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Elisabeth Winkelmeier-Becker
CDU
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Frage von René B. •

Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von René B. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker,
in Anbetracht der baldigen Wahlen habe ich folgende Fragen:

Wie positionieren Sie sich gegenüber der Idee des "bedingungslosen Grundeinkommens". Hiermit meine ich nicht die abgemilderte Version von Herrn Althaus, sondern das Original. Nähere Informationen zum Thema finden Sie auf der Seite www.grundeinkommen.de .

Nach wie vor wird die deutsche Bevölkerung nicht an Abstimmungen zu Sachfragen beteiligt. Wie positionieren Sie sich hinsichtlich Volksabstimmungen. Trauen Sie unserem Volk eine Meinungsbildung zu gesellschaftlichen und politischen Sachfragen generell zu?

Verletzt die Sanktionierung von ALG 2 Empfängern, die keine Arbeit haben, weil es keine Arbeit gibt, ihrer Ansicht nach die Würde des Menschen? Mit Sanktionierung meine ich vor allem die Strafe des Ausschlusses von der gesellschaftlichen Teilhabe.

Welche Visionen treiben Sie an?

Vielen lieben Dank für Ihre Antworten
Ihr René Böttcher.
Studiobühne Siegburg

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Böttcher,

Wie Sie wissen, hat die CDU eine Kommission unter der Leitung des bisherigen thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus eingesetzt, welche die politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eines „Solidarischen Bürgergeldes“ umfassend untersucht. Vorbehaltlich der Ergebnisse dieser Kommission stehe ich der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens allerdings ablehnend gegenüber. Es entspricht nicht meinem Menschenbild, dass einem jeden die Verantwortung für das eigene Leben und die Sicherung des Unterhalts für sich selbst, Kinder und Angehörige von vornherein abgenommen und dem Staat übertragen wird. Ausgangspunkt ist m.E. vielmehr die Eigenverantwortung, ergänzt durch eine solidarische Absicherung v.a. bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit, Alter und Armut. Ich bin außerdem sehr skeptisch, dass die Menschen sodann aus freiem Antrieb noch in gleichem Maße arbeiten würden wie bisher, und halte es nicht für realistisch, dass auf diese Weise eine solche staatliche Leistung erwirtschaftet bzw. finanziert werden kann.

Ihre zweite Frage, zu der Sie mir zuvor bereits eine Postkarte der „Aktion Volksabstimmung“ haben zukommen lassen, habe ich bereits per Briefpost beantwortet und wiederhole sie an dieser Stelle:

Die von Ihnen angesprochene Thematik betrifft unser Demokratieverständnis, Art. 20 des Grundgesetzes bestimmt dabei eindeutig, dass die Bundesrepublik ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

In Deutschland ist die Wertschätzung der demokratischen Rechte und damit das Interesse an Wahlen und an der sachlichen und politischen Auseinandersetzung über die Regeln, die uns alle als Bürger dieses Landes angehen, stark zurück gegangen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn dieses Interesse wieder gestärkt werden könnte, denn Politik bestimmt nicht primär, wer welchen Posten, welches Ministeramt bekommt und wer mit wem koaliert, sondern Politik bestimmt die Regeln, unter denen wir in Deutschland zusammen leben wollen. Politik beschreibt die in vielen Fällen ganz überwiegend sachliche und nicht vor allem ideologisch überlagerte Suche und Auseinandersetzung um die beste, die gerechteste, die praktikabelste Lösung. Unter dem Gesichtspunkt, wie das Interesse und auch die Mitwirkung an solchen Entscheidungsprozessen gestärkt werden kann, sollten auch Volksabstimmungen diskutiert werden („Volkswahlen“ haben wir ja schon). Dass uns Politikern mit Volksabstimmungen ein Stück Entscheidungsmöglichkeiten und damit „Macht“ genommen würde, ist dabei nicht maßgeblich. Zum einen ist Politik nicht dazu da, Bedürfnisse von Politikern zu decken; zum anderen ist ständig eine so große Vielzahl an Gesetzen auf der Tagesordnung, dass auch die Herausnahme einzelner Gesetzesvorhaben aus der Zuständigkeit des Bundestages bei den Abgeordneten nicht zu Langeweile oder Sinnkrisen führen würde. (Schauen Sie sich die Tagesordnungen des Bundestages zu den Plenarsitzungen, die regelmäßig Donnerstags und Freitags in den Sitzungswochen stattfinden, einmal an!)

Ich bin allerdings nicht so optimistisch, dass häufigere Volksabstimmungen – jedenfalls in Bezug auf die Entscheidungen auf der Bundesebene - den Effekt haben werden, das Interesse an Politik nachhaltig steigern und auch zu sachlich besseren Entscheidungen führen können:
Bei der Forderung nach Volksabstimmungen – und auch in Ihrer Frage – schwingt ja immer die Annahme mit, dass „das Volk“ ganz anders abstimmen würde, als „die Politik“. Das halte ich für einen Irrtum. Fast immer werden die Fragen, die in der Politik kontrovers diskutiert werden, auch in der Bevölkerung unterschiedlich bewertet; denken Sie nur an die Diskussion über Staatshilfen an bestimmte Unternehmen, Rentengarantien oder über Änderungen im Waffenrecht – Themen, die auch in der öffentlichen Meinung höchst streitig sind.

