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Dietmar Nietan
SPD
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Frage von A. S. •

Frage an Dietmar Nietan von A. S. bezüglich Bundestag

Sehr geehrter Herr Nietan,

die Foederalismuskomission hat mehr oder weniger keinerlei Ergebnisse gebracht. Um es auf den Punkt zu bringen, selbst die Pissoirordnung der verschiedenen Gaststaettenverordnungen konnten nicht uebereinstimmend geregelt werden. Als Buerger haben wir den Eindruck das es dabei eigentlich nur um Macht und Anspruchsdenken der Lokalfuersten geht. Dabei ist es natuerlich einfach sich gegenseitig die Schuld zu zuweisen.

Wo sehen Sie Ihre Rolle in diesem Prozess und glauben Sie das der Foederalismus uebehaupt noch eine Zukunft hat?

Mit freundlichem Gruss

A. Schlagloth
i.V. Nie Wieder Nieten n.e.V.
Muendige Buerger des Kreises Dueren
gegen Politikschmarotzer und
Sozialkassenpluenderer
A. Brausewetter, Niederau
M. Petry, Dueren
L. Mueller, Kelz
F. Meybach, Dueren
K. Schoeller, Winden
I. Nass, Schmidt
K. Salentin, Heimbach
H. Puetz, Vlatten
I. Wilden, Juelich
F. Moeller, Noervenich
L. Koik, Dueren
F. Harperscheid, Soller
B. Fellscher, Soller
G. Hoffsimmer, Embken
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Antwort von
SPD

Sehr geehrte/r Herr/Frau A. Schlagloth,

haben Sie herzlichen Dank für Ihre Anfrage vom 18.8.05. Da Sie sich sonst eher für meine Abwahl stark machen, habe ich mich über Ihre inhaltlich-konstruktiven Fragen sehr gefreut und sehe sie als Ihren guten Willen, sich in einen ernsthaften Dialog mit mir zu begeben. Deshalb möchte ich Ihnen gerne auch ausführlich antworten.

Es ist nicht richtig, dass die so genannte Föderalismuskommission zur Reform der Bundesstaatlichen Ordnung, die im letzten Dezember ihren Bericht vorlegen sollte und dann abgebrochen wurde, ohne Ergebnis geblieben ist. Die letzte Fassung der Verhandlungsergebnisse vom 13. Dezember zeigen im Gegenteil, wie nah sich Bund und Länder in vielen umstrittenen Fragen gekommen waren. So waren sich die Verhandlungsführer Franz Müntefering, SPD und Edmund Stoiber, CSU über die Aufteilung der Hochschulrahmenkompetenzen und den Hochschulneubau einig. Auch bei der Bildungsplanung war ein Kompromiss in Reichweite. In der Sache waren Bund und Länder einig.

Leider ist das Projekt am Streit über die Bildungskompetenzen durch die unrühmliche Rolle des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) gescheitert, der (mit Billigung von Frau Merkel) die Ministerpräsidenten der Union hinter sich bringen konnte und die Pläne zum gemeinsamen Aufbau von Spitzenuniversitäten platzen ließ. Die Lokalfürsten, von denen Sie in Ihrer Mail sprechen, waren die Provinzfürsten der Union. Sie wollten dem Bund im zentralen Zukunftsfeld der Bildungspolitik ein für alle Mal den Stuhl vor die Türe setzen. Sie gönnten vor allem fünf Wochen vor der Landtagswahl in NRW der Bundesregierung keinen Reformerfolg.

Müntefering hatte Stoiber angeboten, die 85 % der Föderalismusreform, in der sich SPD und CDU einig waren, sofort umzusetzen und bei der Bildung noch einmal nach zu verhandeln. Das musste Stoiber aber auf Druck von Koch, Merkel und Co ablehnen. Immerhin konnte durch die Verhandlungsgeduld von Franz Müntefering die Sache für die Zukunft offen gehalten und die Förderung von Spitzenforschung und -lehre dann später immerhin noch beschlossen werden. Es ist der CDU also nicht gelungen, die Föderalismusreform in allen Punkten zu blockieren.

Die SPD-Geführte Bundesregierung ist bereit, nach der Bundestagswahl die gefundenen Kompromisse umzusetzen. Gesprächsbedarf gibt es noch in der Frage der Bundeskompetenz bei Bildung, Umweltrecht und bei den Finanzierungsergebnissen.

Aber warum ist der Föderalismus bei uns so dringend reformbedürftig?

Der föderale Staat in Deutschland ist als Zwei-Kammer-Parlament strukturiert, das weltweit einmalig ist, dem Bundesratsprinzip, das der Parlamentarische Rat 1949 beschlossen hatte, um die Instabilität der Weimarer Republik zu verhindern. Danach sind die 69 Mitglieder des Bundesrates den Regierungen ihrer Bundesländer weisungsgebunden.

