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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von joachim k. •

Frage an Bettina Hagedorn von joachim k. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Hagedorn,
wie stehen Sie zu CETA und TTIP?
Wie beurteilen Sie das Verhalten Ihres Parteivorsitzenden und Wirtschaftsministers zu diesen Themen?
Glauben Sie ernsthaft, die SPD kann 2017 als wirtschaftskompetente Partei bei Ihren ehemaligen Stammwählern punkten, Stammwählern, die durch die jetzt jahrelange auch von der SPD mitgetragene Politik verstärkt mit Altersarmut konfrontiert werden?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Krönke,

Sie fragten mich am 27. September 2016, wie ich „zu CETA und TTIP“ stehe, und schon diese Fragestellung ist aus meiner Sicht zu undifferenziert, weil sich CETA und TTIP gravierend – nicht nur im Verfahrensablauf – voneinander unterscheiden und man in einer seriösen Debatte beide Abkommen auf keinen Fall einfach in einen Topf zu werfen darf.

Wie unser Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel längst öffentlich klipp und klar erklärt hat, sind die Verhandlungen zu TTIP mit den Amerikanern de facto gescheitert, weil es nach 14 Verhandlungsrunden in Brüssel in keinem einzigen (!) von 27 Bereichen einen abgestimmten, geeinten Vorschlag gibt. Die unterschiedlichen Interessen zwischen Europäern und Amerikanern sind in entscheidenden Fragen offenbar bislang unüberbrückbar. Die Präsidentschaftswahlen in den USA haben die Verhandlungen zusätzlich blockiert, da weder Hillary Clinton noch Donald Trump als Befürworter eines solchen Handelsabkommens mit Europa gelten. Sollte sich diese ablehnende Sichtweise in den USA nach der Präsidentschaftswahl ändern, müssten die TTIP-Verhandlungen komplett neu starten und würden sich – und das wäre dann eine große Chance – an dem inzwischen unterzeichneten CETA-Abkommen mit Kanada als „Blaupause“ zwingend orientieren müssen.

Ganz anders ist die Lage bei CETA: Dieses Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada galt eigentlich schon seit 2014 als ausverhandelt und abgeschlossen. In der CDU/CSU (und FDP) war man schon damals klar FÜR den Abschluss von CETA in dieser „neoliberalen“ Version, die SPD war mit großer Mehrheit dagegen und formulierte nach mehrstündiger Debatte über fairen und gerechten Welthandel auf dem eigens dafür einberufenen SPD-Parteikonvent am 20. September 2014 klare „rote Linien“ als zwingende Voraussetzung für erfolgreiche Nachverhandlungen und für unsere nur dann mögliche Zustimmung zu CETA. Auch als SPD Schleswig-Holstein haben wir auf einem Landesparteirat am 24. Januar 2015 gemeinsam mit Bernd Lange (SPD-Europaabgeordneter, Handelsausschussvorsitzender und zuständiger Berichterstatter für TTIP und CETA im Europaparlament) drei Stunden lang ausführlich diskutiert und diese „roten Linien“ bestätigt.

Fakt ist: Die SPD stellte sich als einzige Partei in den letzten zwei Jahren in unzähligen öffentlichen Veranstaltungen den kritischen Fragen zu diesen Freihandelsabkommen. Auch ich selbst habe gleich DREI öffentliche Veranstaltungen – gemeinsam mit meiner Bundestagskollegin aus dem Wahlkreis Lauenburg Dr. Nina Scheer, die als „Fachfrau“ der Parteilinken für die Freihandelsabkommen zuständig ist, und mit Sandra Redmann als umweltpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion – mit dem Titel „TTIP und CETA als Chance oder Risiko?“ organisiert und hatte in Reinfeld und Stockelsdorf (11. März 2015) und Süsel (24. März 2016) insgesamt über 200 Interessierte (darunter viele Nicht-Parteimitglieder), die sich informieren und konstruktiv-kritisch mit uns diskutieren wollten. Schade, dass Sie offenbar nicht bei diesen Veranstaltungen dabei waren – sonst hätten wir uns dort auch persönlich austauschen können.

Während also seit 2014 die öffentliche Debatte über TTIP und CETA die Gemüter immer stärker erhitzte und – gerade wegen der fehlenden Transparenz bei den Verhandlungen in Brüssel – häufig genug unter fehlender Sachlichkeit litt, die die verständliche Verunsicherungen bei den Menschen noch vergrößerte, geschah genau das, was alle vehementen Befürworter und vermeintlichen Experten noch 2014 für absolut unmöglich gehalten hatten: Die kanadische Regierung stimmte zu, dass CETA in allen für uns wesentlichen Punkten nachverhandelt wurde. All diese Fortschritte wären unmöglich gewesen, wenn es nicht 2015 – also NACH dem Abschluss der offiziellen Verhandlungen über CETA – einen Regierungswechsel in Kanada gegeben hätte: Anstelle des erzkonservativen Premiers Stephen Harper steht nun der Liberale Justin Trudeau an der Spitze einer modernen und progressiven kanadischen Regierung, deren Vorstellungen von fairen Handelsabkommen deutlich besser zu denen passen, die wir als Sozialdemokraten in Europa vertreten. Damit eröffnete sich die Chance für uns Europäer, mit CETA einen neuen Standard für faire und fortschrittliche Regeln für den internationalen Handel zu setzen, und Sigmar Gabriel setzte sich maßgeblich sowohl in Brüssel wie auch in Kanada im direkten Dialog dafür ein, dass die – von der SPD mit ihren ‚roten Linien‘ formulierten – Standards auch tatsächlich in den Nachverhandlungen umgesetzt wurden.

