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Frage von Robert Jacques Sauer - Mengen, Krs. S. •

Frage an Hans-Martin Haller von Robert Jacques Sauer - Mengen, Krs. S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Haller,

wenn Sie erlauben, möchte ich eine Anschlußfrage an Ihre Antwort für Frau Leitz stellen:

Sie schreiben -und die Praxis unterlegt dies- daß Rentner mit Behinderung und Erwerbsunfähige durch Behinderung von der Förderung einer Hilfe zur Mobilität (KFZ-Hilfe) weitgehend ausgeschlossen sind, während ein abhängig arbeitender Behinderter, ein zur Arbeitsvermittlung anstehender Behinderter oder ein Erwerbsunfähiger bei Wegfall der Erwerbsunfähigkeit durch die KFZ-Hilfe mit einer solchen Hilfe einkommensabhängig rechnen können.

Im Kreis Sigmaringen gibt es mindestens zwei Querschnittsgelähmte, die -jeder für sich und unabhängig voneinander- folgende, frühere Vita aufwiesen:

1) Eine Frau, die trotz ihrer Querschnittslähmung 3 Kinder zur Welt gebracht hat, diese zusammen mit ihrem Ehemann aufgezogen, erzogen, schulisch begleitet hat, sozial-gesellschaftlich begleitet hat und zu drei ordentlichen Steuezahlern großgezogen hat.

Ist die Arbeit dieser Frau, die als behinderte Hausfrau der Gesellschaft und dem Staat drei Kinder nebst einem dazugehörenden Haushalt mit allem Drum und Dran, auch mit zig Fahrten mit den damaligen Kindern zur Schule, den Vereinen, den Elternabenden, zum Arzt etc. fahren mußte, denn nicht wert, als KFZ-förderungswürdige Arbeit anerkannt zu werden? Nur, weil diese Frau keine abgabenpflichtige Arbeit hat, wohl aber das dreifache an Arbeit in der Kindererziehung geleistet hat, wird so eine Arbeit nicht anerkannt!
Das ist Ungerecht bis oben hin!

2) Ein Querschnittsgelähmter erzieht seine Tochter nach Scheidung alleine, mit allen o.g. Notwenigkeiten. Auch er bekommt als EU-Rentner keine Hilfe mehr für ein KFZ und muß sich letztlich deswegen aus der `Teilhabe´ zurück ziehen.

Sind diese Menschen es nicht wert, daß man deren `Arbeit´ auch anerkennt und deren Mobilität dazu fördert? Ist das `Teilhabe´ ?

MfG
Robert Jacques Sauer; Mengen Krs. SIG

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Sauer,

vielen Dank für Ihre Frage.

Ihre eindrücklichen Schilderungen zu den Erziehungsleistungen behinderter Eltern(teile) zeigen unbestreitbar Ungerechtigkeiten auf. v. a. wenn man den Bezug zum § 1 des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) herstellt, der wie folgt lautet:

„Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dabei wird den besonderen Bedürfnissen behinderter und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder Rechnung getragen.“

Es steht außer Frage, dass – wie ich auch bereits in meiner Antwort an Frau Leitz betont habe – der „Brückenschlag“ von der Rechtsnorm in die alltägliche Realität weit vom Ideal entfernt ist. Was ich dennoch nicht will, ist, wohlfeile Versprechungen auf schnelle Abhilfe abzugeben – „nur“ weil wir wenige Tage vor einer Wahl stehen. Alle Ausweitungen und Verbesserungen staatlicher Leistungen wollen schließlich finanziert sein, letztlich von den Erwerbstätigen. So kaltherzig das klingen mag: Es erschiene mir in höchstem Maße unredlich, solches einfach auszublenden. Auch deshalb begrüße ich Privatinitiativen wie die des Vereins „Mobil mit Behinderung“, auf die ich in meiner Antwort an Frau Leitz hingewiesen habe.

Für behinderte Frauen in der Familienarbeit ist es wesentlich schwieriger als für behinderte Erwerbstätige, z. B. Zuschüsse zum Autokauf oder zur Wohnungsanpassung zu erhalten, obwohl sie genauso dringend darauf angewiesen sind. Die Eingliederungshilfe nach dem SGB XII beinhaltet zwar entsprechende Leistungen, die aber grundsätzlich bedürftigkeitsabhängig sind. Vor allem aber handelt es sich um Ermessensleistungen, weshalb sich dieser Anspruch bei knapper werdenden öffentlichen Mitteln oft nur schwer durchsetzen lässt.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat vor diesem Hintergrund bereits 2005 in einem Eckpunktepapier zur Fortentwicklung des SGB IX folgenden Punkt beschlossen: „Im Rahmen ihrer Zuständigkeit müssen die unterschiedlichen Träger in Zukunft stärker die besonderen Bedürfnisse behinderter Eltern auch außerhalb des Arbeitslebens bei ihrem Recht auf Teilhabe und für die Ausübung ihres Rechts auf Elternschaft berücksichtigen. Sobald mehrere Träger zuständig sind, ist die Leistung als Komplexleistung zu gestalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn auch unabhängig von der Berufstätigkeit bei behinderten Eltern Hilfen zur Mobilität zu fördern sind, hörbehinderte Eltern Verständigungshilfen für Elternsprechtage benötigen, barrierefreie Kindermöbel erforderlich sind oder die Elternschaft nur mit Assistenz oder Anleitung wahrgenommen werden kann.“

Das Problembewusstsein ist also vorhanden, die von Ihnen beschriebene Ungerechtigkeit ist damit allerdings noch lange nicht aus der Welt – trotz vieler staatlicher Leistungen zur Anerkennung der Kindererziehungsleistungen im allgemeinen wie zur Förderung der Teilhabe Behinderter im besonderen. Und ich schätze bereits erreichte entsprechende Fortschritte alles andere als gering.

Übrigens bin ich bei Recherchen im Nachgang zu meinen Ausführungen zur Frage von Frau Leitz auf folgenden Sachverhalt gestoßen, den ich gern an dieser Stelle publik machen möchte:

In der Begründung des Gesetzgebers zu § 31 des SGB IX gehören zu den vom zuständigen Träger (mit) zu finanzierenden Hilfsmitteln auch solche, die zur Wahrnehmung von Aufgaben der Familienarbeit notwendig sind. Danach lässt sich der Anspruch auf Kostenübernahme für Hilfsmittel etwa zur Kleinkindversorgung oder für Hilfsmittel zur Haushaltsführung begründen. Meiner Wahrnehmung nach ist diese Möglichkeit wenig bekannt – eben weil hier die Anspruchsgrundlage letztlich nicht unmittelbar im Gesetzestext, wohl aber in der zugehörigen Begründung formuliert ist.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Martin Haller