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Frage von Sven M. •

Frage an Angelika Graf von Sven M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Als Schwerbehinderter (Gehbehinderter), fiel mir vor etwas über einem Jahr ein gewaltiger Unterschied in der Integration Behinderter zwischen Deutschland und den USA auf. Das bestehende Gesetzwerk in Deutschland verpflichtet (im wesentlichen) lediglich die Behörden dazu, Behinderte nicht zu benachteiligen und Ihnen den Zugang zu allen Angeboten zu ermöglichen (stark vereinfacht ausgedrückt). In den USA hingegen sind auch private Unternehmen dazu verpflichtet, Nachteile Behinderter so weit wie möglich auszuschließen. Das fiel insbesondere in drei Situationen extrem auf:
1) In den USA konnte ich von jedem Autovermieter einen für meine Bedürfnisse angepasstes Fahrzeug mieten. Nicht unbedingt sofort, aber immer innerhalb von 24 Stunden. Zum Vergleich: In Deutschland bieten meines Wissens weder der ADAC (Clubmobil) noch Europcar auch nur ein einziges behindertengerecht modifiziertes Fahrzeug an.
2) Ich liebe Achterbahnen, folglich war ich sowohl in den USA als auch in Deutschland in einigen Freizeitparks. In den USA war die Mehrheit der Achterbahnen für jedermann benutzbar, der in die Sitze passte (es gab Ausnahmen, wo zum Beispiel für Beinamputierte die Gefahr bestanden hätte, aus einem Sitz zu rutschen trotz Gurt/Sicherungsbügel). In Deutschland sind praktisch keine Achterbahnen auch nur ansatzweise zugänglich für Rollstuhlfahrer oder Amputierte. Zumeist ohne eine angemessene Begründung.
3) Busse und Bahnen sind dort praktisch durchgängig rollstuhltauglich. Das gilt nicht nur für den (eher schlechten) ÖPNV, sondern zum Beispiel auch für die Busse, die auf Cape Caneveral für Besuchertouren verwendet werden.

Es fehlt in vielen Bereichen an entsprechenden Regelungen, vornehmlich alle Arten von öffentlich zugänglichen Einrichtungen (ÖPNV, Schwimmbäder, Geschäfte, Gaststätten) sollten verpflichtet werden, stufenweise behindertengerecht zu werden.

Sind Ihnen Pläne bekannt, ähnliches auch in Deutschland und/oder der EU durchzusetzen?

Mit freundlichen Grüßen,
S. Müller

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für Ihre Abgeordnetenwatch-E-Mail vom 20. Mai 2009.

Es gibt in Deutschland keine allgemeine bundesweite Verpflichtung für die Privatwirtschaft auf Herstellung von Barrierefreiheit. Das noch von der rot-grünen Bundesregierung eingeführte Behindertengleichstellungsgesetz hat aber immerhin die Zielvereinbarung als ein Instrument eingeführt, welches die Barrierefreiheit vorantreibt. Mit so einer Zielvereinbarung können anerkannte Verbände behinderter Menschen mit Unternehmen der Privatwirtschaft Vereinbarungen treffen, wie und bis wann konkret Barrierefreiheit verwirklicht wird. Die Behindertenverbände wurden so auch bestärkt, in eigener Sache zu verhandeln. Eine Übersicht über die Zielvereinbarungen finden Sie unter folgendem Link: http://www.bmas.de/coremedia/generator/19564/2007__09__21__zielvereinbarungsregister.html

