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Frage von Rolf und Maria S. •

Frage an Christine Lambrecht von Rolf und Maria S. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Lambrecht,

wir erlauben uns, Sie höflich zu fragen, was die SPD und damit auch Sie als SPD-Mitglied im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zur Verbesserung der Rechtssicherheit in Deutschland tun wollen.
Mit den folgenden Einzelfragen sollen Mängel in der Justiz benannt werden, die unbedingt zu verbessern wären:
1a) Sollten nicht alle Sachverständigen, die vor Gericht schriftliche oder mündliche Aussagen treffen, vom Gericht vereidigt werden?
1b) Warum dürfen öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige vor Gericht falsche Begutachtungen vornehmen, ohne im Allgemeinen dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, während andere Sachverständige und Zeugen wegen Falschaussage belangt werden können?
2a) Sollten nicht alle Aussagen von Zeugen und von Sachverständigen sowie Vorträge der Prozessparteien und sonstige Äußerungen in allen Verhandlungen eines Gerichtsverfahrens genau protokolliert bzw. als Tonträgeraufnahme - die Beweiskraft haben muss - festgehalten werden, um transparente und faire Gerichtsverfahren zu erzielen?
2b) Würden Sie die von Rolf Bossi in seinem Buch: „Halbgötter in Schwarz“ geäußerte Meinung unterstützen, dass es zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit dringend erforderlich ist, dass alle Verfahren mindestens von einer weiteren Instanz auch bezüglich des Tatbestandes überprüft werden können?
3a) Will die SPD etwas dafür tun, damit auch Richter für ihr Fehlverhalten bei der Ausübung ihres Amtes zur Verantwortung gezogen werden?
3b) Wollen Sie sich dafür einsetzen, dass die SPD gesetzgeberisch etwas tut, damit der Bundesgerichtshof den § 339 StGB (Rechtsbeugung) nicht mehr völlig übertrieben restriktiv zu Gunsten der Richter auslegen kann, wie es bisher leider erfolgt?
4) Wollen Sie sich dafür einsetzen, dass der Bundestag den § 839 BGB (Haftung bei Amtspflichtverletzung) so ändert, dass er im Einklang mit Art. 34 unseres Grundgesetzes und des europäischen Rechtes(?) steht? Kann der Abs. 2 des § 839 BGB dazu nicht einfach ersatzlos gestrichen werden?

Mit freundlichen Grüßen
Maria und Rolf Schmidt

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Maria Schmidt,

Sehr geehrter Herr Rolf Schmidt,

wir bekommen täglich zwischen 80 und 150 e-Mails. Darunter sind zwischen 80 und 90 % so genannte Spam- oder Massenmails, auf die wir prinzipiell nicht reagieren. Bei vielen Fragen, die über "Kandidatenwatch" gestellt werden, handelt es sich ebenfalls um anonyme Massenmails, die auf dieser Seite unkontrolliert an jeden beliebigen Abgeordneten geschickt werden. Ich halte es für ein Problem, dass die Macher dieser Seite dem einen seriösen Anstrich geben. Ich halte im Übrigen auch ein Konzept einer Internetseite für fragwürdig, bei dem ohne Absprache Daten der Kandidaten unvollständig ins Netz gesetzt werden und dann vom Seitenbetreiber 100 Euro dafür verlangt werden, dass weitere Informationen auf die Seite gesetzt werden. Das ist kaum seriös und es hat auch mit Demokratie nichts zu tun.

Mittlerweile ist auch aufgefallen, dass über "Kandidatenwatch" gestellte Fragen von identischen Absendern an verschiedene Abgeordnete sich widersprechende persönliche Angaben enthalten, die einen Missbrauch dieser Form der Fragestellung deutlich machen.

Ich habe es mir zur Regel gemacht, nur Anfragen zu beantworten, bei denen der Absender über die Mailadresse hinaus ersichtlich ist, die aus meinem Wahlkreis kommen. Aus Ihrer Mail ist nicht ersichtlich, ob sie nur an mich oder nicht noch an hunderte andere Empfänger gegangen ist. Ich konnte ihr lediglich einen Namen und einen Provider entnehmen. Aufgrund der täglichen Flut von Mails bin ich gezwungen, Mails, die keine näheren Hinweise auf den Absender, besonders seinen Wohnort und den Grund, warum die Mail an mich gerichtet wurde, enthalten, wie einen anonymen Brief zu behandeln.

Ich bitte Sie also, mir ihre Anschrift mitzuteilen und den Grund, warum Sie sich an mich wenden (z.B., ob Sie in meinem Wahlkreis wohnen). Zu einem Dialog gehört ja schließlich, dass man weiß, mit wem man es zu tun hat. Dann werde ich Ihre Mail gerne beantworten, bzw. Ihnen bei der Suche nach dem für Sie zuständigen Abgeordneten der SPD behilflich sein.

