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Frage von Ralf K. •

Frage an Jo Leinen von Ralf K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Leinen,

ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit nahmen,
meine Fragen zu beantworten.

Wenngleich mir bewusst ist, dass Ihnen für Ihre geleistete Arbeit eine Ruhepause zusteht, wie jedem Werktätigen auch, erlaube ich mir trotzdem, hierzu nochmals nachzufragen:

1. Ist es nicht billig und in gewissem Masse auch schäbig, die Bedenken einzelner Abgeordneter durch das Aufdrücken von Labels wie "rechts und links" zu diskreditieren?

Ich verfolge Ihre politische Karriere schon lange, und ich bin mir daher recht sicher, dass Sie sich vor einigen Jahren gegen derartig unsachliche Äußerungen Ihnen gegenüber - völlig zu Recht - empört hätten.

Ganz grundlos ist seitens des Herrn Gauweiler - dessen politische Auffassungen ich übrigens größtenteils keineswegs teile - in der Vergangenheit gegen die Entwicklung der EU ja offensichtlich nicht geklagt worden, wenngleich uns unsere Meinungsführer stets, wie auch jetzt, das Gegenteil weis zu machen versuchten.

Ihrer Logik bezüglich Unterzeichnung und anschließender Nichthinterlegung des Gesetzes in Rom zu folgen, fällt schwer.

2. Hätte dies nicht allein den Grund, den Druck auf jene Länder zu erhöhen, die noch nicht zugestimmt haben?

3. Wenn aber, wie es das BVG zu sehen scheint, berechtigte Zweifel an der Verfassungskonformität dieses Vertrages nicht auszuschließen sind, warum dann als demokratische Republikaner, die wir doch wohl alle sind, diesen Druck aufbauen?

"Sollte der Vertrag bis dahin aber nicht in trockenen Tüchern sein, werden weiterhin die nationalen Regierungen hinter verschlossenen Türen die Besetzung der Kommission ausklüngeln"

4. Habt Ihr alle uns dieses Verfahren nicht mal als mit demokratischen Prinzipien zu vereinbaren verkauft?

5. Warum sollten wir eigentlich angesichts der - für die Masse der Bevölkerung - Unlesbarkeit des Lissabon-Vertrages diesmal glauben, dass es besser wird?

Ja, ich bin nur ein dummer, aber interessierter Bürger, doch lasse ich mich ungern veralbern!

Mit demokratischem Gruß

R. Kulikowsky

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kulikowsky,

ich denke die meisten Ihrer Fragen wurden von mir in meinem ersten Beitrag und von vielen anderen Europaabgeordneten und Bundestagsabgeordneten beantwortet. Trotzdem gehe ich gerne noch einmal auf Ihre Positionen ein:

1. Die Parteienlandschaften in fast allen Ländern der Welt gliedern sich nach linkeren und rechteren Parteien, das hat nichts mit "Labelling" zu tun. Das erstaunliche bei der Debatte über Europa ist, dass sehr Linke und sehr Rechte Politiker auf identische Argumente zurückgreifen, die aber leider mit der Realität wenig zu tun haben und populistisch sind. Insbesondere das Argument, der neue Vertrag wäre undemokratisch, ist an den Haaren herbeigezogen. Nationale Parlamente und das Europäische Parlament werden mit dem Vertrag von Lissabon gestärkt, der Präsident der Europäischen Kommission direkt vom Europäischen Parlament gewählt und ein europäisches Bürgerbegehren eingeführt.

2. Jedes Ratifizierungsverfahren ist mehrstufig. Es schließt unter anderem die Übermittlung der Regierung an die Parlamente, die Abstimmung in beiden Kammern, die Unterzeichnung des Staatsoberhauptes und die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in Rom ein. Es gibt keine Regel, ob der Bundespräsident bei einem anhängigen Verfahren vor dem Verfassungsgericht mit seiner Unterschrift warten muss, oder lediglich mit der Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde. Ich denke der Präsident hätte durch seine Unterschrift besser zum Ausdruck bringen können, dass Deutschland hinter dem Vertrag von Lissabon steht, der uns mehr Demokratie und Transparenz bringt. In der Tat würde das ein Signal an die anderen Mitgliedstaaten sein. Ich muss auch daran erinnern, dass mit der Unterschrift des Vertrages alle Mitgliedstaten sich verpflichtet haben, den Vertrag erfolgreich zu ratifizieren. Ohne diese Verpflichtung wären internationale Verträge das Papier nicht Wert, auf das sie geschrieben werden.

3. Noch hat das Verfassungsgericht nichts entschieden, ob es Zweifel hat, kann daher noch niemand beurteilen. Ich bin mir aber relativ sicher, dass der Vertrag von Lissabon mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

4. Dass das derzeitige Verfahren zur Ernennung der Kommission - welches bestehen bleibt, wenn der Vertrag von Lissabon nicht in Kraft tritt - nicht demokratisch ist, habe ich in der Vergangenheit sehr oft kritisiert. Erst mit dem Vertrag von Lissabon wird das Ergebnis der Europawahl direkte Auswirkungen auf die Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission haben.

5. Leider wurde der lesbarere Verfassungsvertrag abgelehnt und wir müssen mit dem weniger übersichtlicheren Vertrag von Lissabon vorlieb nehmen. Aber wer sich insbesondere die ersten Artikel anschaut, bekommt einen guten Überblick über die Ziele, Aufgaben und Institutionen in der EU. Wenn man den neuen Vertrag mit dem bisherigen Vertrag vergleicht, findet man sehr viele Aspekte, die sich verbessern. Ich kann Ihnen dazu die Lektüre meiner Broschüre "Die Gewinner von Lissabon" nur ans Herz legen: http://www.joleinen.de/index.php?id=1635&file=0A609B0&no_cache=1&uid=3785

Mit freundlichen Grüßen

Jo Leinen