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Gerold Reichenbach
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Frage von Florian B. •

Frage an Gerold Reichenbach von Florian B. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Reichenbach,

ich hoffe natürlich sie beantworten meine Frage persönlich.

Mich würde es interessieren, aus welchen persönlichen Grund sie gegen den Fiskaltpakt gestimmt haben.

Mit freundlichen Grüßen

Florian Blumenstein

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Blumenstein,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), auf die ich Ihnen gerne antworte. Bitte haben Sie auch hier Verständnis dafür, dass ich Ihnen aufgrund der vielen häufig gleich lautenden Anfragen zum Thema mit einer allgemeinen Stellungnahme antworte.

Sie möchten von mir wissen, warum ich persönlich dem ESM zugestimmt habe. Ich halte den ESM derzeit für einen wichtigen Mechanismus, um wieder Ruhe in die Eurozone zu bringen. Allerdings ist der ESM allein nicht ausreichend. Aus meiner Sicht ist es unerlässlich, dass endlich weitreichende Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte - auch über eine Finanztransaktionssteuer hinaus - getroffen werden, sonst sind die Staaten dauerhaft Getriebene von Spekulanten und Bankiers. Solche Regulierungen müssen allerdings auf internationaler Ebene getroffen werden. Es ist längst überfällig, dass Frau Merkel ihren Einfluss auf die Länder der Eurozone dahingehend geltend macht, um so auch Druck auf die USA und andere Finanzzentren der Welt auszuüben. Deutschland allein wird hier nur wenig ausrichten können; Europa und insbesondere die Eurozone müssen hier mit einer Stimme sprechen, um zu Ländern wie den USA oder auch den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) ein Gegengewicht zu bilden. Allerdings scheint hier von Seiten der schwarz-gelben Bundesregierung bislang nur wenig Einsehen zu bestehen, dass zum einen die Verursacher der Krise an ihren Kosten beteiligt und Maßnahmen um solche Krisen in Zukunft zu vermeiden, getroffen werden müssen.

Die aktuelle Situation ist höchst komplex und es reicht bei weitem nicht, nur an den Baustellen der Liquidität der Staaten (ESM) und der Konsolidierung der Haushalte tätig zu sein. Insbesondere die Rolle der Finanzmärkte muss stärker ins Visier gerückt, aber natürlich auch strukturelle Defizite insbesondere in den Krisenländern herausgearbeitet und angegangen werden. Soweit zu meiner allgemeinen Einschätzung der Situation. In diesen Kontext fällt meine Entscheidung zum ESM als einen Baustein im Mosaik der Finanz- und Eurokrise.

Entgegen der landläufigen Meinung ist es nicht so, dass der ESM zur Folge hat, dass die nationalen Parlamente entmachtet und damit auch am Bundestag vorbei entschieden wird. Das Gegenteil ist der Fall: der Bundestag hat per Begleitgesetz sicher gestellt, dass keine Mittel für den ESM ohne vorherige Information und haushalterische Entscheidung des Deutschen Bundestags gewährt werden dürfen. Die Vertreter im Gouverneursrat des ESM sind an die Entscheidungen des Deutschen Bundestags weisungsgebunden. Sie sind dazu verpflichtet die Umsetzung der Entscheidungen des Bundestags durch ihr Abstimmungsverhalten im ESM Gouverneursrat und durch Anwesenheitspflicht sicherzustellen. Außerdem können grundsätzlich nur Mittel für den ESM abgerufen werden, die zuvor in den Bundeshaushalt eingestellt wurden. Daher sind der Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel durchaus Grenzen gesetzt. Die von Frau Merkel in Brüssel zugesagte direkte Bankenhilfe ist in dem vom Bundestag beschlossenen ESM-Gesetz ausdrücklich nicht erlaubt. Nach Einschätzung der SPD-Fraktion kann dies also nur geschehen, wenn Frau Merkel eine Änderung des Beschlusses im Bundestag beantragt. Unser haushaltspolitischer Sprecher hat bereits deutlich gemacht, dass dem die SPD nicht zustimmen wird.

Vor diesem Hintergrund halte ich die Etablierung des ESM für verantwortbar und im Interesse Deutschlands, welches bislang am meisten von der Eurozone und auch den gewährten Finanzhilfen für die Krisenstaaten profitiert hat. Damit die sogenannten „Hilfen“ auf lange Sicht aber auch tatsächlich bei den betroffenen Ländern ankommen und zu deren wirtschaftlicher Genesung beitragen, muss noch viel getan werden. Eine umfassende Regulierung der Finanzmärkte und ein Umdenken weg von einer rigiden Austeritätspolitik hin zu gesunden Anreizen für die Wirtschaft, die nicht in aller erster Linie im Sparen, sondern in Investitionen liegen, halte ich für dringend geboten.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Position darlegen und bedanke mich für Ihr Engagement und Interesse an den aktuellen Problemen, vor denen Deutschland und die EU stehen.

Mit freundlichen Grüßen

Gerold Reichenbach, MdB