Die inhaltliche Grundausrichtung in den politischen Entscheidungen würde sich meines Erachtens also nicht ändern. Die Meinungsfronten verlaufen ja nicht zwischen Politikern und der Bevölkerung. Vielmehr sind in beiden Bereichen dieselben widerstreitenden Interessen zu finden.
Bedenken habe ich außerdem bei der Frage, ob Minderheiteninteressen angemessen Berücksichtigung fänden: Würde die zunehmende Zahl kinderloser Erwachsener die Leistung und die Interessen der Familien hinreichend würdigen, würde die zunehmende Zahl älterer Menschen den Jüngeren per Mehrheitsentscheidung nicht zu hohe Lasten aufbürden, würde die Mehrheit der Gesunden für teure Behandlungen weniger Kranker oder Behinderter die Kosten tragen wollen? Das sind Gefahren, die auch in der parlamentarischen Demokratie eine Rolle spielen, aber nicht in gleichem Maße an reinen Mehrheitsverhältnissen ausgerichtet werden. Sicherlich wäre auch die Gefahr übereilter, interessengeleiteter Entscheidungen größer. Dafür gibt es auch in der Geschichte der Bundesrepublik Beispiele, wenn etwa nach terroristischen Aktionen der RAF eine Mehrheit in den Umfragen für die Wiedereinführung der Todesstrafe bestand. Hier ist das Modell der repräsentativen Demokratie meines Erachtens hilfreich, die Gemeinschaft vor emotionsgeleiteten Entscheidungen zu bewahren.
Ich halte es außerdem für fraglich, ob letztlich wirklich einzelne Bürger mehr Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen oder ob nur die Bedeutung von Verbänden und Interessengruppen, die große Kampagnen organisieren können, wachsen würde. Die Bürger könnten angesichts der erforderlichen Quoren ihre Initiativen in aller Regel nicht allein vorantreiben, sondern wären auf die Unterstützung von Verbänden und Vereinigungen angewiesen. Hier besteht die Gefahr der Bevormundung des Bürgers durch demokratisch nicht legitimierte Vereinigungen und es könnten Minderheiten großen Einfluss auf die Politik erhalten, ohne dafür dauerhaft in der Verantwortung zu stehen.

Unser System bietet den Mitbürgern viele Möglichkeiten der Mitgestaltung an. Sei es z.B. durch Mitarbeit in den politischen Parteien, Gremien, soziale Vereinigungen usw. Interessensgruppen und Einzelbürger haben z.B. die Möglichkeit, an die jeweils zuständigen Abgeordneten heranzutreten, auf bestimmte Anliegen bzw. Umstände aufmerksam zu machen, wie Sie es ja auch getan haben, und somit auf die Diskussion und auf die Gesetze Einfluss zu nehmen. Mitunter werden diese Möglichkeiten zu wenig genutzt. Nicht zuletzt hat auch jeder Bürger selbst die Möglichkeit, sich zur Wahl zu stellen und sich um ein Mandat auf kommunaler, auf Landes- oder Bundesebene zu bewerben.

Bislang gehöre ich aus diesen Gründen nicht zu den engagierten Befürwortern von Volksabstimmungen in Bezug auf die allgemeine Gesetzgebung auf der Bundesebene; zu einer offenen Diskussion hierüber, die am besten auch die konkreten Themen einer Volksabstimmung benennen und dabei auf die Bedeutung der oben dargelegten Bedenken eingehen sollte, bin ich allerdings bereit.

Zu Ihrer Frage zum ALG II:

Durch Arbeitslosigkeit können sich schwierige Situationen für die Betroffenen ergeben. Das sind neben den finanziellen oft auch soziale Belastungen. Darin kann aber keine Strafe gesehen werden, die ein anderer, der Staat oder die Gesellschaft, „verhängt“. Das Gegenteil ist zumindest das Ziel der Solidargemeinschaft, die die Grundsicherung für den Lebensunterhalt gewährleistet. Zum anderen sollen verschiedene Qualifizierungsmaßnahmen und Fortbildungsangebote den Empfänger dabei unterstützen, schnellstmöglich wieder einen Arbeitsplatz zu finden, um den eigenen Lebensunterhalt und den der Familie wieder aus eigener Kraft bestreiten zu können. Die finanzielle Unterstützung soll dementsprechend helfen, diese schwierige Phase zu überwinden, auch wenn sie die wirtschaftlichen und damit einhergehenden gesellschaftlichen Nachteile gegenüber in Arbeit befindlichen Menschen nicht vollständig ausgleichen kann.

Im Übrigen halte ich diese Internetplattform nicht für den richtigen Ort, um sich über Visionen auszutauschen. Wir können uns gerne im Rahmen meiner Bürgersprechstunde hierzu austauschen.

Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker

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