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Beate Müller-Gemmeke
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Frage von Petra H. •

Frage an Beate Müller-Gemmeke von Petra H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo Frau Gemmeke,

ich möchte Sie gerne fragen, was TTIP und Co genau für die Kommunen bedeuten würde? Wo wäre eine Veränderung durch die Abkommen in seitheriger Form für die Bürger sichtbar?
Laut meinen Informationen wäre z.B. eine Privatisierung der Hallenbäder rechtlich nicht verhinderbar. Die Eigenständigkeit der Städte und Kommunen wäre massiv bedroht. Wo genau lägen noch Einschränkungen, die sich zeigen würden mit den seitherigen Verträgen von TTIP?
Was Sie schreiben und was Sie verbessern wollen, hört sich vernünftig an. Mir wäre es ein Greul, wenn Fracking und Gentechnik so über die Hintertür quasi bei uns Fuss fassen würden.
Bitte setzen Sie sich weiterhin für Transparenz ein und dass die Bürger nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, sondern von Anfang an mitreden können.
Im Investitionsschutz und den privaten Schiedsgerichten und der Möglichkeit die Staaten ( Steuerzahler) für finanzielle Einbußen grade stehen zu lassen, sehe ich das Allgemeinwohl stark bedroht. Können Sie zu dem Thema auch noch kurz Ihre Meinung sagen?

Besten Dank im voraus :-)

Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Erfolg beim Vertreten der Bürgerrechte und im Einsatz für das Allgemeinwohl bei den TTIP Verhandlungen.

Mit freundlichen Grüßen
von Petra Herrmann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Herrmann,

herzlichen Dank für Ihre Frage zu TTIP. Ich freue mich immer sehr, wenn ich dazu Fragen bekomme, denn dieses Thema treibt auch mich wirklich um.
Gerade als langjährige Kommunalpolitikerin mache ich mir Sorgen, was TTIP, CETA oder TISA für die Politik der Kommunen bedeuten könnte. Bei den Dienstleistungen wissen wir, dass es sogenannte Negativlisten statt den bisher üblichen Positivlisten geben soll. Das heißt: Alle Dienstleistungen, die nicht auf der Liste stehen, können bzw. sollen liberalisiert werden. Ausgeschlossen sind bislang wohl nur hoheitliche Aufgaben. Somit fällt die kommunale Daseinsvorsorge (Stadtwerk, Nahverkehr, Bildung, Gesundheit) in das TTIP-Verhandlungsmandat. Es gibt zwar Ausnahmeklauseln, aber ebenso erhebliche Schlupflöcher. Was alles noch verhandelt wird mit welchen Konsequenzen, kann wohl noch niemand wirklich abschätzen, weil zu wenige Informationen vorliegen. Das zum Thema Transparenz.
Besondere Sorgen machen mir die Ausschreibungspflichten. Laut Verhandlungsmandat will die EU einen „verbesserten beiderseitigen Zugang zu den Beschaffungsmärkten auf allen Verwaltungsebenen (national, regional, lokal)“ erreichen. Die Kommunen kämpfen aber schon seit Jahren mit dem immer restriktiveren Vergaberecht, das sie zwingt oberhalb bestimmter Auftragswerte europaweit auszuschreiben. Zukünftig würde das noch schwieriger, wenn transatlantisch ausgeschrieben werden muss. Zudem sollen sogenannte Stillhalteklauseln gewährleisten, dass einmal liberalisierte Bereiche nicht mehr reguliert werden können. Liberalisierung kann zukünftig nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Damit hat TTIP Einfluss darauf, welche Teile der Daseinsvorsorge von Städten und Gemeinden überhaupt noch selbst erbracht werden dürfen. Welche Dienstleistungen in einem Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben werden müssen und unter welchen Bedingungen dies zu erfolgen hat. Und zwar unumkehrbar! Bisher räumt die kommunale Selbstverwaltung den Kommunen weitgehende Entscheidungsfreiheit ein, wie sie die Daseinsvorsorge organisieren und was sie sich leisten will – und mit welchen sozialen Standards. Durch TTIP verliert die öffentliche Hand nicht nur Spielräume – mehr noch, damit wird die kommunale Daseinsvorsorge unter das Diktat der Gewinnmaximierung gestellt. Die öffentliche Daseinsvorsorge wird einfach zu Märkten erklärt und das geht gar nicht!
Noch ein paar Worte zur Transparenz: Den Bundestags- und Europa-Abgeordneten wurden nur wenige und bruchstückhafte Dokumente zugänglich gemacht. Zwar hat die EU-Kommission inzwischen zumindest das Verhandlungsmandat für TTIP veröffentlicht, aber das wurde bereits vor längerer Zeit von den europäischen Grünen geleakt. Andere wichtige Dokumente sind immer noch nicht öffentlich. NGOs werden bei den Verhandlungen kaum gehört, Wirtschaftslobbyisten hingegen schon. Das ist Politik-Outsourcing. Diese Hinterzimmer-Kungelei ist nicht akzeptabel. Bei solchen weitreichenden Verhandlungen ist Transparenz auf allen Ebenen notwendig. Es muss gewährleistet sein, dass alle Phasen des Verhandlungsprozesses öffentlich gemacht werden. Die Parlamente und die Bürgerinnen und Bürger müssen unaufgefordert, zeitnah und umfassend über Ziele, konkrete Inhalte und Fortschritte der Verhandlungen informiert werden. Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns dafür weiter einsetzen.
Undemokratisch und intransparent ist auch der Investitionsschutz. Mittlerweile wissen wir ja, was es bedeutet, wenn Konzerne vor privaten Schiedsgerichten auch gegen politische Entscheidungen klagen können, weil dadurch vermeintlich Gewinne reduziert werden. Vattenfall liefert dafür das beste Beispiel: Das Unternehmen klagt wegen der Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland zum Atomausstieg. Inzwischen geht es um einen Betrag von 4,7 Milliarden Euro! So etwas geht nach unserer Auffassung gar nicht und das entbehrt jeglichem Rechtsstaatsprinzip. Unter solchen Bedingungen funktioniert Politik nicht mehr zum Wohl von Menschen und Umwelt. Die EU und die USA haben robuste Rechtssysteme. Unternehmen haben ausreichende Möglichkeiten, vor staatlichen Gerichten zu klagen. Deshalb sind zusätzliche Klagemöglichkeiten nicht notwendig und auch nicht akzeptabel.
Ich hoffe sehr, dass ich Ihnen in einer gewissen Kürze meine Haltung und meine Sorgen darlegen konnte. Vor allem freue ich mich sehr darüber, dass Sie sich kritisch mit TTIP auseinandersetzen. Herzlichen Dank dafür.

Mit freundlichen Grüßen
Beate Müller-Gemmeke

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