Nun hat sich allerdings gezeigt, dass die Zahl der Zielvereinbarungen nicht den Erwartungen entspricht. Seitens der Behindertenselbsthilfe wurde dies auch darauf zurückgeführt, dass die ehrenamtlichen Strukturen diese Aufgabe nicht alleine bewältigen können. Es wurde daher ein bundesweites Kompetenzzentrum als zentrale Instanz zur Herstellung von Barrierefreiheit ins Spiel gebracht, welches von der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Karin Evers-Meyer (SPD), unterstützt wird. Ich hielte das für eine gute Idee und unterstütze dieses Vorhaben, das sich mittlerweile auch im Wahlprogramm der SPD für die Bundestagswahl 2009 befindet, ebenfalls. Im Wahlprogramm ist auch festgelegt, dass die vor kurzem von Deutschland ratifizierte Behindertenrechtskonvention mit Leben gefüllt werden soll. Ich spreche mich hier für die Erstellung eines Aktionsplanes aus. Infos zur Behindertenrechtskonvention finden Sie unter: http://www.alle-inklusive.behindertenbeauftragte.de

In den letzten Jahren haben wir bereits einige Verbesserungen zugunsten von Menschen mit Behinderungen erreicht. So haben wir zum Beispiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in der Großen Koalition gegen viele Widerstände – CDU und CSU hatten eine Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen im zivilrechtlichen Bereich zunächst abgelehnt – durchgesetzt und damit willkürliche Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen sowohl im Erwerbsleben als auch im zivilrechtlichen Bereich untersagt. Die Barrierefreiheit an Bahnhöfen wird als Folge des Behindertengleichstellungsgesetzes seit Jahren verbessert, auch wenn es weiterhin einen enormen Nachholbedarf gibt. Aktuell werden immerhin die Bahnhöfe in Rosenheim und in Prien mit Hilfe von Bundesmitteln barrierefrei.

Es ist aber noch ein weiter Weg zur weitgehenden Barrierefreiheit. Ich bin übrigens der Ansicht, dass wir hier noch viel mehr tun müssen, zumal in unserer älter werdenden Gesellschaft die Zahl der auf Barrierefreiheit angewiesenen Menschen weiter steigen wird. Generell gilt ja auch, dass Barrierefreiheit allen Menschen zugute kommt (auch eine Familie mit Kinderwagen hat Probleme, wenn es z.B. keinen Aufzug am Bahnhof gibt) und niemand kann ausschließen, irgendwann selbst Barrierefreiheit zu benötigen. Viele Unternehmen und auch Branchen haben noch nicht erkannt, dass dies auch wirtschaftliches Potenzial für sie bedeutet. So ist zum Beispiel barrierefreier Tourismus ein Segment mit großen Wachstumschancen. Hiezu hatte ich bereits im Jahr 2007 in Prien eine Veranstaltung gemacht, um unsere heimische Tourismuswirtschaft für dieses Thema zu sensibilisieren und ich freue mich, dass am Chiemsee das Projekt „Tourismus für alle am Chiemsee“ zugunsten der Barrierefreiheit gestartet ist. Grundsätzlich ist Barrierefreiheit aber nicht nur für den Tourismus inklusive Gastgewerbe sondern für viele Branchen ein Zukunftsthema – z.B. Architekten, Bauindustrie aber auch Handel und natürlich die Dienstleister.

Um das Thema voranzubringen habe ich in meiner Funktion als Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft 60 plus der BayernSPD und Mitglied im Landesvorstand der BayernSPD durchgesetzt, dass Forderungen nach Barrierefreiheit auch in das offizielle Wahlprogramm der BayernSPD für die Landtagswahl 2008 eingeflossen sind – so zum Beispiel die Forderungen nach einem Förderprogramm "Bayern barrierefrei" zugunsten des barrierefreien Tourismus sowie nach einem Landesprogramm zur Förderung der Barrierefreiheit an bestehenden Wohngebäuden durch den nachträglichen Ein- oder Anbau von Aufzügen in Bayern und eine folgende Weiterentwicklung zu einem Förderprogramm "Barrierefreie Kommune, barrierefreie Stadt" für barrierefreies Wohnen und barrierefreies Wohnumfeld. Leider hat die BayernSPD aber keine Mehrheit bei den Wählerinnen und Wählern für ihre politischen Inhalte gefunden. Ich versuche außerdem – als Mitglied im Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft 60 plus und natürlich im Bundestag als stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Thema Barrierefreiheit voranzubringen.

Mit freundlichen Grüßen
Angelika Graf