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Elisabeth Scharfenberg
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Wolf S. •

Frage an Elisabeth Scharfenberg von Wolf S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Scharfenberg,

als ehemaliger Psychiatriepatient habe ich die desolate Menschenrechtssituation in der Deutschen Psychiatrie hautnah miterleben können.

Der Freiheit und Willkür, welche sich der Staat im Bereich der Sondergesetze für die Freiheits- Willens- und Gesundheitsentziehung psychisch kranker selbst zuerkennt stehe ich fassungslos gegenüber.

Diese Landesgesetze sehen im Allgemeinen eine "erhebliche Gefährdung" vor, bevor psychiatrische Zwangsmassnahmen erfolgen können. In der Praxis jedoch reicht die von einem Arzt vermutete "Mangelhafte Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit" aus um den schwersten dem deutschen Gesetz bekannten Grundrechtseingriff (ausgenommen Notwehr) vorzunehmen.

Darüber hinaus ermächtigt dieses Gesetz staatliche Stellen offenbar, massivste Formen der Körperverletzung zu begehen, ohne zumindest zu einer zivilrechtlichen Form der Verantwortung gezogen werden zu können. In diesem Rahmen seien z.B. Lebererkrankungen, Fettleibigkeit, tardive Erkrankungen, Deportationstraumata genannt. Diese Schädigungen verkürzen häufig die Lebenserwartung der Opfer um 10 oder mehr Jahre. (Stichwort Killermedikamente)

Auf welcher Verfassungs- Menschen- oder Behindertenrechtlichen Grundlage steht diese totale Rechtsvernichtung eines minderprivilegierten Teiles der Bevölkerung ?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Spengler,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 26. Juli 2009. Die Unzufriedenheiten mit geltendem Recht und dessen Anwendung können wir in Teilen nachvollziehen. So ist es unverständlich, warum es in einzelnen Bundesländern und Kommunen weitaus mehr Zwangseinweisungen gibt als in anderen. Dies bedarf der weiteren Prüfung. Als Mitglied einer Bundestagsfraktion muss ich jedoch darauf hinweisen, dass die von Ihnen beklagten PsychKGe in der Kompetenz der Länder liegen und somit der Einflussnahme des Bundes weitgehend entzogen sind. Dennoch muss meines Erachtens eine angeordnete Unterbringung natürlich als Ultima Ratio gelten und entsprechend in engen rechtlichen Grenzen stattfinden. Bei einer massiven Fremd- oder Eigengefährdung kann sie aber ein notwendiges Mittel sein, um Schaden von der psychisch erkrankten Person bzw. von Dritten abzuwenden. Vor diesem Hintergrund sollten konkrete Gesetzesänderungen im Bereich des Betreuungsrechts, der PsychGKe oder im BGB diskutiert werden, um die PatientInnenrechte zu wahren.

Ebenso bedarf es selbstverständlich einer kritischen Diskussion, inwieweit es in der psychiatrischen Praxis zu einer übermäßigen Medikalisierung psychischer Erkrankungen kommt zu Ungunsten anderer therapeutischer Möglichkeiten, die zumindest nicht vorrangig auf dem Einsatz von Psychopharmaka basieren. Allein seit dem Jahr 2004 sind die Ausgaben für Psychopharmaka um fast 30 Prozent gestiegen. Um diesem Trend entgegen zu wirken, halten wir Änderungen in der Aus- und Fortbildung von Ärzten und Therapeuten für erforderlich.

Psychisch erkrankte Menschen dürfen nicht ausgesperrt, sondern müssen in den gesellschaftlichen Alltag einbezogen werden. Dies ist ein wichtiges Argument für den weiter nahen Ausbau gemeindenaher Versorgungsformen. Wir wollen insgesamt die Patientenrechte stärken. Dazu wollen wir ein Patientenrechtegesetz, das alle Rechte der PatientInnen und der Pflichten der BehandlerInnen zusammenfasst. Geschädigte PatientInnen sollen bei gerichtlichen Auseinandersetzungen durch eine Neuregelung der Beweislast bei nachgewiesenen Diagnose- und Behandlungsfehlern besser
gestellt werden.

In den letzten Jahren hat es deutliche Fortschritte bei der Stärkung der Patienteninteressen im Gesundheitswesen gegeben. Die Förderung der unabhängigen Patientenberatung, der Ausbau der Selbsthilfeförderung, die Berufung einer Patientenbeauftragten durch die Bundesregierung und die Beteiligung von Patientenvertretern am Gemeinsamen Bundesausschuss waren wichtige Schritte. In der Psychiatrie fehlt es aber noch an entsprechenden Institutionen und Förderinstrumenten. Das heutige System der Kontrollen von Zwangseinweisungen ist höchst lückenhaft. Die Überprüfungen durch die Besuchskommissionen finden nur in großen Zeitabständen statt. Damit können sie nicht jedem Einzelfall gerecht werden. Der Beschwerdeweg für die Betroffenen über die Gerichte oder den Petitionsausschuss des jeweiligen Landesparlaments ist äußerst anspruchsvoll. Einen wichtigen Ansatz, um diese unbefriedigende Situation zu verbessern, stellen die unabhängigen Beschwerdestellen dar. Wir halten ihre finanzielle und rechtliche Absicherung für notwendig.

Mit freundlichen Grüßen

Elisabeth Scharfenberg