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Carola Veit
SPD
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Frage von Birgit I. •

Frage an Carola Veit von Birgit I. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Veit,

fast jede Initiative der Parteien, für Kinder mehr rechtliche und finanzielle Ressourcen aufzutun, gefällt mir. Bei der geplanten Bundesratsinitiative „Kinderrechte ins Grundgesetz“, die von der SPD beantragt wurde, fehlt es mir für eine Beurteilung an Informationen. „Kinderrechte ins Grundgesetz“ klingt erstmal gut. Kinder haben aber bereits Grund- und Menschenrechte aus Art. 1 GG. Deshalb kann ihre Presseerklärung irritierend wirken.

Bei Grundgesetzänderungen neige ich nicht zu spontaner Begeisterung. Ich will kurz erklären, warum. Antidemokratische Politik war in der ersten deutschen Demokratie dadurch gekennzeichnet, dass ganz massiv eine wörtliche Auslegung von Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung mit der bescheidenen Realität kontrastiert wurde. (vgl. z. B. Sontheimer). Der Parlamentarische Rat hat deshalb Wert darauf gelegt, dass das Grundgesetz kaum Verheißungen enthält, die nicht einklagbar sind. Antidemokratisches Denken gehört nicht nur zur Vergangenheit. Zu viel Versprochenes macht die Verfassung nicht schöner, sondern angreifbarer. Änderungen, die nur deklaratorisch wirken, finde ich hingegen unnötig.
Ich finde wichtig zu überlegen, ob eine Grundgesetz-Änderung sinnvoll ist und vor allem, wie sie formuliert werden soll.

Einen Bonus für die Initiative „Kinderrechte ins Grundgesetz“ möchte ich der SPD erst geben, wenn klar ist, welche konkret einklagbaren Rechte durch eine Änderung von Artikels 6 GG zusätzlich erreicht werden und ob diese auf dem Weg der einfachen Gesetzgebung nicht besser erreicht werden könnten.
Meine Fragen lauten deshalb:

1. Was ist der Wortlaut der vorgeschlagenen Änderung des Grundgesetzes, die per Bundesratsinitiative angestrebt wird?
2. Welche Chancen und Risiken sind aus familienpolitischer Perspektive hiermit verbunden?

Freundliche Grüße
Birgit Imroll

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Imroll,

in der letzten Woche haben wir in der Hamburgischen Bürgerschaft über einen Antrag meiner Fraktion abgestimmt, der zum Ziel hatte, dass Hamburg die Aufnahme eigenständiger Kinderrechte in den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes unterstützt.
Orientierungsrahmen dabei sollte die UN-Kinderrechtskonvention sein. Wir wollen, dass neben kindgerechten Lebensbedingungen, für die die staatliche Gemeinschaft Sorge trägt, das Recht eines jeden Kindes auf Achtung seiner Würde, auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung, körperliche und geistige Unversehrtheit und den besonderen Schutz vor Gewalt und Vernachlässigung zu gewährleisten ist. Sie finden den vollständigen Wortlaut unseres Antrags einschließlich der Begründung unter http://www.carola-veit.com/wp-content/uploads/2007/12/kinderrechtegg.pdf .

Leider hat die CDU-Bürgerschaftsfraktion unseren Antrag abgelehnt und sich damit noch einmal klar gegen die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung ausgesprochen.

Auf Bundesebene hat die SPD-Bundestagsfraktion eine Änderung des Artikel 6 (2) befürwortet, der künftig lauten soll: "Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und auf den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen".

Zu Ihrer weiteren Frage: Grundrechte sind immer Symbole aber sie sind mehr als eine Deklaration. Lesen Sie nur Artikel 1 unserer Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Inzwischen haben mehr als die Hälfte aller Bundesländer Kinderrechte in ihren Verfassungen verankert. Und dies hat mehr als nur symbolische Bedeutung, denn damit wird klar: Der Staat hat dafür zu sorgen, dass ein Kind bestmögliche Förderung bekommt. Und dieses Recht wird dem sogenannten Elternrecht entgegengesetzt, denn ein Kind kann nicht allein davon abhängig sein, ob es von den Eltern gefördert wird oder nicht.
Hier hinkt das Grundgesetz hinterher, und deswegen gibt es ein breites Bündnis für die Aufnahme von Kinderrechten in unsere Verfassung, die neben der SPD auch unterstützt wird z.B. vom Kinderschutzbund, UNICEF, dem Deutsches Kinderhilfswerk und vielen anderen.

Um Ihre Frage ganz zu beantworten: Risiken sehe ich keine. In den letzten Jahrzehnten ist mehrfach die rechtliche Situation von Kindern verbessert worden und es gibt keine Massen von Kindern, die gegen ihre Eltern vor Gericht ziehen. Die Wirkung in Familien wird hoffentlich sein, ein anderes Bewusstsein, auch bei Eltern, zu schaffen.

Die Chancen liegen vor allem darin, dass eine deutlichere Aufforderung an Staat und Gesellschaft ergeht, insbesondere Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen. Der Staat darf sich bei seinem Wächteramt über die Elternverantwortung nicht auf rein defensive Maßnahmen beschränken. Vielmehr hat er durch Abwehr drohender Beeinträchtigungen und durch Sicherstellung der Grundanforderungen an die kindliche Entwicklung aktiv beizutragen. Nur mit eigenem Rechtsstatus des Kindes ist wirklich sichergestellt, dass der Schutz des Kindeswohls im Konfliktfalle gegen das grundgesetzlich geschützte elterliche Erziehungsrecht durchsetzbar ist.
Rechtlich und politisch bedeutet die Grundgesetzänderung die Stärkung der Interessen der nachwachsenden Generation (Partizipationsrechte, Berücksichtigung bei politischen Entscheidungen usw.); die Begründung und Durchsetzung konkreter Verbesserungen erhält einen verbindlichen verfassungsrechtlichen Bezug.

Viele Grüße, Carola Veit.

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