, aber genauso verlogen.

Immerhin hat sich da mal jemand rangetraut.

Eine umfassendere Besteuerung, die damit auch stärker gegen Spekulation wirken würde, kann nur international abgestimmt geschehen. Finanzhändler können ansonsten sehr leicht die Handelsplätze, an denen sie handeln, wechseln. Eine breit angelegte FTT war aber derzeit nicht durchsetzbar, weder auf G20- noch auf EU-Ebene. Bei einer isolierten Einführung eine breiten FTT nur in Deutschland wären starke Ausweichreaktionen zu erwarten. Die Auswirkungen wären nicht nur für den Finanzstandort Deutschland und die deutsche Volkswirtschaft insgesamt nachteilig, sondern es wären auch nur geringe Mehreinnahmen zu erzielen.

Grundsätzlich zahlen alle die FTT, die Aktien von börsennotierten Unternehmen erwerben, welche ihren Sitz im Inland haben. In der Praxis wird die Steuer insbesondere von Banken, Finanzdienstleistern und anderen institutionellen Anlegern gezahlt werden.

Die Behauptung, dass die Steuer in erster Linie einkommensschwache Kleinanleger trifft, ist falsch!

Zum einen ist der Anteil der Geschäfte von Privatanlegern am gesamten Handelsvolumen mit deutschen Aktien sehr klein.

Zum anderen steigt der Anteil der Aktienbesitzer mit dem Einkommen deutlich an. Von den Bürgerinnen und Bürgern mit einem monatl. Nettohaushaltseinkommen unter 2000 Euro besitzen rund 6 % Aktien, bei einem Einkommen zwischen 2000 und 3000 Euro besitzen rund 13 % Aktien, bei einem Einkommen zwischen 3000 und 4000 Euro sind es rund 19 % und bei einem Einkommen über 4000 Euro sind es rund 31 %.

Ähnlich stellt sich das Bild bei einem Blick auf die Vermögensverteilung dar: Die 20% der Bürgerinnen und Bürger mit dem niedrigsten Nettovermögen besitzen keine Aktien – bei den 10 % der höchsten Vermögen haben 36% der Haushalte Aktien.

Hinzu kommt, dass nicht der AktienBESITZ besteuert wird, sondern der AktienHANDEL.

Kleinanleger sind keine Aktienhändler und auch keine Spekulanten.

Menschen, die für ihr Alter vorsorgen, sind an langfristigen Anlagen interessiert, nicht an kurzfristigen Kursgewinnen. Sie sparen langfristig, kaufen die Aktien und lassen sie dann über einen längeren Zeitraum im Depot liegen. Die Steuer wird nur einmal beim Kauf der Aktie fällig. Durchschnittliche Privatanleger zahlen also weitaus weniger Steuer als solche, die auf kurzfristige Kursgewinne spekulieren und eine Vielzahl von Transaktionen in kurzer Zeit durchführen.

Das war jetzt auf die Schnelle meine Antwort an Sie, ich hoffe, ich konnte etwas Licht ins Dunkel bringen.

Thema "Kassenbonpflicht":

faire und korrekt abrechnende Einzelhändler, etwa Bäcker, Fleischereien, Gemüsehändler, Wok‘s, Gaststätten, Kioske, Friseure, haben einen riesigen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihren unehrlichen Wettbewerbern. Der Ehrliche ist der Dumme, weil es unfaire Marktteilnehmer bzw. Wettbewerber gibt, die die Mehrwertsteuer hinterziehen, ihre Lieferketten manipulieren und auch Mitarbeiter schwarz oder prekär beschäftigen. Dabei geht es nicht um Peanuts, es geht um zweistellige Milliardenbeträge – jedes Jahr. Wie das möglich ist? Durch Kassenmanipulation. Mit den manipulierten Kassen werden die Umsätze und damit der Gewinn manipuliert.

Dem Staat, also allen Bürgerinnen und Bürgern, gehen durch Steuerbetrug mit manipulierten Kassen jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge verloren. Steuern werden hinterzogen, indem die Umsätze nach unten manipuliert werden. Daneben können manipulierte Kassen auch zur Geldwäsche verwendet werden: Umsätze werden künstlich erhöht, um Geld zu waschen.

Dreh- und Angelpunkt des Betrugs sind die manipulierbaren Kassen. Deshalb haben wir im Dezember 2016 das Kassen-Betrugs-Bekämpfungs-Gesetz beschlossen. Offiziell heißt es: "Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen". Danach sind Händler ab dem 1. Januar 2020 u.a. verpflichtet, ihren Kunden einen Beleg auszustellen, wenn sie über eine elektronische Registrierkasse verfügen. Hier waren auch die Länder, allen voran das Finanzministerium NRW unter Führung von Norbert Walter-Borjans, die treibenden Kräfte.

