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Britta Haßelmann
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Frage von Johannes k. •

Frage an Britta Haßelmann von Johannes k. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Haßelmann,

ich habe eine kurze Frage die mir dennoch am Herzen liegt. Beim Zeitung lesen bin ich auf einen Artikel gestoßen, der sich mit dem Hungerstreik einiger Exiliraner in einer Kreuzberger Kirche befasst. Der Protest zielt auf die dramatischen Zustände im Flüchtingslager Ashraf nördlich von Bagdad, dass von irakischen Sicherheitskräften überfallen wird.

Bislang sind die Proteste auf wenig Resonanz gestoßen. Dabei liegt Ashraf nicht gänzlich ausserhalb deutscher/europäischer Einflussphäre. Daher meine Frage: Könnten sie sich vorstellen die Thematik, und wenn auch nur am Rande, aufzugreifen?

Eine öffentliche Diskussion der Thematik würde sicher nicht nur den Irakischen Exiliranern helfen. Auch deutsche (Exil-) Iraner würden ein bisschen Aufmerksamkeit und Solidarität sicher zu schätzen wissen.

MfG
Johannes Knippenberg

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Sehr geehrter Herr Knippenberg,

der letzte Stand der Hungerstreik-Aktion war nach meinen Informationen, dass die Kirche diese Form des Protests nicht mittragen wollte. Deshalb haben die Aktivisten der Organisation „Mojahedin-e Khalq-e Iran“ (MEK) den angekündigten Hungerstreik vor dem Auswärtigen Amt organisiert. Das Anliegen der Hungerstreikenden können wir nachvollziehen. Auch wir sind besorgt angesichts der Zukunft der im Lager „Camp Ashraf“ im Irak lebenden Angehörigen der MEK und der Berichte über gewalttätige Übergriffe seitens irakischer Sicherheitskräfte.

Das Lager Camp Ashraf muss aus unserer Sicht unter Wahrung der Rechte und auf der Basis der internationalen Standards im Flüchtlingsschutz aufgelöst werden. In diesem Sinne muss mit den betroffenen Regierungen und internationaler Unterstützung eine menschenrechtlich und humanitär vertretbare Lösung gefunden werden. Die irakische Regierung trägt die rechtliche und politische Verantwortung für persönliche Sicherheit der Menschen und für die Einhaltung aller internationalen Konventionen zum Flüchtlingsschutz. Sie hat sich an die vorgegebenen Standards in den einschlägigen UN-Konventionen zu halten. Die zahlreichen Toten und Verletzten machen deutlich, dass das Vorgehen der irakischen Sicherheitskräfte in dieser Form inakzeptabel ist.

Für die meisten Mitglieder der MEK, die unter Saddam Hussein militärisch gegen Iran gekämpft und mit seinem Sicherheitsapparat kooperiert haben, der für schwere innerirakische Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war, gibt es langfristig keinen Platz im neuen Irak. Inwieweit für Teile der MEK-Mitglieder und ihrer Angehörigen ein Verbleib im Irak oder eine Aufnahme in Verbindung mit einer Amnestie möglich ist, muss geprüft werden. In der Vergangenheit sind mit Unterstützung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) bereits einige Hundert Personen in den Iran zurückgekehrt. Für andere Aktivistinnen und Aktivisten der Organisation müssen Drittstaaten zur Aufnahme gefunden werden. Maßgabe bei der Auflösung des Lagers muss die Sicherheit und Unversehrtheit der Menschen sowie die Freiwilligkeit ihrer Umsiedlung sein.

Die Organisation der MEK müsste ihrerseits verpflichtet werden, ihre propagandistischen Aktivitäten und den Druck gegen Mitglieder in den eigenen Reihen zu unterlassen. Menschenrechtsorganisationen haben in der Vergangenheit dokumentiert, wie die MEK gegen sogenannte abtrünnige Mitglieder vorgehen und massiv unter Druck setzen (vgl. Human Rights Watch Bericht: No Exit. Human Rights Abuses Inside the Mojahedin Khalq Camps http://www.hrw.org/legacy/backgrounder/mena/iran0505/ ).
Die Führung der MEK ist insoweit mitverantwortlich für die aktuelle Situation, indem sie die Zeit seit der Entwaffnung der Ashraf-City-Bewohner nicht für eine Umstellung und Deeskalation der Lage benutzt hat. Die MEK-Führung hat sich nicht von der Vorstellung verabschieden wollen, dass Ashraf-City kein Insel-Staat der MEK-Führung ist, sondern eine Kaserne im irakischen Territorium, das der irakischen Souveränität und Autorität untersteht. Die MEK-Führung hat die Tatsache nicht wahrhaben wollen, dass die Iraker die Kontrolle über das eigene Territorium schrittweise nach dem vereinbarten Abzug der US-Streitkräfte übernehmen werden. Die MEK-Führung hat es in dieser Zeit nur darauf gesetzt, eine Kontingentlösung oder gruppenweise Aufnahme ihrer Truppen in anderen Staaten zu erreichen. Das musste scheitern, weil die aufnehmenden Länder das Asylrecht individuell gewähren und nicht bereit waren und sind, die MEK-Truppen nach Gusto der Führung kontingentiert aufzunehmen. Selbstverständlich kommen Kontingentlösungen im Flüchtlingsschutz immer wieder vor. Die dafür notwendigen Voraussetzungen fehlten jedoch im Falle von Ashraf City.

Die MEK sind weiterhin von zahlreichen Staaten als terroristische Organisation eingestuft, auch wenn die EU 2009 die Listung aus juristischen Gründen beendet hat. Unabhängig von der Einstufung der Organisation muss Sorge dafür getragen werden, dass ein sicherer Ort für die Menschen in Camp Ashraf gefunden werden kann.

Aufgrund der unklaren dramatischen Lage im Lager „Ashraf“ haben wir eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet (BT-Drucksache 16/13998), von deren Beantwortung wir mehr belastbare Informationen für die Bewertung der Lage erwarten.

Mit freundlichen Grüßen
Britta Haßelmann

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