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Frage von Michael B. •

Frage an Inge Höger von Michael B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Höger,

mit Bezug auf Ihre Teilnahme an dem "Gaza Konvoi" im Mai 2010, sprachen Sie davon das sich Menschen in Gaza in grundsätzlicher struktureller Not befänden. Die Blockade müßte dringend durchbrochen werden, um Waren zu liefern. Nach Umleitung der Schiffe wurden die Waren auf dem Landweg nach Gaza transportiert, dort verweigerte man die Annahme der kontrollierten Sendung (1).

Nun überrascht es mich sehr das nur zwei Monate später die "Gaza Mall" (2), ein riesiges modernes Einkaufszentrum wie man es selbst in Deutschland nur selten findet eröffnet wurde. "Gaza Mall" hat ein spektakuläres Warenangebot von Supermarktartikeln über Spielzeug zu eleganten Herrenschuhen und feiner Damen-Unterwäsche.
Woher stammen die Waren? Da ja angeblich die Notwedigkeit bestünde rostige Rollstühle und abgelaufen Medikamente per Schiffskonvoi nach Gaza zu transportieren.

Freundliche Grüße, Bartsch

(1) http://www.n-tv.de/politik/IHH-schickt-weitere-Gaza-Konvois-article903463.html
(2) http://www.gazamall.ps/

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Bartsch,

Vielen Dank für Ihre Frage. Sie haben Recht, dass sich die Versorgungslage in Gaza anscheinend verbessert hat. Das bedeutet, dass das Angebot an vor Ort erhältlichen Konsumgütern in den letzten Monaten gewachsen ist. Das ist eine Folge der öffentlichen Aufmerksamkeit, die durch die Solidaritätsflotte und den brutalen israelischen Überfall auf die Blockade Gazas gelenkt wurde. Die damals existierende "Positivliste" wurde durch eine "Negativliste" ersetzt. Die Verfügbarkeit der Güter allein hat jedoch kaum Aussagekraft, wenn wir ausblenden, dass die Preise für die zu großen Teilen aus Ägypten importierten Güter für die meisten Menschen in Gaza unbezahlbar sind.

Selbst die EU-Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton kritisiert, dass Israel seinen eigenen Versprechen nicht nachgekommen ist und die Blockade effektiv aufrecht hält. Die israelische Regierung beabsichtigt damit die Verschlechterung der Lebenssituation der Bevölkerung Gazas. Dass es bei der Blockade nicht um die israelische "Sicherheit" geht, bestätigen Dokumente, zu deren Freigabe die israelische Regierung gezwungen wurde ( http://tinyurl.com/2dqt595 ). Bis 2007 überquerten monatlich bis zu 6000 LKW mit humanitären Gütern die Grenze nach Gaza, nach dem Krieg gegen Gaza bewegt sich diese Zahl bei einem Drittel ( http://tinyurl.com/25zslaf ). Nach wie vor gesperrt sind die Grenzen für Baumaterialien. Selbst dem UN-Hilfswerk UNRWA wird nicht gestattet, ihre Schulen wieder aufzubauen. Damit soll verhindert werden, dass die Einwohner Gazas, zum größten Teil mehrfach Vertriebene, sich dauerhaft vor Ort ansiedeln können. Während vor Beginn der Blockade anlässlich des demokratischen Wahlsieges der Hamas 2007 monatlich im Schnitt 7400 LKW mit Baumaterial die Grenzen passieren durften, waren es nach dem Ende der Operation „Gegossenes Blei“ noch ganze 4 LKW monatlich. Die Menschen Gazas sind gezwungen, die Zerstörung von mindestens 600000 t Baumaterial durch den Angriff 2008/2009 allein durch Baumaterial auszugleichen, welches zu entsprechenden Preisen den Weg aus Ägypten durch die Tunnel nach Gaza findet. Klärwerke können genau so wenig repariert werden wie Kraftwerke und andere Infrastruktur.

Die angebliche Verbesserung der Versorgungslage in Gaza ist also mit Vorsicht zu genießen. Der Mangel wächst: Ungefähr 52 % der Kinder leiden an Unter- und Mangelernährung ( http://www.imemc.org/article/59031 ). Ein Kilogramm Tomaten kostet rund 2 €, das ist weit mehr als das durchschnittliche Tageseinkommen pro Kopf. 80 % der Bewohner Gazas sind von Lebensmittelhilfsleistungen der UN und anderer Hilfsorganisationen abhängig.

Wie wir sehen, ist also das Durchbrechen der Blockade nach wie vor absolut notwendig, um den Menschen Gazas wieder ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen. Die „strukturelle Not“ ist nach wie vor gegeben: Sie betrifft Gesundheitsversorgung, Hygiene, Wasserversorgung, Baustoffe, Bewegungsfreiheit, Produktion etc.

Dass Sie die gewaltsame Übernahme der Schiffe und die Ermordung von 9 friedlichen Aktivisten als „Umleitung“ bezeichnen, verwundert angesichts der zugänglichen Quellen, die eindeutig belegen, dass es sich um einen bewaffneten Überfall auf Hoher See auf eine humanitäre Flotte handelte. Die Verweigerung der Annahme der Waren durch die Behörden in Gaza, die Sie erwähnen, hatte folgenden konkreten Hintergrund: Die klare Bedingung der Behörden in Gaza für die Annahme der Spenden war, dass ALLE Waren übergeben werden, dass die auf den Schiffen Gekidnappten AktivistInnen frei gelassen werden und dass die Spenden durch die Spender und nicht durch die Räuber übergeben werden. Israel war nicht bereit, auch nur eine dieser Bedingungen zu erfüllen. Im Gegenteil: Viele der Waren wurden sabotiert und beschädigt. Ihre Informationen über „rostige Rollstühle“ und „abgelaufene Medikamente“, die übergeben werden sollten, entsprechen nicht der Wahrheit. Es gab keine abgelaufenen Medikamente in der Hilfslieferung. Die „rostigen Rollstühle“ waren elektrische, fabrikneue Produkte, die allerdings ohne die Batterien, die Israel einbehalten wollte, nicht funktionieren.

Nun zu der Eröffnung des „Gaza-Malls“, die Sie in Ihrer Frage an mich skandalisieren. Ich möchte stark dafür plädieren, die Kirche im Dorf zu lassen. Falls Sie der Meinung sind, dass dieses „Einkaufszentrum“ seinesgleichen in Deutschland suche, kann ich Ihnen den Besuch der Einkaufsstraße einer beliebigen Kleinstadt in unserem Land empfehlen. Sie sprechen von einem „riesigen“ Einkaufszentrum, so „riesig“, dass es in Deutschland kaum zu finden sei, mit einem „spektakulären“ Warenangebot. Die Wahrheit ist, dass es sich bei der „Gaza Mall“ um ein zweistöckiges Gebäude handelt. Es gibt im unteren Geschoss der Mall ein Lebensmittelgeschäft und einen Schnellimbiss. Oben befinden sich insgesamt neun Geschäfte. Der Keller der Mall bietet neun Autos Platz. Der Aufreger, es gäbe dort auch Herrenschuhe und Damenunterwäsche, erschließt sich mir nicht wirklich. Ich denke nicht, dass es ein unberechtigtes oder gar luxuriöses Bedürfnis ist, Unterwäsche oder Schuhe tragen zu wollen. Ich persönlich gestehe das Tragen von Unterwäsche und Schuhen allen Menschen zu.

In der Hoffnung, zu Ihrer Informationen und Meinungsbildung beigetragen zu haben verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,

Inge Höger