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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Jens H. •

Frage an Bettina Hagedorn von Jens H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Hagedorn,

ich habe Fragen zur EU-Saatgutverordnung (siehe Link unten). Warum greift die EU gegen die Interessen der Bürger in die Saatgutverordnung ein und dient damit einzig der Saatgutlobby? Man kann ein bösartiges Verhalten der EU erkennen, wenn man sich ansieht, wie sie die totale Kontrolle über das Saatgut zu erringt. Mit der sogenannten Saatgutverordnung will die EU vorschreiben, was wir anpflanzen und damit was wir essen dürfen. Nahrung ist lebenswichtig! Wissen Sie, warum die EU will, dass uns Konzerne vorschreiben, was gegessen werden darf? Gibt die EU nicht mit der Saatgutverordnung einigen wenigen Konzernen noch mehr Macht und Kontrolle? Wird sich nicht langfristig die Nahrungskette monopolisieren und das gesamte Saatgut Konzernen gehören und ist dann nicht die Bevölkerung diesen Konzernen ausgeliefert.

Auch wenn für kleinere Saatgutunternehmen vorerst noch Erleichterungen bei der Zulassung geplant sind (die EU behält sich vor, dies jeder Zeit zu ändern), so wird es in Zukunft vermutlich eine minimierte Auswahl von Saatgut geben. Tausende von Jahren durfte die Bevölkerung frei über ihr Saatgut verfügen. Können Sie mir sagen, warum die EU das nun ändern will? Wie stehen Sie zur Saatgutverordnung? Warum wurde die Saatgutverordnung nicht von unseren Volksvertretern gestoppt? Wie kann es sein, dass man sich mit Saatgut strafbar macht, wenn es außerhalb dieses Kontrollsystems verwendet wir?

Sehen Sie einen Sinn darin, dass z. B. Saat für Radieschen durch den Saatguthersteller regelmäßig neu zugelassen (gegen Gebühr und Zeitaufwand) werden muss, auch wenn die Saat schon seit tausenden Jahren angebaut wurde?

Hier der Link:
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/saatgutverordnung-der-eu-tiefschlag-fuer-hobbygaertner-1.1666512

MFG
Jens Helmcke

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Helmcke,

Ihrer Kritik an dem Entwurf der EU-Saatgutverordnung kann ich generell zustimmen. Sie sagen es selbst: Nahrung ist lebenswichtig! Daher darf es auch aus meiner Sicht nicht sein, dass die EU Neuregelungen vorsehen, dass der freie Wettbewerb bedroht und große Lebensmittelkonzerne mit noch mehr Marktmacht ausgestattet werden. Ein solches Vorgehen - parallel zu der von den Lobbyverbänden dieser Konzerne befeuerten Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung - muss gestoppt werden. Die Antwort, die Sie bereits von meinem CDU-Wahlkreiskollegen Herrn Gädechens erhalten haben, ist aus meiner Sicht im Fokus zu sehr auf die Vorteile der Saatgutindustrie und zu wenig auf die zu befürchtenden Nachteile für kleinere Unternehmen und Verbraucher gerichtet. Die gute Nachricht aber ist: Das Gesetzgebungsverfahren ist erst ganz am Anfang – das europäische Parlament wird noch seine Möglichkeit zur Stellungnahme nutzen und zumindest die EU-Abgeordneten der SPD werden dabei eine deutlich kritische Sichtweise einnehmen.

