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Dietmar Nietan
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Frage von Herr S. •

Frage an Dietmar Nietan von Herr S. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Nietan,

in der Diskussion über die Legalisierung von Cannabis habe ich den Eindruck gewonnen, dass ein Verbot von Cannabis die Zahl der Konsumenten nicht wirkungsvoll reduzieren kann. Mit dem Verbot des legalen Anbaus/Handels hat sich der Markt aber in die Kriminalität verschoben. Bei genauer Betrachtung dieser Situation frage ich mich ernsthaft, wieso der Gesetzgeber diesen Schwarzmarkt beispielsweise einem kontrollierten Fachhandel für Canabis vorzieht.

Wie bewerten Sie das in Deutschland seit Anfang der siebziger Jahre praktizierte Verbot von Cannabis, und wie beurteilen sie die Entwicklung der staatlichen Maßnahmen, des Schwarzmarkts sowie der Zahl der Konsumenten und Strafverfolgungen in dieser Zeit?

Welche Schlüsse ziehen Sie aus dieser Einschätzung für die zukünftige Politik in Bezug auf Cannabis?

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Sturm

Portrait Dietmar Nietan
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Sturm,

haben Sie herzlichen Dank für Ihre Frage zur Legalisierung von Cannabis, die ich gerne beantworte:

Obwohl wir einen Koalitionspartner haben, der die Legalisierung von Cannabis befürwortet, hat die Bundesregierung gemeinsam 1998 beschlossen, das Amt des Drogenbeauftragen vom Bundesinnenministerium weg im Bundesgesundheitsministerium anzusiedeln. Vor 1998 war dieses Amt per Definition ausschließlich für verbotene Stoffe zuständig. Die rot-grüne Regierung hat also nicht sicherheits- sondern gesundheitspolitische Fragen in den Mittelpunkt bei der Bekämpfung des Cannabiskonsum gestellt. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen hat das so formuliert, dass „der Cannabiskonsum ordnungspolitisch über und gesundheitspolitisch unterbewertet“ wurde. Das bedeutet aber keine Legalisierungsstrategie.
Vielmehr konnte so ins Blickfeld rücken, dass Alkohol und Tabak legale Volksdrogen Nr. 1 und genauso Einstiegsdrogen in härteren illegalen Drogenkonsum wie Cannabis sind. Hier hat sich erwiesen, dass Drogenpolitik, die unter dem Motto „Hände weg von den Drogen“ lediglich mit einem ausgestreckten Zeigefinger arbeitet, wenig bewirkt hat. Der Cannabiskonsum hat in Deutschland stark zugenommen. Über 9 Mio. Menschen haben damit Erfahrung, fast 400.000 sind bereits abhängig. Bei den 18-29 Jährigen hat sich der Konsum zwischen 1990 und 2000 verdreifacht. Eine Studie von 2004 deckte eine Zunahme von cannabisbezogenen Störungen bei den Besuchern der einschlägigen Beratungsstellen auf, die sich innerhalb10 Jahren fast versechsfacht haben. Hier hat die Drogenbeauftragte Frau Caspers-Merk ein Vier-Säulen Präventionsmodell in Kraft gesetzt:

1) Eine glaubwürdige Botschaft, Infos und schlüssige Argumente, warum Cannabis nicht harmlos ist.

2) Die Einbeziehung der Gleichaltrigen, die in einem bestimmten Alter eher akzeptiert werden als Erwachsene.

3) Regionale und kommunale Strategien, die der konkreten Lage vor Ort gerecht werden.

4) Eine jugendgerechte Sprache und der „Spaßfaktor“ dürfen nicht fehlen. Also kein Abstinenzdogma, aber klare Grenzen und wenn nötig Sanktionen.

Zu 1)
Seit 2001 besteht das Internetportal www.drugcom.de, das mittlerweile 200.000 Besucher pro Jahr hat, also 500 bis 600 pro Tag. Insgesamt ca. 1000 Webseiten verweisen auf dieses Portal. Es ist das meistgenutzte Informationsportal für Jugendliche, von denen 3 in 4 bereits Cannabis probiert haben. Fast alle trinken Alkohol, wie der Selbsttest „check your drinking“ bewies. Die Drogenberatung in Düren arbeitet mit dem Internetportal www.drogen.de, das sich einem großen Zulauf erfreut.

Zu 2)
Beratung und Therapie müssen glaubwürdig angeboten werden und mit der Lebensweise und den Erfahrungen der meist jugendlichen Konsumenten in Einklang stehen. Gute Beispiele sind dafür „Quitt the shit“ mit proaktiver Beratung und „Realize it“. Hier müssen die Ergebnisse noch besser bewertet und weiterentwickelt werden.

Zu 3)
Es hilft wenig, die Hilfebedürftigen zu kriminalisieren. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings aus der Tatsache, dass in verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Mengen Cannabis bei den Besitzern straflos bleiben. Das wird gegenwärtig von der Drogenbeauftragten untersucht, sodass eine bundeseinheitlich festgelegte geringe Menge die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt. An dieser Diskussion müssen sich die Bundesländer beteiligen. Der Aufbau von Netzwerken zwischen den beteiligten Gesundheitsberufen, der Suchthilfe, der Jugendhilfe, den Schulen und Elterninitiativen ist für eine möglichst frühe Erreichbarkeit der Konsumenten von entscheidender Bedeutung.

Zu 4)
Wir brauchen eine offne Risikodebatte, in der nicht dramatisiert aber auch nicht verharmlost wird. Die spezifischen Risiken des Cannabiskonsums werden noch zu wenig wahrgenommen, es besteht teilweise eine horrende Unkenntnis über das Risikopotential von Cannabis. Deshalb begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion den Beschluss der EU-Justizminister von 2004 zu den „Mindeststandards für Strafen zur Bekämpfung des Drogenhandels“. Dieser Beschluss folgt im Wesentlichen deutscher Rechtslage und wird bis 2006 in allen Mitgliedstaaten umgesetzt.

Ich hoffe sehr, dass wir mit dieser Kombination von „weichen“ und „harten“ Mitteln schließlich zum Ziel kommen. Denn den „Usern“ die Entscheidung über den Spaßkonsum individuell zu überlassen und die immensen Folgekosten der Gemeinschaft aufzuhalsen, das ist unmoralisch und schlicht zu teuer. Ich hoffe auch, dass Sie meinen Ausführungen entnehmen, dass es der SPD nicht um Kriminalisierung, sondern um echte Hilfe und Beratung geht. Das unterscheidet uns doch sehr, von vielen Konservativen, die per se jeden Drogenkonsum in die kriminelle Ecke stellen.

Mit freundlichen Grüßen

Dietmar Nietan

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