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Frage von Ralf Paul R. •

Frage an Johannes Kahrs von Ralf Paul R. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau / Sehr geehrter Herr
mit einer Gruppe von Interessierten Wählerinnen und Wählern haben wir ein paar Fragen ausgearbeitet, auf die wir gerne persönliche Antworten der Direkt-Kandidatinnen und -Kandidaten haben möchten.

Wir werden Ihre Antworten in unserem kleinen Forum vortragen und diskutieren.

1.) "Als Bürger der Bundesrepublik Deutschland wünsche ich mir als, über Erststimme direkt in den Bundestag gewählten, Volksvertreter eine Person, die "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" ist (GG §38.1). Wie ernst nehmen Sie in Abstimmungsfragen, bei denen ein (wenn auch versteckter) Fraktionszwang angemahnt wird, die Verpflichtung, nur dem eigenen Gewissen und den Interessen der Wähler Ihres Erststimmen-Wahlkreises gemäß abzustimmen?"

2.) "Die gewaltigen Schuldsummen von Staat und Ländern sind für mich erschreckend und beängstigend.
Welche Lösungsvorschläge sehen Sie, dieses Schuldenfiasko systematisch in den Griff zu bekommen, ohne mit der Ausrede einer ´allgemeinen Haushalts-Notlage´ wichtige und gesellschaftlich unverzichtbare Leistungsbereiche mit Kürzungen oder Streichungen zu belasten?"

3.) "Der in Wahlkampfreden verwendete Arbeitsbegriff ist m.E. heute nicht mehr zeitgemäß, da er nur die herkömmlichen Arbeitsverhältnisse (sprich: Erwerbsarbeit) berücksichtigt. Wie stehen Sie persönlich zum tradierten Begriff ´Arbeit´? Werden Sie Sich persönlich als Volksvertreter für eine Neuausrichtung des Arbeitsbegriffes auf Themenwelten wie Familienarbeit, soziales Engagement, kulturelle Wertschaffung und Ähnliches unter Berücksichtigung einer angemessenen Entlohnung einsetzen? Wie ist Ihre Meinung zu dem Vorschlag eines allgemeinen ´Bürgergeldes´, bzw. einer ´Grundsicherung für Alle´?"

Wir danken für Ihre aufrichtigen Antworten.
i.A. Ralf Randau, Hamburg.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Randau,

vielen Dank für Ihre Fragen. Ich werde Sie einzeln beantworten.

I. Zum Thema „Fraktionsdisziplin vs. freies Mandat“ habe ich mich hier auf Abgeordnetenwatch schon einige Male geäußert. Grundsätzlich ist es so, dass selbstverständlich jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet ist, wie es der Art.38 des Grundgesetzes festlegt. Weder Partei noch Fraktion noch irgendjemand sonst (auch nicht, wie Sie in Ihrer Frage implizieren, die Wähler) kann einem Abgeordneten ein bestimmtes Abstimmungsverhalten vorschreiben.