Dabei haben vor allem die deutschen Gewerkschaften im Dialog mit ihren kanadischen Kollegen erfolgreich und parallel verhandelt – denn für die SPD war elementar, Erfolge bei den Standards für Arbeitnehmerrechte zu erreichen. Kanada hat im Rahmen der CETA-Verhandlungen zugestimmt, alle acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO – endlich – zu ratifizieren. Bisher hatten sie nur sechs Konventionen ratifiziert, gerade im Juni 2016 ist nun mit der über das Mindestalter von Beschäftigten die siebte dazugekommen. Die Ratifizierung der achten und letzten Kernarbeitsnorm zu Vereinigungsrecht und Kollektivverhandlungen wird im Moment von der kanadischen Regierung vorbereitet.

Unbestreitbarer Fakt ist, dass es die SPD und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit massivem politischen Druck geschafft haben, nachträglich noch entscheidende Verbesserungen in das eigentlich schon ausverhandelte Abkommen einzufügen – ein riesiger Erfolg, den vorher alle Beobachter für unmöglich erklärt hatten! So wird es nun im Rahmen von CETA keine intransparenten privaten Schiedsgerichte geben, sondern einen internationalen Investitionsgerichtshof, der öffentlich tagt und dessen Richter öffentlich von der EU und von Kanada benannt werden. Standards bei Arbeitnehmer- und Verbraucherrechten wurden ebenso angehoben wie beim Umweltschutz. Auch wichtige Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, etwa die kommunale Wasserversorgung, werden explizit geschützt!

Weitere Klarstellungen wurden übrigens in einer Gemeinsamen Auslegungserklärung festgehalten, die die EU-Mitgliedstaaten und Kanada bei Unterzeichnung des Abkommens abgegeben haben. Hier stellen alle Vertragsparteien noch einmal – um allen Missverständnissen vorzubeugen – rechtsverbindlich klar: CETA wahrt die Fähigkeit der EU-Mitgliedstaaten und Kanadas, ihre eigenen Gesetze und Vorschriften zur Regulierung der Wirtschaft im öffentlichen Interesse zu erlassen und anzuwenden. Insbesondere öffentliche und Sozialdienstleistungen sowie die Wasserversorgung werden darin ausdrücklich geschützt und bekräftigt, dass CETA weder zu Privatisierungen verpflichtet noch die Regierungen daran hindert, Privatisierungen rückgängig zu machen. Ein hohes Arbeitsschutz- und Umweltschutzniveau werden als Ziele des Abkommens ebenso hervorgehoben wie das Engagement für nachhaltige Entwicklung. Diese Auslegungserklärung geht übrigens auf Gespräche zurück, die Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel persönlich mit der kanadischen Regierung geführt hat! Nur wegen dieser unbestreitbaren Erfolge war es möglich, dass der SPD-Parteikonvent am 19. September 2016 in Wolfsburg verbindlich für die SPD den weiteren Kurs abgesteckt und unsere Anforderungen an CETA klar formuliert hat: Wir wollen sicherstellen, dass es durch das Abkommen keine Bevorzugung von ausländischen gegenüber inländischen Investoren oder Bürgern geben wird, dass das Vorsorgeprinzip unangetastet bleibt und dass Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht von CETA berührt werden. All diese Punkte werden wir im gerade erst beginnenden parlamentarischen Verfahren – im Bundestag genauso wie im Europaparlament – sorgfältig prüfen und dabei die Zivilgesellschaft – Verbände, NGOs, Gewerkschaften und interessierte Bürger – eng in die Debatte über CETA einbinden.

Als Voraussetzung für dieses parlamentarische Verfahren haben die EU-Handelsminister, die Kommission und die kanadische Regierung am 30. Oktober 2016 das Abkommen unterzeichnet. Das heißt: Jetzt beginnt für CETA die „Stunde der Parlamente“, nämlich die Beratungen im Europaparlament und in den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten, auch im Deutschen Bundestag. Hier werden wir Klarstellungen und Präzisierungen durchsetzen, wo diese noch erforderlich sind, bevor wir entscheiden, ob CETA in Kraft tritt oder nicht.

Ich bin überzeugt, dass wir als SPD mit dieser Linie, für die gerade auch Sigmar Gabriel als SPD-Vorsitzender und Wirtschaftsminister steht, eine transparente und letztlich erfolgreiche Politik gemacht haben, die der 153-jährigen Tradition unserer Partei entspricht. Weder das desinteressierte Verharmlosen der Inhalte von CETA (und ggfs. TTIP) von CDU/CSU und FDP wurde diesem komplexen Thema gerecht, noch hätte eine Totalverweigerung mit einem kategorischen „NEIN“ wie bei Linken und Grünen irgendwelche Nachbesserungen bei CETA je erreicht. Wenn wir als Europäer mit CETA jetzt gleichzeitig – zusammen mit einer sehr fortschrittlichen kanadischen Regierung – Standards für Freihandelsabkommen setzen können, die ebenso von Europa mit allen anderen möglichen Handelspartnern – auch mit den USA – zur Verhandlungsgrundlage gemacht werden, dann hat sich dieser Einsatz nach meiner festen Überzeugung mehr als gelohnt.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Bettina Hagedorn

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