Mit freundlichen Grüßen

Christine Lambrecht

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Antwort von
SPD

Lieber Rolf Schmidt,
Liebe Maria Schmidt,

ich bitte Euch noch einmal um Verständnis, dass ich sehr rigorose Kriterien anwende, welche Mail-Anfragen ich beantworte. Wir bekommen hunderte von Mails am Tag und in diesen Tagen unendlich lange Fragenkataloge zu Spezialthemen.

Das Internet gehört für mich zu den alltäglichen Kommunikationsmitteln und kein Bundestagsabgeordneter muss heute mehr beweisen, dass er es auch nutzt. Ohne das Internet geht es gar nicht mehr. Aber für mich heißt "Politik machen" nicht nur, vor dem Computer zu sitzen, sondern vor allem raus zu gehen und mit den Menschen zu reden. Das mag vielen hier in diesen Foren unmodern und uncool vorkommen, es gibt aber Menschen, die wollen das und ich bin damit sehr erfolgreich. Vor allen Dingen in meinem Wahlkreis ist das sehr wichtig.

In Euerer zweiten Mail, die direkt an mich gegangen ist, schreibt ihr, dass Euer Papier einem Arbeitskreis unserer Partei bereits vorliegt. Ich kannte es bisher nicht.

Freundlicherweise hat aber die AG Recht der SPD-Bundestagsfraktion sich Eurer Fragen angenommen und eine Stellungnahme erarbeitet, die ich Euch im Anhang zukommen lasse.

Mit freundlichen Grüßen,
Christine Lambrecht
MdB

Die Stellungnahme lautet wie folgt:

1a) Sollten nicht alle Sachverständigen, die vor Gericht schriftliche oder mündliche Aussagen treffen, vom Ge­richt vereidigt werden?

Eine grundsätzliche Vereidigung allen Sachverständigen vor Gericht halten wir nicht für erforderlich. Die beste­henden gesetzlichen Vorschriften reichen aus. Die Beeidigung des Sachverständigen im Zivilprozess richtet sich nach §§ 391, 402, 410 ZPO. Danach kann das Gericht eine Beeidigung anordnen, wenn es dies "mit Rücksicht auf die Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage für geboten erachtet und die Parteien auf die Beeidigung nicht verzichten". Ob ein Sachverständiger zu beeiden ist, steht im pflicht­gemäßen Ermessen des Tatrichters (BGH, NJW 1998, 3356).

1b) Warum dürfen öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige vor Gericht falsche Begutachtungen vor­nehmen, ohne im Allgemeinen dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, während andere Sachverständige und Zeugen wegen Falschaussage belangt werden können?

Das geltende Recht sieht für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige keinen Haftungsausschluss vor. Im Übrigen ist die öffentliche Bestellung von Sachverständigen Ländersache. Schadensersatzansprüche können sich aus §§ 823, 839a BGB bzw. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ergeben. Auch eine strafrechtliche Verantwort­lichkeit nach §§ 153 ff StGB kommt grundsätzlich in Betracht.

2a) Sollten nicht alle Aussagen von Zeugen und von Sachverständigen sowie Vorträge der Prozessparteien und sonstige Äußerungen in allen Verhandlungen eines Gerichtsverfahrens genau protokolliert bzw. als Tonträger­aufnahme - die Beweiskraft haben muss - festgehalten werden, um transparente und faire Gerichtsverfahren zu erzielen?

Meines Erachtens wird dies bereits durch die Vorschriften über die Protokollierung der Hauptverhandlung (vgl. §§ 160 Abs. 3 Nr. 4, 161 ZPO; §§ 271 ff StPO) hinreichend gewährleistet.

2b) Würden Sie die von Rolf Bossi in seinem Buch "Halbgötter in Schwarz" geäußerte Meinung unterstützen, dass es zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit dringend erforderlich ist, dass alle Verfahren mindestens von einer weiteren Instanz auch bezüglich des Tatbestandes überprüft werden können?

Der geltende Instanzenzug gewährleistet eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils in tatsächlicher Hinsicht in der zweiten Instanz. Zur Gewährleistung des "Gebots materieller Gerechtigkeit" darf sich daran nach meiner Auffassung nichts ändern. Die von den Justizministern einiger unionsregierter Bundesländer erhobene Forderung zur Einführung einer sog. "funktionalen Zweigliedrigkeit" (Beschränkung auf jeweils eine Tatsachen- und Rechtsprüfungsinstanz) lehnen wir ausdrücklich ab.

