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Andreas Jung
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Frage von Hannes M. •

Frage an Andreas Jung von Hannes M. bezüglich Kultur

Sie haben am 12.12.2012 für den § 1631 d BGB gestimmt, der die Entfernung der männlichen Vorhaut an nicht einsichts- und entscheidungsfähigen Kindern aus jeglichem Grunde erlaubt.
Viele MdBs trafen diese Entscheidung unter anderem auf Basis der ihnen vorgelegten Informationen. Unter anderem wurde ihnen erklärt, die Zirkumzision finde lege artis statt, habe gesundheitliche Vorteile und der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei verfassungskonform.
Im März dieses Jahres wurde eine Stellungnahme von 38 Pädiatern aus 17 Nationen veröffentlich. Darin wird zusammen mit den Vorsitzenden von 19 europäischen Kinderärzteverbänden die Empfehlung der AAP zur Beschneidung von Jungen scharf kritisiert, weil die Risiken des medizinisch unnötigen Eingriffs die nicht belegten Vorteile bei Weitem überwiegen. Eine adäquate Schmerzausschaltung ist bei Säuglingen nicht möglich, dem noch im Rechtsausschuss hochgelobte Präparat EMLA wurde mittlerweile die Zulassung zur Anwendung auf der Genitalschleimhaut von Säuglingen entzogen.
Dr. Eschelbach, Richter im 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in einem der wichtigsten Kommentare zum StGB, dem sogenannten „Beck-Online-Kommentar“ das „Beschneidungsgesetz“ unter anderem so kommentiert:
„Das Gesetz ist offensichtlich verfassungswidrig (Art 1 Abs 1 GG, Art 3 Abs 2 GG, Art 79 Abs 3 GG). Der Verfassungsbruch aus Gründen der Staatsraison macht sich auch nicht bezahlt, weil er die Debatte nicht beenden kann. Bei näherer Betrachtung (Rn 9.1 ff; Rn 35.1 ff) wird evident, dass alle zugrundeliegenden Tatsachenannahmen falsch sind. „ Näheres hierzu lesen Sie bitte auf http://www.beschneidungsforum.de/index.php?page=Thread&threadID=2380
Meine Frage: Würde Sie auch heute noch, nach Kenntnis all dieser neuen Informationen heute ebenfalls noch für die Legalisierung der nicht therapeutischen Vorhautamputation an nicht einsichtsfähigen Kindern stimmen?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Moser,

herzlichen Dank für Ihre Nachricht vom 20. Mai 2013, in der Sie kritisch mit der Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen auseinander setzen und mich auf mein Abstimmungsverhalten bei dieser Frage ansprechen. Bitte entschuldigen Sie die verspätete Antwort.

Über das Thema wurde vor der Beschlussfassung des Bundestags eine breite Diskussion geführt – auch in diese Diskussion sind bereits kritische Stellungnahmen eingeflossen. Ausgelöst wurde diese Diskussion durch das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012, mit dem erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Strafgericht die Beschneidung eines minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen als rechtswidrige Körperverletzung wertete. Es handelte sich zwar um die Entscheidung eines Einzelfalls, die keine Bindungswirkung für andere Gerichte hatte, dennoch führte das rechtskräftige Urteil gerade bei in Deutschland lebenden jüdischen und muslimischen Gemeinschaften zu tiefer Verunsicherung. War die Beschneidung in Deutschland bisher stets erlaubt, befürchteten Eltern, die ihre Söhne nun beschneiden lassen wollten und Ärzte, die die Beschneidungen vornehmen sollten, dass sie sich jetzt damit strafbar machen könnten. Für das religiöse Selbstverständnis von Juden und Muslimen ist die Beschneidung von Jungen jedoch von grundlegender Bedeutung. Im Judentum gilt sie als Gebot Gottes. Der Koran erwähnt sie nicht ausdrücklich, dennoch ist die Beschneidung in islamisch geprägten Ländern weit verbreitet. Viele Betroffene fühlten sich nun durch das Urteil ausgegrenzt und sorgten sich ganz generell um die soziale Akzeptanz ihres religiösen Lebens in Deutschland.

Vor diesem Hintergrund musste die Frage nach der Zulässigkeit der Beschneidung deshalb zweifelsohne geklärt werden. Eine Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht, welche die Gerichte bundesweit binden würde, war in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Es war daher Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, ob die religiös motivierte Beschneidung von Jungen trotz verständlicher Einwände mit dem Kindeswohl vereinbar ist.

Die Bundesregierung hatte deshalb im November vergangenen Jahres einen Gesetzesentwurf zur Beratung in den Deutschen Bundestag eingebracht. Danach sollten Eltern weiterhin in die Beschneidung ihres Sohnes einwilligen können, auch wenn der Eingriff medizinisch nicht notwendig ist. Voraussetzung dafür ist, dass dabei die Regeln der ärztlichen Kunst eingehalten werden, d.h. die Eltern müssen über alle Risiken und Folgen der Beschneidung aufgeklärt werden. Der Eingriff selbst muss mit einer möglichst effektiven Schmerzbehandlung verbunden sein. Den Willen ihres Sohnes müssen die Eltern in ihre Entscheidung einbeziehen – und zwar umso mehr, je älter das Kind ist. Zudem dürfen grundsätzlich nur Ärzte den Eingriff vornehmen. Andere Personen, die von Religionsgemeinschaften dafür vorgesehen werden, wie beispielsweise jüdische Mohalim, dürfen eine Zirkumzision ausschließlich in den ersten sechs Lebensmonaten eines Jungen durchführen und auch nur dann, wenn sie speziell dafür ausgebildet worden sind.

Mit diesem Gesetzentwurf wird im elterlichen Sorgerecht klargestellt, was bisher schon gilt: Eltern können in eine Beschneidung ihres Sohnes unter bestimmten Voraussetzungen einwilligen, auch dann, wenn der Eingriff nicht medizinisch notwendig ist. Eine Beschneidung ist ausdrücklich nicht erlaubt, wenn sie das Wohl des Kindes gefährden würde.

Die Beschneidung von Jungen mit Einwilligung ihrer Eltern soll daher auch künftig zulässig sein, wenn gewährleistet ist, dass dabei alle modernen medizinischen Standards eingehalten werden. Jüdisches und muslimisches religiöses Leben muss weiterhin in Deutschland möglich sein. Die Eltern sollen nicht gezwungen sein, ihre Söhne bei unseren Nachbarn im europäischen Ausland oder in Hinterzimmern von Laien beschneiden zu lassen.

Mir ist bewusst, dass der Eingriff in die körperliche Integrität irreversibel und damit natürlich keine Bagatelle ist. Mit dem beschlossenen Gesetz liegt meiner Meinung nach eine ethisch vertretbare und verfassungskonforme Antwort auf die Fragen vor, die das Urteil des Landgerichts Köln aufgeworfen hat. Aus diesem Grund habe ich – wie eine breite Mehrheit im Bundestag – für das Gesetz gestimmt – und seitdem meine Meinung nicht geändert.

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Jung

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