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Frage von Sabine K. •

Frage an Daniela Kolbe von Sabine K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Nun erklären Sie mir bitte mal, wie die Verteilung der Flüchtlinge aus Syrien aus der Türkei kommend funktionieren soll, wenn 90% aller EU-Staaten dies ablehnen?

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Sehr geehrte Frau Kettwig,

vielen Dank für Ihre Anfrage über www.abgeordnetenwatch.de vom 19. März 2016.

Ich verstehe Ihre Vorbehalte bezüglich der Verteilung von syrischen Geflüchteten aus der Türkei, wie sie im Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei vereinbart worden ist. Auch ich bin an verschiedenen Stellen skeptisch, ob die getroffenen Absprachen richtig und realisierbar sind.

Ich bin jedoch überzeugt, dass es für die Bewältigung der Flüchtlingssituation eine europäische Lösung geben muss und diese nur mit der Türkei als Partner funktionieren kann. Einseitige Grenzschließungen, wie derzeit auf der Balkanroute, lösen keine Probleme. Sie verschieben sie nur. Das kann man beispielsweise an den katastrophalen Bedingungen in Idomeni oder auch an den hoffnungslosen Geflüchteten in Auffanglagern in den Balkanstaaten sehen. Deshalb sind Kooperation und europäische Solidarität der sinnvollere Weg. Und das EU-Türkei-Abkommen ist dabei zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Zum Funktionieren des Abkommens kann ich Ihnen folgendes sagen:

Grundziel ist es, die unkontrollierte irreguläre Einreise nach Europa zu unterbinden und den Schutz der EU-Außengrenzen in der Ägäis sicherzustellen. Damit wollen wir dafür sorgen, dass sich weniger Menschen auf den lebensgefährlichen Weg übers Mittelmeer machen und das menschenverachtende Schlepperwesen eindämmen. Deshalb werden seit dem 20. März irregulär über die Ägäis eingereiste Personen wieder in die Türkei zurückgeführt. Für syrische Flüchtlinge wurde eine „1:1-Regelung“ vereinbart: Für jeden syrischen Flüchtling, der aus Griechenland in die Türkei zurückgeführt wird, erfolgt im Gegenzug die Aufnahme eines anderen syrischen Flüchtlings in der EU. Dies geschieht dadurch, dass freiwillige Kontingente im Rahmen eines humanitären Aufnahmeprogramms geschaffen werden. Einige solcher Kontingentregelungen gibt es bereits in Deutschland und anderen europäischen Staaten. Sie sind allerdings noch nicht ausreichend, obwohl davon auszugehen ist, dass die Zahl der Flüchtlinge, die über das östliche Mittelmeer nach Griechenland kommen, durch das EU-Türkei-Abkommen stark zurückgehen wird. Das bedeutet dann auch, dass die verpflichtende 1:1-Regelung seltener Anwendung findet. Dennoch brauchen wir deutlich mehr Kontingente für Geflüchtete aus Bürgerkriegsländern. Das ist wichtig, denn mit Kontingenten kommen wir unserer humanitären Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen nach, bekommen die Kontrolle über den Flüchtlingszuzug zurück – und die Menschen einen sicheren Weg nach Europa.

Ich stimmen Ihnen zu, dass viele EU-Staaten bislang nicht ausreichend bereit sind, Geflüchtete aufzunehmen. An vielen Stellen hakt es noch bei der Umsetzung der bereits vereinbarten Umsiedlungen von Flüchtlingen und unsere Forderung nach noch deutlich mehr Umsiedlungsplätzen in der EU stößt auf Widerstand. Allerdings haben die europäischen Staats- und Regierungschefs die Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsplans EU-Türkei allseits begrüßt. Nichtsdestotrotz müssen wir auch weiterhin alles daran setzen, alle EU-Mitgliedsstaaten davon zu überzeugen, dass europäische Solidarität keine Einbahnstraße ist und nicht mit der Zahlung von Subventionen endet. Als Wertegemeinschaft tragen wir auch gemeinsam unsere Verantwortung – in diesem Fall eine humanitäre für geflüchtete Menschen.

Bei all der Sorge um die europäische Flüchtlingskrise sollten wir aber ein anderes Thema nicht aus den Augen verlieren, das mir persönlich sehr viel mehr Bauchschmerzen bereitet: Das sind die Besorgnis erregenden rechten Tendenzen und die Verrohung, denen sich unsere Gesellschaft gegenüber sieht. Die Debatte zum Thema Flucht und Integration muss offener und ehrlicher geführt werden. Wir müssen Chancen wie Risiken klar beim Namen nennen. Aber wir dürfen nicht auf die vermeintlich einfachen Lösungen der Rechtspopulisten hereinfallen, die sie für komplexe Herausforderungen wie die aktuellen bieten. Diese erweisen sich in der Regel als nicht umsetzbar, kurzsichtig oder würden nicht selten sogar gegen europäisches und internationales Recht verstoßen. Was wir brauchen sind tragfähige politische Lösungen. Diese finden sich nicht über Nacht und benötigen Zeit, bis sie ihre Wirkung entfalten. Nur so können wir Ängsten und Verunsicherungen in der Bevölkerung begegnen.

Mit freundlichen Grüßen

Daniela Kolbe