3a ) Will die SPD etwas dafür tun, damit auch Richter für ihr Fehlverhalten bei der Ausübung ihres Amtes zur Verantwortung gezogen werden können?

Art. 97 Abs. 1 GG, § 25 DRiG und § 1 GVG garantieren die sachliche Unabhängigkeit des Richters. Dieser Grundsatz ist wesentlicher Bestandteil des Prinzips der Gewaltenteilung. Die in Art. 97 Abs. 2 GG garantierte persönliche Unabhängigkeit stellt eine notwendige Ergänzung dar und gewährt dem Richter Schutz vor Sanktionen für unliebsame Entscheidungen. Diese Unabhängigkeit soll den Richter vor sachfremder Einflussnahme von außen absichern. Den Richtern obliegt jedoch die Dienstpflicht, ihre richterliche Tätigkeit in strikter Gesetzesbindung und sachlicher Unabhängigkeit wahrzunehmen. Der Richter untersteht gemäß § 26 DRiG der Dienstaufsicht, soweit nicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt ist. In diesem Zusammenhang kann ihm die ordnungswidrige Art der Ausführung eines Amtsgeschäfts vorgehalten werden. Er kann zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung des Amtsgeschäfts ermahnt werden. Die Regelung des § 26 DRiG sehen wir als ausreichend an. Die Unabhängigkeit der Richter ist wesentliche Voraussetzung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes und daher untrennbarer Bestandteil der rechtsstaatlichen Verpflichtung zur Justizgewähr. Den Verfahrensbeteiligten ist es überlassen, im Rechtsbehelfswege ggf. eine Nachprüfung der inhaltlichen Übereinstimmung der Entscheidung mit dem Gesetz zu bewirken.

3b) Wollen Sie sich dafür einsetzen, dass die SPD gesetzgeberisch etwas tut, damit der Bundesgerichtshof den § 339 StGB (Rechtsbeugung) nicht mehr völlig übertrieben restriktiv zu Gunsten der Richter auslegen kann, wie es bisher leider erfolgt?

Wegen Rechtsbeugung kann sich ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter strafbar machen, wenn er sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann gegeben, wenn der Täter sich bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (vgl. Tröndle/Fischer, 52. Aufl. § 339 Rn. 14). Die Rechtsbeugung nach § 339 StGB erfordert Vorsatz. Für den subjektiven Tatbestand genügt bedingter Vorsatz. Schon diese Regelung wird als zu weitgehend kritisiert (vgl. Schönke-Schröder/Cramer, 26. Aufl. § 339 Rn. 7). Eine Verschärfung der Vorschrift in dem Sinne, dass auch die fahrlässige Rechtsbeugung strafbar würde, würde zu einer unvertretbaren Ausdehnung des Tatbestandes führen. Auch für eine sonstige Erweiterung des Tatbestandes besteht kein Anlass. Die Rechtsbeugung ist mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht, ist also ein Verbrechen. Eine Erhöhung der Strafdrohung ist nicht angezeigt.

4. Wollen Sie sich dafür einsetzen, dass der Bundestag den § 839 BGB (Haftung bei Amtspflichtverletzung) so ändert, dass er im Einklang mit Art. 34 unseres Grundgesetzes und des europäischen Rechts steht? Kann der Abs. 2 des § 839 BGB dazu nicht einfach ersatzlos gestrichen werden?

Eine Überarbeitung des in § 823 Abs. 2 BGB festgeschriebenen Spruchrichterprivilegs ist nach meiner Ein­schätzung überdenkenswert. Das in § 839 Abs. 2 BGB geregelte Spruchrichterprivileg beschränkt die Haftung aus Amtspflichtverletzung bei Richtern. Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so ist er - und für ihn nach Art. 34 GG der Staat - nur dann ver­antwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat, also der Rechtsbeugung besteht. Diese Beschränkung belastet den Geschädigten. Inzwischen gibt es eine Entscheidung des EuGH (NJW 2003, 3539) mit grundle­genden Festlegungen zur Staatshaftung in Folge falscher (letztinstanzlicher) Gerichtsentscheidungen, die das Spruchrichterprivileg nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Christian Schläger, in: NJW-aktuell Heft 1-2/2004, S. XIV) gegenstandslos werden lässt. Es könne nicht angehen, dass ein grob fahrlässiges falsches Urteil eines deutschen Gerichts, das gegen europarechtliche Normen verstößt, laut EuGH-Entscheidung Staats­haftungsansprüche auslöst, die entsprechende Entscheidung eines deutschen Gerichts, das "nur" grob fahrlässig gegen deutsches Recht verstößt, die oben genannte Rechtsfolge aber nicht auslöse.