Generell ist eine Vereinheitlichung der bisher 12 verschiedenen EU-Richtlinien in diesem Bereich zwar zu begrüßen. Dabei müssen wir aber sehr genau darauf achten, dass die Lobbyarbeit großer Konzerne nicht dazu führt, dass durch die „Hintertür“ Änderungen in die Verordnung einfließen, die die Wettbewerbsfreiheit und auch die Biodiversität einschränken – beides wäre letztendlich zu Lasten der Verbraucher. Daher habe ich angesichts der EU-Verordnung in ihrer bisherigen Form große Bedenken: Sie wird nach meiner Auffassung vor allem den Interessen der großen Saatgutkonzerne, die bereits 75 Prozent des Weltmarkts unter sich aufteilen, gerecht. So soll beispielsweise die private Zertifizierung ermöglicht werden, was dazu führen würde, dass die Fixkosten für Registrierung und Zertifizierung auf kleine Wettbewerber, die keine eigene Abteilung finanzieren können, umgelegt werden könnten. Kleine Wettbewerber wie Bauern oder Gärtnereien müssten sich als professionelle Saatgutproduzenten auch laut aktuellem Entwurf als Betreiber registrieren lassen. Ebenfalls registrationspflichtig wäre Saatgut, das nicht in bisher unklar definierte Nischenmärkte fällt. Bedenklich stellt sich für mich aber vor allem die derzeit vorgesehene Möglichkeit zu sogenannten „delegated acts“ dar: Wie Sie richtig schreiben, bieten diese ALLEIN der EU-Kommission die Möglichkeit, Einzelheiten auch noch NACH der parlamentarischen Verabschiedung der Verordnung zu regeln. Das ist nicht nur in der Sache problematisch, sondern auch unter dem Aspekt der von mir und der SPD insgesamt gewünschten Stärkung der Einflussnahme gewählter Parlamentarier ein völlig falsches Signal.

Sie fragen, warum die EU-Verordnung nicht von unseren Volksvertretern gestoppt wird. Der Deutsche Bundestag hat am 9 Februar 2012 einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU, der sich ausdrücklich gegen die Patentierung von konventionell gezüchteten landwirtschaftlichen Nutztieren und Pflanzen positioniert, angenommen (Drucksache 17/8344, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/083/1708344.pdf). Die Bundesregierung steht also seit mehr als einem Jahr in der Pflicht, der Entwicklung zunehmender Patentierung von Pflanzen und Tieren entgegenzuwirken. Eine notwendige Präzisierung im deutschen Patentrecht haben die zuständigen Bundesministerinnen für Landwirtschaft und für Justiz in den letzten Monaten leider nicht zu Stande gebracht. Statt Impulse auf europäischer Ebene zu geben, ducken sich Frau Leutheusser-Schnarrenberger und Frau Aigner zum Vorteil großer Konzerne weg – Leidtragende dieser schwarz-gelben Klientelpolitik sind einmal mehr kleine Wettbewerber und natürlich die Verbraucher, die am Ende die Zeche zahlen müssen. Denn: die Verkleinerung des Marktes auf wenige große Unternehmen wird zwangsläufig zur Monopolisierung und zu höheren Verbraucherpreisen führen.

Auch ich sehe keinen Sinn darin, für Pflanzensorten, die bereits Jahrzehnte zugelassen sind, eine erneute Zulassung zu verlangen. Eine solche Praxis verursacht mehr Bürokratie und belastet kleinere Wettbewerber ungleich stärker. Für die SPD bietet das Sortenschutzrecht ein vollkommen ausreichendes Instrumentarium, so dass wir das Patentrecht und das Saatgutverkehrsrecht hier eigentlich nicht brauchen. Saatgut für Radieschen etwa regelmäßig neu zuzulassen und diese Vorgehensweise unter das Motto „smart rules for safer food“ zu stellen, klingt für mich schon fast nach einem Schildbürgerstreich. Nach meinem Wissen sind hier allerdings bereits Vereinfachungen für die sogenannten Erhaltungssorten geplant.

Die SPD wird die Entwicklung der EU-Saatgutverordnung wachsam verfolgen und dabei auch weiterhin ihrer Linie treu bleiben: Wir werden uns in Bundestag und EU-Parlament für die Interessen der Verbraucher, der kleineren Wettbewerber und der Hobbygärtner – für freien Wettbewerb und damit für eine hohe Qualität der Nahrungsmittel bei gleichzeitig bezahlbaren Preisen – einsetzen.

Mit freundlichen Grüße
Ihre Bettina Hagedorn

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