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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Jan K. •

Sehr geehrte Frau Hagedorn, noch vor der Bundestagswahl soll eine Abstimmung zur Verlängerung der "Pandemischen Notlage" in den Bundestag eingebracht werden. Wie stehen Sie zu diesem Thema?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr K.,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 17. Augst 2021 zum Thema „Feststellung des Fortbestehens der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“.

Ich möchte meiner Antwort eine Feststellung voranstellen: Ich persönlich bin seit Ende Juni zweifach geimpft (und zwar mit Astra Zeneca und Moderna – ich hätte allerdings auch jeden anderen Impfstoff akzeptiert, weil ich einfach nur froh und glücklich war, durch dieses Impfangebot nicht nur mich – sondern vor allem meine drei Kinder, drei Schwiegerkinder, vier Enkel und alle Menschen, denen ich tagtäglich im Alltag begegne – wirksam vor Ansteckung schützen zu können). Im Oktober erwartet meine Schwiegertochter ihr Kind – mein 5. Enkelkind – und wurde darum bisher NICHT geimpft. Ich bin froh, dass ich durch meine persönliche Impfentscheidung ihre Ansteckungsgefahr mindern kann. Mein vier Jahre älterer Bruder ist im Übrigen im Januar 2021 – 4 Wochen nach seiner Ansteckung an den Weihnachtstagen und nach dreiwöchiger Intubation - auf der Intensivstation in Hamburg nicht etwa „mit“, sondern „an“ Corona gestorben. Insofern nehme ich persönlich Erkrankungen an Corona sehr, sehr ernst und bin froh, dass wir inzwischen anerkannte Impfstoffe zur Verfügung haben, die uns ein Leben in einer gewissen Normalität zeitnah in Aussicht stellen.

Aber auch, wenn die Anzahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Corona-Virus (auch infolge des Impffortschritts) erfreulicherweise stark zurückgeht, so kann bei der derzeitigen Impfquote in Deutschland eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems weiterhin leider nicht ausgeschlossen werden. Es ist aus meiner Sicht extrem bedauerlich, dass sich so viele Menschen – trotz eines ausreichenden Impfangebotes – noch NICHT haben impfen lassen, denn ich bin fest davon überzeugt, dass uns eine steigende Impfquote der Normalität Stück für Stück näherbringen und dann auch die parlamentarische Entscheidung über eine Verlängerung des Infektionsschutzgesetzes in Deutschland am ehesten obsolet machen würde. Aber Fakt ist: In unserem freien Land wird es die Entscheidung der Bürger*innen bleiben, ob sie diese Chance ergreifen oder nicht. Weil aber zurzeit niemand voraussagen kann, inwieweit die Impfkampagne im Herbst vorangeschritten sein wird oder nicht (da die Menschen sich ausschließlich freiwillig für eine Corona-Impfung entscheiden können), wird der Deutsche Bundestag am 25. August 2021 aus meiner persönlichen Sicht mit Mehrheit die Verlängerung des Infektionsschutzgesetzes um drei Monate beschließen. Auch mit meiner Stimme. Ich erkläre Ihnen gerne, warum ich so entscheiden werde.
Laut Infektionsschutzgesetz kann der Bundestag eine „epidemische Lage“ feststellen und wieder aufheben. Der Bundestag hatte die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ erstmals am 25. März 2020 festgestellt und hat diese bereits 18.11.2020, am 04.03.2021 und am 11.06.2021 verlängert. Eine „epidemische Lage“ liegt vor, „wenn eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland besteht“, heißt es im Infektionsschutzgesetz. Sie endet automatisch, wenn der Bundestag sie nicht nach Ablauf von drei Monaten erneut verlängert.

Die 16 Ministerpräsident*innen der Bundesrepublik Deutschland haben kürzlich inständig und EINSTIMMIG an den Bund appelliert, diese Feststellung auch über den 11. September 2021 hinaus weiterzuführen. Diesem Appel der Ministerpräsident*innen der Länder haben sich nicht nur diejenigen mit CDU/CSU- oder SPD-Parteibuch angeschlossen, sondern auch diejenigen der Grünen und der Linken. In vielen Länderkoalitionen ist auch die FDP –insbesondere durch das Gesundheitsministerium – vertreten. Dieser Beschluss der Bundesländer wurde einstimmig und parteiübergreifend am 09. August 2021 auf der Konferenz der Gesundheitsminister der Länder getroffen. Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz Klaus Holetschek (Bayern) erklärte dazu, dass dies notwendig sei, um Infektionsschutzmaßnahmen in den Ländern weiterhin umzusetzen, wenn das geboten sei: Angesichts steigender Infektionszahlen hielten die Länder das für wichtig, denn sie wollten sich „nicht voreilig ihrer erprobten Instrumente berauben“ lassen. Diesem Votum der Länder werde ich – in Anerkennung unseres föderalen Systems - mit meiner Zustimmung zu dem Antrag im Bundestag folgen.