Allerdings ist es bei der großen Mehrheit der vom Bundestag zu entscheidenden Fragen so, dass es sich dabei nicht um Gewissensentscheidungen im Sinne einer schwerwiegenden, das persönliche moralisch-ethische Wertegerüst berührende Abwägung handelt. Im Allgemeinen wird das Abstimmungsverhalten der SPD-Fraktion (und auch der anderen Fraktionen) nach dem Mehrheitsprinzip festgelegt, d.h., nach dem Prozess der Willensbildung innerhalb der Fraktion wird geschlossen so abgestimmt, wie es die Mehrheit der Fraktionsangehörigen beabsichtigt. Das hat damit zu tun, das man als Fraktion berechenbarer und verlässlich sein will. Mit der Gewissensfreiheit der einzelnen Abgeordneten kollidiert dieses Prinzip nicht, denn selbstverständlich ist auch die Mehrheitsentscheidung der Fraktion nicht rechtlich bindend. In den seltenen Fällen, in denen ein Abgeordneter sich außerstande sieht, mit der Mehrheit der Fraktion zu stimmen, wird er dies vorher ankündigen und hat selbstverständlich sowohl die Gelegenheit, seinen Standpunkt zu verdeutlichen als auch jedes Recht, bei der Abstimmung im Bundestag seinem Gewissen zu folgen. Wie gesagt, solche Fälle sind selten, weil die meisten Entscheidungen nicht Gewissensentscheidungen im engeren Sinne sind (Beispiel: Milchviehhaltungsverordnungen berühren mich als Abgeordneten des städtischen Wahlkreises Hamburg-Mitte beruflich eher weniger. Ich habe zugegebenermaßen auch relativ wenig Ahnung von der Thematik. Deshalb werde ich mich in so einer Frage bei meinem Abstimmungsverhalten nach den Experten der Fraktion richten, und ich gehe davon aus, dass eine Abstimmung zu diesem Thema auch für die übrigen Abgeordneten keine schwerwiegende Gewissensentscheidung darstellt).

In der Regel wird bei Fragen, die eindeutig das Gewissen der Bundestagsabgeordneten berühren, die Fraktionsdisziplin aufgehoben. Das ist in der Regel bei namentlichen Abstimmungen der Fall, in denen der Bürger klar erkennen soll, wie ein bestimmter Abgeordneter gestimmt hat (das kann man hier auf Abgeordnetenwatch sehr gut verfolgen). Ein klassischer Fall einer reinen Gewissensabstimmung ist z.B. eine etwaige Änderung des Paragraphen 218. Hier kann mit Fug und Recht nicht einfach die Mehrheit der Fraktion die Marschrichtung für alle vorgeben, und die anschließenden Abstimmungen zeigen meist auch, dass die Bundestagsabgeordneten quer durch alle Fraktionen „durcheinander stimmen“, also von ihrer Gewissensfreiheit regen Gebrauch machen.

II. Die SPD hat unter der rot-grünen genauso wie in der Großen Koalition konsequent eine Finanzpolitik betrieben, die einerseits die Konsolidierung des Staatshaushaltes, andererseits den Erhalt der staatlichen Handlungsmöglichkeiten zum Ziel hatte. Unter Bundesfinanzminister Peer Steinbrück kamen wir dem Ziel des ausgeglichenen Staatshaushaltes sehr nahe und haben dabei das Ziel des sozialen Ausgleichs nicht aus den Augen verloren. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat uns im letzten Jahr vor große Herausforderungen gestellt. Gerade wegen der vorausschauenden und vernünftigen Politik der letzten Jahre ist Deutschland aber weitaus besser für die Folgen der Krise gerüstet als viele andere Länder. Zwar zwang die Krise die Bundesrepublik dazu, die Staatsverschuldung zu erhöhen, gleichzeitig ist die Fähigkeit, nach der Krise wieder das Ziel des ausgeglichen Haushaltes zu verfolgen, hierzulande besser als noch vor 11 Jahren, als Schwarz-Gelb mit dem Rekordschuldenminister Theo Waigel regierte. Selbstverständlich wird die SPD die grundlegenden sozialen Errungenschaften nicht aus finanziellen Gründen zusammenstreichen. Im Gegenteil: wir sind die einzige Partei, die sowohl soziale als auch wirtschaftliche Kompetenz besitzt und damit die Fähigkeit, Deutschland sicher, d.h. unter Beibehaltung des Sozialstaates aus der Krise zu führen. Anders als die Mitbewerber von Union und FDP geben wir auch bewusst keine Erklärungen ab, nach der Wahl die Steuern für alle zu senken. Wir bleiben ehrlich und wissen, dass es in der derzeitigen Lage nicht möglich ist, Steuern zu senken (es sei denn für die kleinen Einkommen, für die wir den Eingangssteuersatz senken werden), ohne dabei Streichungen an anderer Stelle vorzunehmen.