Während der Handelsverband Deutschland (HDE) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) damals die Gesetzgebung mit dem Ziel der Wettbewerbsgleichheit und Fairness im Markt begrüßt haben, haben CDU und CSU im Schulterschluss mit dem damals CDU geführten BMF wichtige Teile einer klugen Regelung verhindert: So fehlen z.B. die Kassenpflicht und auch die damals verfügbare Kontrollsoftware INSIKA (Integrierte Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme) ist mit den Regelungen nicht kompatibel. INSIKA wurde schon damals in Hamburg erfolgreich bei den Taxiunternehmen eingesetzt. Stattdessen sollte die Industrie eine sogenannte „zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung“ völlig neu entwickeln, für die es damals noch nicht einmal Standards gab. Ein Manöver, mit dem der Kassenbetrug noch einige Jahre ermöglicht wurde – Freiheit des Marktes.

Wir, die SPD Fraktion, haben die Belegausgabepflicht gerettet und damit langfristig die Wirksamkeit des Gesetzes gesichert. Die Belegausgabepflicht war die gemeinsame zentrale Forderung des Bundesrates und der SPD-Bundestagsfraktion, damit Kassenbetrug wirksam bekämpft werden kann. Nur so kann die Finanzverwaltung schnell und einfach prüfen, ob Umsätze korrekt erfasst sind. Das Entdeckungsrisiko der Betrüger steigt. Letztendlich nützt eine Belegausgabepflicht auch der Wirtschaft, weil Prüfungen und Nachschauen durch das Finanzamt damit viel schneller gehen und wesentlich weniger in den Betriebsablauf eingreifen.

Nach nun über drei Jahren Vorbereitungszeit sind die technischen Sicherheitseinrichtungen noch immer nicht ausreichend verfügbar, geschweige denn flächendeckend im Einsatz. Deshalb musste Bundesfinanzminister Olaf Scholz eine Nichtbeanstandungsregelung bis September 2020 erlassen.

Nach nun über drei Jahren, aber nur drei Wochen bevor die Händler ihren Kunden einen Beleg aushändigen müssen, entdecken die Lobbyisten ihr Herz für den Umweltschutz im Kassenbeleg. Die Belegausgabepflicht ist über den Lobby-Druck in die öffentliche Kritik gebracht worden: Sie führe zu unnötigen Müllbergen, außerdem müssten Kassenbelege auf mit schädlichem Bisphenol A (BPA) beschichtetem Papier gedruckt werden, das zu Gesundheitsrisiken für die Beschäftigten führe und nicht als Altpapier wiederverwertet werden könne. Schreckliche Bilder in den einschlägigen Zeitungen. Dabei vergisst die Lobby zu erwähnen, dass die Erstellung des Belegs auch in elektronischer Form erfolgen kann. Hier ist die Wirtschaft gefragt, praxistaugliche Lösungen zu entwickeln. Es gibt bereits erste App-Lösungen, die eine Übertragung des Kassenbons per Nahfeldkommunikation (NFC) auf das Handy des Kunden ermöglichen.
Es freut uns trotzdem sehr, dass sich die Lobby über gesundes Kassenbonpapier Gedanken macht. Deshalb hier der Hinweis: BPA-beschichtetes Papier muss nicht verwendet werden. Es gibt BPA-freies Thermopapier.

Etwas irritierend ist, dass die vergleichbare Belegausgabe bei Kartenzahlung kein Thema ist, denn immer mehr Kunden bezahlen schon heute auch kleine Beträge mit der Karte.

Allerdings sind wir dankbar, dass sich die Lobby dem Umweltaspekt hinsichtlich der Kassenbons annimmt, weil das darauf schließen lässt, dass auch hinsichtlich der angebotenen Waren und ihrer Verpackungen eine ähnliche Sensibilität an den Tag gelegt wird. Aluminiumfolie, Verbundmaterialien, Kunststoffe, künstliche Aromate, kein Verkauf von Tabak, große Umverpackungen bis zur Einzeltüte für die Brötchen…

Last but not least: was die Österreicher, die Italiener und eine Reihe anderer Staaten können, wird uns nicht vor unlösbare Probleme stellen…

Thema "Umweltpolitik":

Wir haben ein vernünftiges, sozial verträgliches Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht, nähere Informationen gibt es unter https://www.bmu.de/mehrklimaschutz/

Thema "Steuerüberschuss":

Nein, das ist nicht der Fall.

Thema "Aberkennung Gemeinnützigkeit":
Hierzu verweise ich auf meine Antwort unter: https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/johannes-kahrs/question/2020-02-02/332543

Fröhlicher Gruß

Ihr

Johannes Kahrs