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Frage von Jonathan M. •

Frage an Jo Leinen von Jonathan M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Leinen,

aufgrund Ihrer Mitgliedschaft im Ausschuss für konstitutionelle Fragen möchte ich folgende Frage bezüglich des Vertrags von Lissabon an Sie richten:

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 III EUV auf die regionale und lokale Ebene ausgeweitet. Demnach darf die Gemeinschaft (bei nicht ausschließlichen Zuständigkeiten) nur tätig werden, wenn
1 das Ziel der in Betracht gezogenenen Maßnahmen weder auf zentraler, regionaler oder lokaler Ebene der Mitgliedstaaten ausreichend errreicht werden kann,
2. sondern die Gemeinschaft dies aufgrund des Umfangs und der Wirkungen besser kann.

Die Einschätzung ob Regionen oder lokale Gebietskörperschaften etwas "nicht ausreichend" können, müsste demnach eine Beurteilung seitens der EU-Organe erfordern.

Ist es daher möglich, dass die Kommission die Fähigkeiten der Regionen und lokalen Gebietskörperschaften direkt beurteilt, wo doch die innerstaatliche Organisationsgewalt immer noch den Mitgliedstaaten verbleibt? Stellt diese Vorgehensweise an sich nicht bereits einen groben Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip gegenüber den Mitgliedstaaten dar?

Über eine rasche Beantwortung der Frage wäre ich sehr erfreut.

Mit den besten Grüßen
Jonathan Mayer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Mayer,

vielen Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an der Funktionsweise der Europäischen Union.

Die Ausweitung des Subsidiaritätsprinzips ist eine der wichtigen, positiven Neuerungen, die der Lissabon-Vertrag für die Arbeitsweise der EU einführt.

Zu Ihrer Frage: Der Lissabon-Vertrag geht im "Protokoll (Nr.2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit" genau auf diesen Punkt ein.

Er regelt, dass die Feststellung darüber, dass ein Ziel der Union besser auf Unionsebene erreicht werden kann, auf qualitativen und, soweit möglich, quantitativen Kriterien beruhen soll. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die finanzielle Belastung und der Verwaltungsaufwand der Union, der nationalen Regierungen, der regionalen und lokalen Behörden, der Wirtschaftsteilnehmer und der Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen müssen.

Der Lissabon-Vertrag führt auch die Möglichkeit der sogenannten "gelben Karte" ein. Damit können nationale Parlamente (ggf. in Rücksprache mit regionalen Parlamenten) binnen acht Wochen erklären, weshalb ein bestimmter Gesetzesentwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Wenn 1/3 der nationalen Parlamente der EU-Länder der Ansicht ist, dass das Subsidiaritätsprinzip verletzt wurde, kann der Gesetzesvorschlag zurückgezogen oder ggf. geändert werden.

In letzter Instanz können Mitgliedstaaten der EU auch vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsaktes gegen das Subsidiaritätsprinzip einreichen.

Die innerstaatliche Organisation wird also durch den Lissabon-Vertrag nicht in Frage gestellt, sondern im Gegenteil deutlich gestärkt. Nationale bzw. sogar regionale Parlamente erhalten neue Mitspracherechte, insbesondere wenn es um Subsidiaritätsfragen geht.

Büro Jo Leinen, MdEP