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Henning Hintze
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Frage von Renate D. •

Frage an Henning Hintze von Renate D. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Hintze,
Warum versagen die Medien, wenn es darum geht, wirtschaftliche Zusammenhänge aufzuzeigen, statt Hofberichterstattung zu betreiben. Liegt es daran, daß sie primär Wirtschaftsinteressen verpflichtet sind. Warum werden wir nicht umfassend über die Verursacher der Krise und Ihre Cassino-Mentalität aufgeklärt ?

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Sehr geehrte Frau Distler,

die Frage, die Sie stellen, ist sehr wichtig: sie berührt die Grundlagen unserer Demokratie. Die Mütter und Vater des Grundgesetzes haben die Presse als vierte Gewalt verstanden, als konstituierenden Teil unserer Demokratie, der zu unabhängiger Meinungsbildung beiträgt. Die Wirklichkeit sieht bedauerlicherweise heute völlig anders aus. Hatte der eher konservative Publizist Paul Sethe die Pressefreiheit Anfang der 60er Jahre als die "Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu veröffentlichen," bezeichnet (in einem berühmt gewordenen Leserbrief an den "Spiegel"), so bestimmen heute nicht mehr 200 reiche Leute sondern im wesentlichen ein Dutzend große Medienkonzerne die Presse in Deutschland. Als der Verkauf der "Süddeutschen Zeitung", eine der etwas qualitätsvolleren Zeitungen des Landes bevorstand - der inzwischen vollzogen ist - , warnte der Philosoph Jürgen Habermas, daß ohne Qualitätszeitungen eine Grundlage der Demokratie gefährdet sei. Habermas machte einen äußerst ungewöhnlichen Vorschlag, der in Politikerkreisen nicht den geringsten Widerhall fand, obgleich er, um das modische Wort zu gebrauchen, "systemrelevant" für die Demokratie ist: Qualitätszeitungen mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen, damit sie ihre Qualität halten und qualifizierte Meinungsbildung ermöglichen können. Damit geht der Qualitätsverfall der Presse, die vor allem gute Renditen zum Ziel hat, weiter - zulasten derjenigen Menschen, die eine fundierte, unabhängige Berichteratttung wünschen, und zulasten der Demokratie.

Sie haben vollkommen recht, sehr geehrte Frau Distler, die Zeitungen sind vor allem Wirtschaftsinteressen, konkreter: den Wünschen ihrer großen Anzeigenkunden, verpflichtet. Das trifft keineswegs nur auf die Wirtschaftberichterstattung zu, auch wenn es hier besonders deutlich ist. Wenn Sie mir auch nur fünf deutsche Tageszeitungen nennen sollten, die den geplanten Börsengang der Bahn als gefährlich oder verhängnisvoll eingeschätzt hätten, wären nicht nur Sie überfordert. Oder noch krasser: Das verheerende Finanzdebakel, mit dem wir es nicht nur jetzt zu tun haben, sondern das und auf viele, viele Jahre belasten wird, hat keine einzige deutsche Zeitung rechtzeitig erkannt und vor den Folgen gewarnt - ich zitiere sinngemäß Caspar Dohmen, Wirtschaftsredakteir der "Süddeutschen Zeitung" (bei der Winterschule von Attac München zum Thema Medien im Januar).

Kritische Berichterstattung, Kontrolle der Mächtigen des Landes - und das ist keineswegs nur die Regierung, sondern das sind vor allem Banken und Wirtschaftsverbände - ist nur möglich, wenn Redaktionen personell gut ausgestattet sind. Daran wird jedoch seit Jahren gespart. Der Vertrag von Toll Collect, dem halbprivaten Unternehmen für Autobahngebühren ist rund 18.000 Seiten lang - welcher Wirtschaftsredakteur unter Streßbedingungen kann einen solchen Vertrag überhaupt lesen? Ich vermute: kein einziger.

Die Defizite der Pressseberichterstattung sind aber keineswegs auf wirtschaftliche Vorgänge beschränkt, im politischen Bereich sind sie ebenso - in einem wirklich beängstigendem Ausmaß - festzustellen. Wir erfahren die Wahrheit über die Situation in Afghanistan nur sehr reduziert oder kaum aus den Kommerzzeitungen, ebenso wenig wie die Wahrheit über das Ausmaß der täglichen Erniedrigung und Demütigung der Palästinenser in Gaza oder der Westbank. Über Palästina erfährt man wesentlich Zuverlässigeres z. B. in unserem Nachbarland Schweiz. Ein Armutszeignis für die deutsche Presse.

Auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann ich hier aus Platzgründen nicht weiter eingehen. Nur so viel: Auch er hat wesentlich an Qualität eingebüßt. Das hängt vor allem damit zusammen, daß die Führungspositionen fast ausschließlich von Parteimitgliedern der CDU/CSU oder der SPD besetzt werden. Ich habe selbst einige Jahre beim NDR und bei der Deutschen Welle als Redakteur gearbeitet und die Auswirkungen socler Besetzung von Leitungspositionen am eigenen Leib erfahren.

Daß wir über die Verursacher der Krise und ihre Casino-Mentalität von den etablierten Medien nicht aufgeklärt werden, hat meines Erachtens systemimmanente Gründe. Die Empfehlung für die bevorststehenden Bundestagswahlen auf meinem Wahlplakat lautet daher: Rote Karte für die Wegbereiter der Krise!

Mit freundlichen Grüßen

Henning Hintze