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Beate Müller-Gemmeke
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Frage von Richard H. •

Frage an Beate Müller-Gemmeke von Richard H. bezüglich Wirtschaft

In Erweiterung der Fragen von Herrn Schoenberger vom 28.09.2014 möchte ich Sie fragen, ob Sie die Sendung der ARD vom 04.08.2014, 21:45 Uhr gesehen haben. Sind die Recherchen der beiden Reporter "Schwarzmalerei" oder handelt es sich bei dem TTIP-Abkommen nicht doch um eine Aushebelung unserer Verfassung durch die Hintertür. Ich möchte jedenfalls auf keinen Fall amerikanische Verhältnisse in Deutschland haben. Oder zumindest nicht noch mehr dieser "Freiheit der Märkte" erleben.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Hekhorn,

vielen Dank für Ihre zusätzliche Frage zu TTIP. Leider habe ich die ARD-Sendung nicht gesehen, deshalb kann ich darauf nicht Bezug nehmen. Dennoch möchte ich auf Ihre Sorge eingehen, dass die „Freiheit der Märkte“ durch TTIP noch weiter gestärkt wird.

Bei TTIP kritisieren wir Grünen insbesondere den geplanten Investitionsschutz. Dieses eigentlich harmlos klingende Wort birgt eine enorme Gefahr. Denn aufgrund zahlreicher Schlupflöcher wurde ein eigentlich zum Schutz von internationalem Handel gedachtes Gesetz zur Waffe für Lobbyisten. Unternehmen gehen mittlerweile durch den in bereits bestehenden Handelsabkommen festgeschriebenen Investitionsschutz gezielt gegen Staaten vor. Unterstützt von darauf spezialisierten Kanzleien nutzen sie gezielt Lücken aus, um Staaten wegen entgangener Gewinne in Milliardenhöhe zu verklagen – oft nur, weil ein Staat ein simples Gesetz verabschiedet hat. Durch den Investitionsschutz werden Profitinteressen höher bewertet als öffentliches Interesse. Das droht auch durch TTIP und das ist nicht akzeptabel.

Solche Klagen können außerdem genutzt werden, um Staaten daran zu hindern, Gesetze zu verabschieden. Ein Beispiel ist Kanada: Sobald eine kanadische Provinz eine neue Umweltrichtlinie verabschieden möchte, wird ihr oft (auf Grundlage des Kanada-US-Abkommens NAFTA) mit einer Klage aus den USA gedroht. Fast alle Initiativen wurden in dieser Form attackiert und die meisten deshalb beerdigt. Die EU-Kommission betont zwar immer, dass sie bei TTIP bestehende Mängel beim Investitionsschutz beseitigen wollen. Kosmetische Reformen reichen aber nicht aus. Konzerne werden weiterhin versuchen, unliebsame Gesetze durch die Androhung von Schiedsverfahren zu verhindern. Auch wegen diesem Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren lehnen wir TTIP ab.

Weiter ist TTIP als ein so genanntes ‚Living Agreement‘ konzipiert. Auch hinter diesem harmlosen Begriff verbirgt sich politischer Sprengstoff: Denn ein ‚Living Agreement‘ heißt nichts anderes, als dass einige der wirklich heiklen und gefährlichen Entscheidungen einfach vertagt werden und im Vertrag, der von den Parlamenten verabschiedet wird, nicht auftauchen. Damit werden Entscheidungen in einen Rat für regulatorische Kooperation verlagert. Das ist „Demokratie-Outsourcing“, denn die Entscheidungen werden – ohne Beteiligung der Öffentlichkeit – von einer Gruppe von RegierungsvertreterInnen mit Beteiligung von Lobbyisten getroffen. Damit würden auch sehr große Hürden für künftige Gesetzgebungen entstehen, da Unternehmen und Behörden des jeweils anderen Vertragspartners frühzeitig intervenieren könnten.

Kurzum – TTIP könnte tatsächlich die „Freiheit der Märkte“ weiter negativ stärken. Deshalb lehne ich TTIP ab. Kein Staat und kein Unternehmen darf die Politik daran hindern, seine BürgerInnen oder die Umwelt zu schützen. Und Hinterzimmerkungelei darf öffentliche Debatten in Parlamenten nicht ersetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Beate Müller-Gemmeke

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