Es gibt einiges, in dem sich die taz von anderen Zeitungen unterscheidet. Zum Beispiel, dass einer ihrer Eigentümer der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland ist.
Für die breite Öffentlichkeit wurde das erst kürzlich sichtbar. Am 7. November 2022 erschienen auf der Bundestagsseite von Olaf Scholz (SPD) seine veröffentlichungspflichtigen Angaben. Als Mitglied des Bundestags ist Scholz verpflichtet, Nebentätigkeiten sowie "Beteiligungen an Kapital- und Personengesellschaften" transparent zu machen, sofern er an diesen mehr als 5 Prozent der Anteile hält. Scholz führte zwei Beteiligungen auf: die Kanzlei "Zimmermann, Scholz und Partner, Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Hamburg". Und die "taz - Die Tageszeitung Verlagsgenossenschaft eG, Berlin".
Die taz ist seit den frühen 1990er Jahren als Genossenschaft organisiert. Damals war das linksalternative Blatt in akute Finanznot geraten. Leser:innen retteten die Zeitung, indem sie Genossenschaftsanteile kauften. Heute wird die taz nach eigenen Angaben von rund 22.500 Genoss:innen getragen, das Genossenschaftskapital beträgt rund 18,6 Millionen Euro.
Dass Scholz einer von tausenden taz-Genoss:innen ist, ist an sich kaum der Rede wert – wäre da nicht die veröffentlichungspflichtige Angabe auf der Bundestagsseite. Wenn Scholz tatsächlich mehr als 5 Prozent an der taz hält, wie es sein Eintrag nahelegt, entspräche dies mindestens 930.000 Euro am Genossenschaftskapital. Für einen Bundeskanzler, der fast täglich Gegenstand der Berichterstattung in der taz ist, wäre eine Beteiligung in dieser Größenordnung – nun ja – erstaunlich.
"5 Prozent der Anteile hält hier keine einzelne Person", sagt man bei der taz
Nachfrage bei der taz: Wie steht es um die Beteiligungsverhältnisse des Genossen Scholz? Antwort: Olaf Scholz ist seit 2019 Mitglied der taz Genossenschaft, sein Anteil liege eher am unteren Rand dessen, was eine Mitgliedschaft ermöglicht (laut dem Portal The Pioneer rund 1.000 Euro). "5% der Anteile hält bei der taz Genossenschaft keine einzelne Person." Nach der Satzung wäre dies auch gar nicht zulässig.
Die veröffentlichungspflichtigen Angaben der Abgeordneten werden kontrolliert von der Verwaltung des Deutschen Bundestags. Fragt man dort, ob Abgeordnete auch Transparenzangaben auf freiwilliger Basis machen können, bekommt man eine klare Antwort: Nein, das sei nicht gestattet. Aus allen Einträgen zu Beteiligungen, die auf der Bundestagsseite zu lesen sind, könne "grundsätzlich geschlossen werden, dass mehr als 5 Prozent der Anteile gehalten werden". Sollten sich Anhaltspunkte dafür ergeben, "dass bereits veröffentlichte Sachverhalte keiner Anzeigepflicht unterliegen", gehe die Bundestagsverwaltung dem nach.
Was hat es dann mit der Veröffentlichung auf der Bundestagsseite von Olaf Scholz auf sich? Das Abgeordnetenbüro des SPD-Politikers erklärt den taz-Eintrag mit einer persönlichen Verbundenheit. Scholz sei "Spiritus Rector" des Genossenschaftsmodells der taz gewesen und habe die Zeitung in den neunziger Jahren auf dieses Modell hingewiesen. Nun, als Mitglied des Deutschen Bundestages und Bundeskanzler, fühle Scholz sich "einer besonderen Transparenz verpflichtet". Die Anforderungen des Bundestags, so eine Sprecherin, seien "Mindestbedingungen, die selbstverständlich auch übererfüllt werden können". Diese Aussage allerdings ist eine Falschinformation, siehe oben.
Verfügt der Kanzler über weitere Beteiligungen? Dazu will er nichts sagen
Dass der Abgeordnete Scholz nicht nach Gutdünken Angaben auf seiner Bundestagsseite machen kann, wurde seinem Büro inzwischen offenbar von der Bundestagsverwaltung klargemacht. Mitte Dezember verschwand der Eintrag zu Scholz' taz-Beteiligung von der Bundestagsseite. Dass dies seit der Erstveröffentlichung mehr als einen Monat dauerte, ist bemerkenswert. Drei Mal hatte abgeordnetenwatch.de die Verwaltung auf den merkwürdigen Eintrag angesprochen, zuletzt am 12. Dezember.
