Beate Walter-Rosenheimer
Beate Walter-Rosenheimer
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Petra B. •

Frage an Beate Walter-Rosenheimer von Petra B. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Walter-Rosenheimer,

meine Frage betrifft den Referentenentwurf des BAM "Scheinselbständigkeit", der am 16. Feb. präsentiert werden soll.
Ich arbeite seit 15 Jahren als freiberuflicher Interim Manager im Bereich Controlling / Finanzen in den unterschiedlichsten Projekten. Ich habe diese Form der flexiblen, abwechslungsreichen Arbeit freiwillig gewählt und mich explizit gegen ein Anstellungsverhältnis entschieden. Ich halte mich nicht für schutzbedürftig und möchte auch nicht geschützt werden. Sie können das sicherlich nachvollziehen, da Sie ja selbst als freiberufliche Psychologin tätig waren.

Besonders beängstigend an diesem Gesetzentwurf ist nach meiner Meinung, dass der Berufsstand der Freiberufler damit faktisch abgeschafft wird, da nicht zwischen schutzbedürftigen Arbeitnehmern einerseits und unternehmerisch agierenden Selbständigen andererseits unterschieden wird.

Wie ist Ihre Meinung zu der aktuellen Fassung dieses Gesetzentwurfes?

Wie stehen Sie zu einer Konkretisierung des Gesetzentwurfes, beispielsweise durch eine Konkretisierung der Schutzbedürftigkeit?
Beispielsweise: Schutz gilt nur für Freiberufler mit einem Stundensatz unter x Euro gilt oder nicht gilt, wenn der Freiberufler sich freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung / Rürup versichert -...

Für weitere Gespräche stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen

Petra Bähr

Beate Walter-Rosenheimer
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Bähr,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage zur anstehenden Regulierung der Werk- bzw. Dienstverträge bzw. der so genannten Scheinselbstständigkeit. Dieses Vorhaben wurde bereits im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD angekündigt. Zurzeit wird ein entsprechender Referentenentwurf zwischen den Ministerien abgestimmt.
Ziel dieses Gesetzes ist es, den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zu unterbinden sowie sogenannter Scheinselbstständigkeit von Personen, die durch ihre wirtschaftliche Abhängigkeit in prekäre Situationen gedrängt werden, entgegen zu wirken. Dieses Vorhaben unterstütze ich ausdrücklich, aber die von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles geplante Umsetzung lehne ich aus verschiedenen Gründen ab.
Die Bundesregierung plant Abgrenzungskriterien abhängiger Beschäftigung von anderen Vertragsformen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und will damit den Missbrauch von Werkverträgen an Drittfirmen sowie Scheinselbstständigkeit gleichermaßen und mit denselben Kriterien unterbinden. Ich glaube nicht, dass das den unterschiedlichen Problemen gerecht wird.
Insbesondere die Unterscheidung zwischen Scheinselbstständigkeit und tatsächlicher Selbstständigkeit ist nicht ganz einfach. Ein Grund dafür ist, dass die Gruppe der Selbstständigen sehr uneinheitlich ist. Viele haben sich bewusst für die Selbstständigkeit entschieden und brauchen – sofern sie tatsächlich für das Alter abgesichert sind – den Schutz und die Fürsorge des Staates nicht. Vollkommen zurecht verweisen Sie selbst auf genau diesen wichtigen Aspekt der freien Entscheidung.
Ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass unzeitgemäße Abgrenzungskriterien, langwierige Statusfeststellungsverfahren, viel Bürokratie und widersprüchliche Gerichtsurteile eine massive Beeinträchtigung für viele Selbstständige und Freiberufler darstellen. Selbstbestimmung und Eigenverantwortung sind zentrale Leitmotive für grüne und damit auch meine eigene Politik. Sie stellen wichtige Gründe für Menschen dar, sich selbständig zu machen. Diese Motivation kann ich sehr gut nachvollziehen. Wir wollen mit unserer Politik Risikobereitschaft und Kreativität fördern und sie nicht behindern.
Dumpinghonorare und Scheinselbstständigkeit sind mit einer nachhaltigen und fairen Gründungskultur in meinen Augen aber nicht zu vereinbaren. Trotzdem dürfen Selbstständige nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Das Statusfeststellungsverfahren muss daher rechtssicher und transparent reformiert werden – z.B. mit einer Positivliste, die gut abgesicherten Selbständigen Rechtssicherheit verschafft. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, die gesetzlichen Abgrenzungskriterien im Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht zu vereinheitlichen, um mögliche Doppel- bzw. Dreifachprüfungen zu vermeiden.
Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Teil der formal Selbstständigen - meist unfreiwillig - mit niedrigsten Einkommen auskommen müssen, die kaum ihre Ausgaben decken. Dazu gehören z.B. viele Paketzustellerinnen und Paketzusteller, Lehrkräfte und Pflegende. Viele von ihnen haben nur einen Auftraggeber, von dem sie wirtschaftlich abhängig sind. Ein Viertel aller Selbstständigen erzielt rechnerisch ein Einkommen von weniger als 8,50€ pro Stunde (DIW 2015). Oft landen diese Menschen spätestens im Alter in der Grundsicherung.
Wir brauchen deshalb klare, an eine moderne Arbeitswelt angepasste Kriterien, die Scheinselbstständigkeit unterbinden, ohne die tatsächlichen Selbstständigen in ihrer Tätigkeit zu beeinträchtigen, sondern vielmehr diese zu unterstützen. Die von der Bundesregierung geplanten Kriterien sind nach meiner Überzeugung dafür ungeeignet. Einen Gesetzentwurf in dieser Form werden wir im parlamentarischen Verfahren deutlich kritisieren.

Wir selbst arbeiten gerade an einem Vorschlag, der eine einfache und praxistaugliche Abgrenzung möglich macht. Für Ihre Anregungen, zum Beispiel bezüglich einer möglichen Konkretisierung der Schutzbedürftigkeit, sind wir in diesem Prozess dankbar. Derzeit diskutiert die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen beispielsweise auch über branchenspezifische Mindesthonorare. Dies wäre eine Möglichkeit für einen Schutzmechanismus, der Dumpinghonorare wirksam unterbindet und zugleich die besondere Situation von Selbstständigen und deren Auftraggebern in einer Branche berücksichtigt.

Besonders wichtig ist mir aber: Auch in Zukunft sollen Selbstständige und Freiberufler wie Sie mit Ihrer Kreativität und Spaß an einer flexiblen und abwechslungsreichen Tätigkeit ohne unnötige Einschränkungen und bürokratische Hürden arbeiten können. Dafür werde ich mich im weiteren parlamentarischen Verfahren einsetzen.

Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Beate Walter-Rosenheimer

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