Das hat einige problematische Folgen vor allem zusammen mit der im Grundgesetz gesicherten Mitwirkung der politischen Parteien an der politischen Willensbildung. Durch die Kombination von Parteiendemokratie und Föderalismus kommt es faktisch zu einem Dauerwahlkampf in Deutschland. Allein im Jahre 2002 und 2003, in nur 24 Monaten wurden insgesamt 11 Wahlen fällig. Das schürt die Neigung zu kurzfristiger Politik und erschwert langfristige Reformvorhaben. Seit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Schröder musste sich die rot-grüne Regierung insgesamt 24 Mal dem Test in den Ländern stellen, die die Wähler als Denkzettelwahlen für die Reformvorhaben der Bundesregierung nutzten. Dadurch büßte sie insgesamt 21 Stimmen im Bundesrat ein. Da der Bundesrat bei ca. der Hälfte aller Gesetzesvorhaben ein absolutes Vetorecht besitzt, bedeutete das faktisch den Verlust der Reformfähigkeit der Bundesregierung, die nach ihrem Amtsantritt den Reformstau der Regierung Kohl besonders auf dem Gebiet der langfristigen Vorhaben – Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung – auflösen musste, wenn es mit Deutschland wieder aufwärts gehen sollte.

Bis Mai 2005 wurde der Vermittlungsausschuss 94-mal angerufen, bei einem Viertel aller Gesetze. Nach abgeschlossener Vermittlung gab es weitere 29 Einsprüche des Bundesrates, die im Bundestag mit der Kanzlermehrheit zurückgewiesen werden mussten. Das waren in zweieinhalb Jahren fast so viele Einsprüche, wie in den zurückliegenden 14 Wahlperioden zusammen.

Das zeigt, wie die Union im Bundesrat ihre Mehrheit missbraucht, um vernünftige Lösungen zu blockieren, zu verschleppen oder zu verhindern. So vor allem beim Zuwanderungsgesetz, der Förderung älterer Arbeitloser, bei der Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, bei der Antidiskriminierung im Arbeitsrecht, bei der Novelle der Handwerksordnung, beim Kartellrecht, beim Abbau von Steuervergünstigungen, bei der Hochwasservorsorge, beim 2. Teil des Gentechnikgesetzes, bei den Verbesserungen für Familien, bei der Schülerbildung, bei Bildung und Forschung. Dabei bin ich fest davon überzeugt, dass es der Union oft nicht um die Sache ging. Das eine oder andere „heiße Eisen“, das rot-grün auf den Weg gebracht hat, würde eine Unions-Geführte Bundesregierung sofort übernehmen, nach dem Motto, damit brauchen wir uns nicht mehr den Unmut der Interessenverbände zuzuziehen. Nein, es geht hier um lupenreine Parteienpolitik zuungunsten Deutschlands. Deshalb sehen nicht nur Fachleute es als unumgänglich notwenig an, die föderale Ordnung zu reformieren. So sollten z.B. die Wahltermine besser koordiniert werden, um den Dauerwahlkampf zu unterbinden, ferner sollte die 1969 begonnene Fehlentwicklung rückgängig gemacht werden, die den Ländern eigenständige Kompetenzen genommen hatte und sie vordergründig durch Zustimmungsgesetze im Bundesrat entschädigt hatte. Damit wurde aber die Gesetzgebungskompetenz der Länder ausgehöhlt und die Länderparlamente entscheidend geschwächt.

Ihr Eindruck ist also richtig, dass eine Fehlentwicklung der föderalen Ordnung einen parteipolitischen Missbrauch begünstigt hat. Da gilt natürlich auch umgekehrt. So hatte der damalige SPD-Parteivorsitzende Lafontaine von 1996 bis 1998die SPD-regierten Länder darauf eingeschworen, mit ihrer Bundesratsmehrheit gegen wirtschaftspolitische Vorhaben der Regierung Kohl zu stimmen. Aber es bleibt festzuhalten, dass die geballte Vetomacht der Länder des Bundesrates erst durch die Unions-geführten Bundesländer gegen die rot-grüne Regierung in einem vorher nie gekannten Ausmaß organisiert wurde. Das hat der Union zwar Einfluss und Entscheidungsteilhabe verschafft, aber um den Preis, dass sie sich bei den heißen Eisen der unpopulären Reformvorhaben hinter der Regierung Schröder versteckt hat. Sie wirkt dadurch als Bremser, Verwässerer, insgesamt Rückwärts gewandt.

Wenn also die CDU nach der Bundestagswahl in der Föderalismusreform wieder eine konstruktive Rolle einnimmt, hat der Föderalismus in unserem Land durchaus eine Chance. Meine eigne Rolle in der Föderalismusdebatte sehe ich im meinem Eintreten für die Rechte der Parlamentarier in den Landtagen und im Bundestag. Nicht Kommissionen oder kleine Zirkel im Bundeskanzleramt oder den Staatskanzleien der Ministerpräsidenten, sondern in den Landtagen und im Bundestag sollte der zentrale Ort der Formulierung, Debatte und Umsetzung von politischen Ideen sein.

Übrigens kann ich Sie über die Pissoirordnung beruhigen. Sie ist Sache der Kommunen und daher von der Frage der Föderalismusreform nicht tangiert.

Mit freundlichen Grüßen

Dietmar Nietan, MdB

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