Filiz Polat
Filiz Polat
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Dr. Lienhard W. •

Frage an Filiz Polat von Dr. Lienhard W. bezüglich Recht

Fachleute sagen, um organisierte Kriminalität, z. B. von arabischen Clans in Berlin, zu bekämpfen: „Wir brauchen eine BEWEISLASTUMKEHR, wie in Italien. Dort müssen nicht die Ermittler nachweisen, dass das Geld aus illegalen Geschäften stammt, sondern der Verdächtige, dass es aus legalen Quellen kommt.“
Die große Koalition von CDU/CSU und SPD konnte sich nicht dazu durchringen, beim Aufspüren kriminell erworbener Vermögen die Beweislastumkehr einzuführen. Wie stehen Sie als Mitglied des Innenausschusses zu diesem Thema?

Filiz Polat
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr W.,

zunächst möchte ich mich für die verzögerte Beantwortung Ihrer Frage entschuldigen, auf die ich gerne ausführlicher eingehen möchte. Im deutschen Strafverfahrensrecht gibt es mehrere Maximen, die die Rechtstaatlichkeit eines Verfahrens gewährleisten sollen und beschreiben. Gesetze konkretisieren die Ausgestaltung dieser sogenannten Prozessmaximen für die Strafverfahrenspraxis. Zwei dieser Strafverfahrensmaximen sind der Amtsermittlungsgrundsatz und die Unschuldsvermutung. Von diesen richtet sich Unschuldsvermutung vor allem gegen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte. Ihnen obliegt es, „aussagekräftige und übereinstimmende Beweise” beizubringen, bevor von der Schuld ausgegangen wird. Dem Beschuldigten darf nicht die Beweislast dafür auferlegt werden; Zweifel müssen sich zu seinen Gunsten auswirken (so auch die Rechtsprechung: EuGH Rs. 67/00, Slg. 2004, II-2501 Rn 179; ähnlich EuGH Rs. 199/92 – Hüls, Slg. 1999, I-4287 Rn 154). Diese Grundsätze des Strafverfahrens sollen zwischen dem Spannungsverhältnis der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen auf der einen Seite und dem Strafverfolgungsinteresse auf der anderen Seite einen Ausgleich bieten.

Bereits aus historischen Gründen ist nachvollziehbar, dass für die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und der Persönlichkeitsinteressen, gesetzlich Schutzmechanismen vorgesehen sind, die jeden einzelnen Rechtsträger vor Machtmissbrauch des Staates schützen sollen.

Gegen Straftaten muss selbstverständlich effektiv vorgegangen werden. Aufgrund des Machtgefälles des Staates gegenüber dem einzelnen Bürger wäre es verfassungs- und unionsrechtswidrig (Art. 48, Art. 6 EMRK), wenn dem Beschuldigten die Beweislast aufgezwungen würde. Nichtsdestotrotz gibt es auch im deutschen Strafrecht Möglichkeiten, die von Ihnen angesprochene Clankriminalität stärker in den Fokus zu nehmen. Grundlage für mögliche Maßnahmen ist eine ab Juli 2017 in Kraft getretene umfassende Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung samt Integration der (zivilrechtlichen) Opferentschädigung in das Strafverfahren. Als Grüne hatten wir diese nötige, höchst komplexe Reform grundsätzlich begrüßt, aber auf erhebliches verfassungsrechtliches Risiko sowie mögliche praktische Überforderung des Strafverfahrens aufmerksam gemacht. Außerdem haben wir die Möglichkeit zivilgesellschaftlicher Umnutzung eingezogenen Vermögens gefordert, soweit es nicht zur Opferentschädigung gebraucht wird.
Ein Kernstück der Reform ist die Ermöglichung der Vermögenseinziehung ohne Verurteilung. Vorbild ist die non-conviction based confiscation im anglo-amerikanischen und z.B. italienischen Recht, jetzt u.a. in § 76a StGB und § 437 StPO geregelt. Danach ist es möglich, einen aus einer rechtswidrigen Tat herrührender Gegenstand, der in einem Verfahren wegen des Verdachts bestimmter schwerer Straftaten sichergestellt worden ist, auch dann selbständig einzuziehen, wenn der von der Sicherstellung Betroffene nicht wegen der Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann. Also Vermögen unklarer Herkunft unabhängig vom Nachweis einer konkreten [anderen] rechtswidrigen Tat (selbständig) einzuziehen, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass der sichergestellte Gegenstand aus (irgend-)einer rechtswidrigen Tat herrührt. Es ist mithin nicht erforderlich, dass die Tat im Einzelnen festgestellt wird. Maßgaben für die Einschätzung des Gerichts, ob der Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat herrührt, sind u.a. "ein grobes Missverhältnis zwischen dem Wert des Gegenstandes und den rechtmäßigen Einkünften des Betroffenen" und "sonstige persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen".

Diese z.B. in der italienischen Mafia-Bekämpfung erfolgreiche Regelung führt faktisch zu einer Beweislastumkehr zulasten des Betroffenen und ist deswegen verfassungsrechtlich (u.a. wegen der Unschuldsvermutung) problematisch. Erfolg und Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelungen bleiben deshalb in den aktuellen Anwendungsfällen genau zu beobachten.

Mit freundlichen Grüßen
Filiz Polat

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