Warum? Die vom Bundestag am 11. Juni 2021 festgestellte „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ würde ansonsten nach drei Monaten am 11. September2021 enden – das ist 15 Tage vor der Bundestagswahl. Der neue Bundestag wird sich erst Ende Oktober konstituieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass es wichtig ist, noch VOR der Bundestagswahl – und in völliger Unkenntnis darüber, wie sich im Herbst die pandemische Lage aufgrund der hochansteckendenden Delta-Variante und vieler Reiserückkehrer aus Hochinfektionsgebieten einerseits und angesichts sinkender Impfbereitschaft in der Bevölkerung andererseits entwickeln wird - den gewählten Deutschen Bundestag mit der Frage zu konfrontieren, ob er nicht mit Mehrheit es für dringend geboten hält, dem einstimmigen Appell von 16 Ministerpräsident*innen zu folgen oder nicht. Im Übrigen: die damit festgestellte Lage gibt dem Bund zwar das Recht, direkt ohne Zustimmung des Bundesrates Verordnungen zu erlassen - etwa zu Tests, Impfungen, zum Arbeitsschutz oder zur Einreise - aber Fakt ist: selbst, wenn das Fortbestehen einer epidemischen Lage am 25. August vom Bundestag festgestellt wird, heißt das NICHT automatisch, dass die damit möglichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona-Virus auch notwendigerweise angewendet werden müssen. Würden die Infektionen drastisch zurückgehen, können Maßnahmen auch zurückgenommen werden, obwohl die epidemische Lage „auf dem Papier“ noch weiterbestünde. Gleichzeitig könnte der (neue) Bundestag nach seiner Konstituierung Ende Oktober JEDERZEIT die epidemische Lage wieder aufheben – spätestens 30 Tage nach der Wahl muss der Bundestag das erste Mal zusammentreten.

Fakt ist also: Ich werde dem Antrag der Koalitionsfraktionen zum Fortbestehen der epidemischen Lage am 25. August zustimmen, da ich fest davon überzeugt bin, dass viele Voraussetzungen für „die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ auch nach dem 11. September gegeben sein werden und die Unsicherheiten über die Entwicklung nach der der Bundestagswahl extrem hoch sind. Dieser Beschluss dient aus meiner Sicht der Prävention.

Klar ist: In Deutschland steigen die Zahlen der COVID-19-Fälle – nachdem im Frühjahr zunächst ein Rückgang verzeichnet werden konnte – in allen Bundesländern wieder an. Der Anstieg umfasst dabei alle Indikatoren: die Neuinfektionen, den R-Wert, die Quote der positiven PCR-Tests bezogen auf alle PCR-Tests, die 7-Tage-Inzidenz, die Hospitalisierungen und die notwendigen Behandlungen auf den Intensivstationen, von denen 47 Prozent beatmet werden müssen [RKI, Stand 18.8.]. Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der nicht oder nur einmal geimpften Bevölkerung in Deutschland weiterhin insgesamt als hoch ein, für vollständig Geimpfte wird die Gefährdung als moderat eingeschätzt (RKI, Risikobewertung zu Covid-19 vom 2.8.2021).

Noch immer sind viele europäische Staaten - so auch in direkter Nachbarschaft zu Deutschland - nach gemeinsamer Analyse und Entscheidung durch das Bundesministerium für Gesundheit, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat als Hochrisikogebiete für eine Infektion mit SARS-CoV-2 eingestuft.
In Deutschland ist seit mehreren Wochen die sogenannte Delta-Variante (B.1.617.2) absolut vorherrschend, die deutlich ansteckender ist, als es die zunächst in Deutschland und Europa zirkulierende Alpha-Variante B.1.1.7 (Alpha) war. Laut Robert Koch-Institut (RKI) liegt der Anteil der Delta-Variante B.1.617.2 bei den sequenzierten Neuinfektionen bundesweit derzeit bei 97,9 Prozent gegenüber 1,7 Prozent der Alpha-Variante B.1.1.7. (RKI, Stand 12.08.2021). Darüber hinaus besteht bei einer weiteren Verbreitung des Virus die Gefahr von so genannten „Escape-Mutationen“ – also Mutationen, die gegenüber unseren derzeitigen Impfstoffen weniger sensitiv sind und somit Impfdurchbrüche vermehrt auftreten lassen können.

Bei allen aufgezählten Argumenten gilt vor allem eines: Wir wollen unbedingt einen weiteren Lock-Down verhindern! Unsere höchste Priorität hat bei der Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Lebens die Öffnung unserer Schulen und Kitas. Unsere Kinder und Jugendlichen haben in den letzten 18 Monaten besonders stark gelitten und sich solidarisch gezeigt. Jetzt muss es endlich – Dank des umfassenden Impfangebotes - Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit durch Präsenzunterricht für alle jungen Menschen geben und endlich wieder eine unbeschwerte Betreuung für die Kleinsten.
Aus diesen Gründen finde ich es nicht nur vertretbar, sondern unumgänglich, dass einige Einschränkungen fortgeführt werden, um eine vierte Corona-Welle aktiv zu bekämpfen. Davor bewahren kann uns vor allem eine erhöhte Impfbereitschaft.

Mit freundlichen Grüßen

Bettina Hagedorn

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