III. Ich sehe keinen Anlass, vom herkömmlichen Verständnis des Arbeitsbegriffes abzurücken. Zwar kann ich Ihre Haltung nachvollziehen und betrachte ehrenamtliches, familiäres und kulturelles Engagement als gesellschaftlich unverzichtbar, doch bin ich Pragmatiker und halte es in dieser Frage so wie die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Zum Bedingungslosen Grundeinkommen: bitte sehen Sie es mir nach, dass ich in meiner Antwort auf Ihre Frage auf eine etwas ältere zum Thema zurückgreife. An meiner Haltung hat sich nichts geändert.

Das Thema soziale Gerechtigkeit ist seit Gründung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vor fast 150 Jahren Kernbestand unserer Politik. Wir Sozialdemokraten wollen, dass ALLE Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in Würde leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen werden wir dieses Ziel jedoch nicht erreichen können. Ich lehne dieses Modell aus folgenden Gründen entschieden ab:

1. Das Bedingungslose Grundeinkommen setzt allein auf monetäre Transferleistungen. Eine gezielte Förderung von Erwerbslosen ist so nicht mehr möglich.

2. Unser Sozialstaat lebt vom Prinzip der Bedürftigkeit. Es ist Aufgabe des Staates, denjenigen zu helfen, die in Not geraten sind. An diesem Prinzip wollen wir festhalten.

3. Durch die höhere Besteuerung von nichtselbständiger Arbeit wird die Arbeitsaufnahme gerade in den unteren Einkommensgruppen unattraktiv.
Die SPD kämpft gegen Lohndumping. Unternehmen dürfen sich schöne Bilanzen nicht durch niedrige Löhne erkaufen. Ich bleibe dabei: wer den ganzen Tag arbeitet, muss von diesem Gehalt auch leben können. Das Bedingungslose Grundeinkommen würde Unternehmen aus der Pflicht nehmen, für eine gerechte Entlohnung zu sorgen. Dies kann nicht zugelassen werden. Ich werde mich daher entschieden für die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns und vernünftiger Tariflöhne deutlich über den Mindestlöhnen einsetzen.

Das Bedingungslose Grundeinkommen ist nicht mehr als eine Stillhalteprämie, die auf die individuellen Probleme des Einzelnen nicht eingeht. Daher setze ich auf einen aktivierenden Sozialstaat.
Aktivierender Sozialstaat heißt für mich:

1. Jede Bürgerin und jeder Bürger wird in die Lage versetzt, sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Durch kostenlose Bildung vom Kindergarten bis zur Universität wollen wir den Grundstein dafür legen. Denn wer nicht in Bildung investiert, schafft die soziale Ungleichheit von morgen.

2. Die Lebensläufe sind brüchiger geworden. Ein aktivierender Sozialstaat gibt Hilfestellungen, damit alle Menschen Schritt halten können.

3. Ich will einen Ausbau der sozialen Infrastruktur. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, eine gute Gesundheitspolitik, eine –wie bereits erwähnt- gute Bildungspolitik helfen den Menschen mehr als ein Grundeinkommen –egal in welcher Höhe.

Natürlich werden wir Sozialdemokraten immer darauf achten, dass denjenigen, die in Not geraten, mit Geldtransfers eine soziale und kulturelle Teilhabe ermöglicht wird. Dieses ist aber nur EIN Baustein unseres Sozialstaatsverständnisses.
Die Umsetzung dieser Ziele in konkrete Politik wird nicht billig werden. Um den Faktor Arbeit nicht zu stark zu belasten, setzen wir auf eine stärkere Steuerfinanzierung des Sozialstaats. Dies bedeutet für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Netto vom Brutto und für alle Unternehmen ebenfalls sinkende Personalkosten. Somit werden alle –auch Beamte und Selbständige- stärker in die Pflicht genommen, den Sozialstaat mitzufinanzieren.

Ich hoffe, Ihre Fragen beantwortet zu haben und verbleibe

mit freundlichen Grüßen,

Johannes Kahrs