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Christoph Strässer
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Frage von Ralph P. •

Frage an Christoph Strässer von Ralph P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Strässer,

aktuell bestreitet unsere Bundesregierung das es sich in Afghanistan um einen Krieg handelt.

Ich habe da meine Zweifel. Denn wenn Zwei klar definierte Gegner sich gegenüberstehen und sich gegenseitig mittels Waffen angreifen würde ich das Krieg nennen. Ansonsten würden Polizeikräfte für Sicherheit in diesem Lande sorgen was nunmal nicht ausschließlich der Fall ist. Nach meinen Erkenntnissen sind 35 Soldaten gestorben. 35 Familien haben einen Menschen verloren, und das soll kein Krieg sein.

Das beste Beispiel hat die Bundeswehr vor kurzen gezeigt als sie zwei Tanklastzüge durch Kampfflugzeuge abschießen ließ. Die von der gegnerischen Seite gestohlen worden waren. Im Krieg setzt man nunmal Kampfflugzeuge ein oder???

1. Wie bezeichnen sie die Situation in Afghanistan ist das ein Krieg???
2. und wenn nicht was fehlt das man die Situation in Afghanistan als Krieg bezeichnen würde/müsste???
3. und wenn es kein Krieg ist was ist das dann??? bzw. was macht die Bundeswehr dort???
4. oder will/kann man es nur nicht als Krieg bezeichnen, weil sonst das Bundestagsmandat nicht mehr greifen würde???

Ich weiß die Fragen wirklich und wahrheitsgemäß zu beantworten ist für sie sehr schwer vor allem weil sie zudem ihre Parteiinteressen im Hintergrund haben aber ich hoffe sie haben den Mut die Situation so zu beschreiben wie sie sei ganz persönlich sehen und erleben.

Mit besten Dank

Ralph Post

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Post,

ich danke Ihnen für Ihre Anfrage zum Thema Afghanistan.

Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer letzten Regierungserklärung vor der Bundestagswahl am 27.09.2009 davon gesprochen, dass es sich bei dem Luftangriff auf Lastwagen in der Nähe von Kundus um die „schwersten militärischen Auseinandersetzungen“ seit Beginn des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan gehandelt habe. Dem stimme ich uneingeschränkt zu.
Auch wenn dieser Einsatz, völkerrechtlich immer noch legitimiert durch Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, definitorisch nicht als Krieg bezeichnet wird, ist er real nach allem was wir wissen, faktisch ein Einsatz, in dem der Auftrag, den zivilen Aufbau Afghanistans zu unterstützen, im Zweifel auch mit militärischen Mitteln zu gewährleisten ist. Dies war von Anfang an Bestandteil des Mandats, ist jedoch in den politischen Diskussionen so lange in den Hintergrund gedrängt worden, wie in dem Bereich im Norden des Landes, für den Deutschland zuständig ist, die Lage verglichen mit anderen Regionen vergleichsweise „ruhig“ gewesen ist. Dabei ist nach meinem Eindruck immer wieder verdrängt worden, dass die Bundeswehr weder ein uniformiertes THW ist noch so etwas wie „bewaffnete Entwicklungshilfe.“ Jeder, der wie ich immer wieder für die Mandatsverlängerung gestimmt hat, hat dies wissen müssen und muss dafür auch die Verantwortung übernehmen.

Zunehmend stellt sich jedoch die Frage, ob das sog. ISAF-Mandat (International Security Assistance Forces), das allein die Legitimation für das deutsche auch militärische Engagement darstellt, dem Ziel einer Befriedung des Landes und dem Wiederaufbau ziviler Strukturen wirklich dienen kann.
Niemand sollte dabei davon ausgehen, dass die Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus oder auch nur der Aufbau demokratischer Strukturen allein mit militärischen Mitteln möglich wäre.

Ohne die militärische Unterstützung jedoch wäre die wichtige und unverzichtbare Wiederaufbauarbeit der vielen internationalen und ehrenamtlichen Helfer in der Vergangenheit kaum möglich gewesen. Es klingt paradox: aber ohne den Schutz des Militärs würden die Helfer selbst zum Ziel von Übergriffen werden. Nach eigenen Aussagen vieler Nicht-Regierungsorganisationen müssten ihre produktive, Frieden schaffende Arbeit und der zivile Wiederaufbau ohne den Schutz des Militärs in vielen Bereichen eingestellt werden. Wahr ist aber auch: Zu große Nähe zwischen der Arbeit der NGOs und militärischen Aktivitäten gefährdet auch Leib und Leben der zivilen Helferinnen und Helfer. Wenn Zivilbevölkerung und die bewaffnete militärische Opposition, die ja schon längst nicht mehr nur aus Taliban-Kämpfern besteht, nicht mehr unterscheiden können zwischen militärischen und zivilen Helfern, werden auch die zivilen Organisationen sehr schnell zum Bestandteil einer ausländischen Besatzung und somit zum Feind, der bekämpft wird. Ein Blick in die Geschichte Afghanistans zeigt, dass solche Operationen noch nie von Erfolg gekrönt waren. Im übrigen würde eine solche Entwicklung auch die unbestreitbar erzielten Erfolge beim Aufbau der Infrastruktur gefährden. Denn ich halte es für einen Erfolg, wenn Millionen Kinder, insbesondere Mädchen, wieder zur Schule gehen können, wenn der Zugang zu medizinischer Grundversorgung verbessert und zahllose Einrichtungen der Versorgung mit sauberem Wasser gebaut werden konnten.

Das ISAF-Mandat war deshalb zu Beginn richtig und hat viele dieser Entwicklungen erst möglich gemacht. Nach 8 Jahren muss aber die Frage neu bewertet werden, was man mit welchen Mitteln in Afghanistan erreichen kann und will. Ich glaube nicht, dass es gelingen kann, Afghanistan innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu einem Staat zu machen, in dem Demokratie-Vorstellungen nach europäischen Standards durchsetzbar sind, schon gar nicht von außen. Gelingen kann und muss aber in einem überschaubaren Zeitraum, Sicherheitsstrukturen aufzubauen, die Afghanistan in die Lage versetzen, ein Mindestmass an Eigenverantwortung aufzubauen, nach innen wie nach außen. Es sollte nämlich nicht in Vergessenheit geraten, dass Afghanistan nicht ein Solitär in einer ansonsten stabilen Region wäre, es sei nur daran erinnert, dass der Nachbarstaat Pakistan über Atomwaffen verfügt, dass im Westen der Iran angrenzt und im Norden „lupenreine Demokratien“ wie Usbekistan und Tadschikistan liegen.

Der Aufbau solcher Strukturen ist bei entsprechendem Engagement möglich, auch in einem abgrenzbaren Zeitraum. Deshalb plädiere ich nicht für einen sofortigen kopflosen Abzug der Truppen der internationalen Gemeinschaft (dabei geht es ja nicht nur um die Bundeswehr sondern um insgesamt 40 Nationen), sehr wohl aber um einen klaren Plan, der für einen bald möglichen Abzug aufgestellt wird. Ich halte einen Abzug innerhalb der nächsten 4 Jahre für möglich und für verantwortbar.

Mit freundlichen Grüßen

Christoph Strässer (MdB)