Man könnte die freiwillige Transparenzangaben des Kanzlers für eine Belanglosigkeit halten. Tatsächlich geht es um einen ernsten Hintergrund. Könnten Abgeordnete auf ihrer offiziellen Bundestagsseite alles so veröffentlichen, wie es ihnen beliebt, würde dies zur Rosinen-Pickerei einladen: Freiwillig offengelegt würde das, das einen Abgeordneten in positivem Licht erscheinen lässt – unpopuläre Aktienpakete von Pharmakonzernen oder Großbanken bekäme die Öffentlichkeit vermutlich nicht zu Gesicht.
Fragt man Olaf Scholz, ob er neben der taz noch andere Beteiligungen hält, also etwa Aktien von Unternehmen, bekommt man darauf keine Antwort. Kurz vor der Bundestagswahl hatte der SPD-Politiker in einem Interview gesagt, dass er keine Aktien besitze.
Anmerkung: Wir haben den Text am 2.1.2023 um das Scholz-Interview zu seinen nicht vorhandenen Aktienbesitzen ergänzt. Danke an den Twitter-User für diesen Hinweis.
Kommentare
Joachim Zoepf am 22.01.2023 um 10:01 Uhr
PermalinkNachfrage bei der taz: Wie steht es um die Beteiligungsverhältnisse des Genossen Scholz? Antwort: Olaf Scholz ist seit 2019 Mitglied der taz Genossenschaft, sein Anteil liege eher am unteren Rand dessen, was eine Mitgliedschaft ermöglicht (laut dem Portal The Pioneer rund 1.000 Euro). "5% der Anteile hält bei der taz Genossenschaft keine einzelne Person."
Dazu fällt mir nur ein: Wollte ich mehr als 5 % Genossenschaftsanteil bei einer Zeitung wie die TAz haben, würde ich dies durch Stroh - männer und -frauen umgehen.
Ergo: Die Antwort der "links"alternativen TAZ ist ja wohl fadenscheidig.
Franz Ruetz am 22.01.2023 um 11:22 Uhr
Antwort auf Nachfrage bei der taz: Wie… von Joachim Zoepf
PermalinkBin mit dem Mindest-Anteil von 500 € Mitglied der taz-Genossenschaft.
Ulrich Fischer am 27.01.2023 um 09:53 Uhr
Antwort auf Bin mit dem Mindest-Anteil… von Franz Ruetz
PermalinkUnd mehr als 100k€ gehen nicht
Man kann die 500€ auch in 20 Raten "abstottern".
Jeder Genosse hat genau eine Stimme egal wieviele Anteile er besitzt.
Klaus Zerkowski am 22.01.2023 um 11:30 Uhr
Antwort auf Nachfrage bei der taz: Wie… von Joachim Zoepf
PermalinkEs bringt ja nichts bei der TAZ mit Strohleuten zu agieren. Wie sollte denn jemand mit 5% Anteilen einen Einfluss nehmen können. Um Einflüsse zu mindern, würde das Genossenschaftsmodell eingeführt. Warum das Wort "links" in Anführungsstriche gesetzt wurde erschließt sich mir nicht. Ebenso wenig warum die Antwort "fadenscheinig"sein sollte. Bitte mal Butter an die schon etwas riechenden Fische.
Klaus Zerkowski am 22.01.2023 um 11:32 Uhr
PermalinkIch bin auch schon langjähriger Genosse und froh dass es diese fast werbefreie und somit unabhängige Alternative zur sonstigen Zeitungslandschaft gibt.
Marcus Sternberg am 12.02.2023 um 19:17 Uhr
Antwort auf Ich bin auch schon… von Klaus Zerkowski
Permalink100%-ige Zustimmung von einem Genoosen :)
Elisabeth Winklmair am 22.01.2023 um 14:41 Uhr
PermalinkDa lohnt es sich tatsächlich, als treue TAZ-Leserin auch mal Genossin zu werden. Eine unabhängige Presse braucht jede Unterstützung.
peter-paul klinger am 22.01.2023 um 15:53 Uhr
PermalinkSo weit ich informiert bin: Es ist nicht möglich mehr als 2 Anteile an "taz" - Gernossenschaft (a* 500 Euro) zu erwerben. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Herr Scholz mehr als 2 Anteile hat.
Klaus Zerkowski am 22.01.2023 um 17:30 Uhr
Antwort auf So weit ich informiert bin:… von peter-paul klinger
PermalinkMan kann auch mehrere Anteile zeichnen, hat aber nur eine Stimme. Und das ist gut so.
Lorenza Strohm am 07.02.2023 um 10:41 Uhr
Antwort auf So weit ich informiert bin:… von peter-paul klinger
PermalinkWieso ist es unwahrscheinlich, dass er mehr als 2 Anteile hat?
Ich zitiere von der Webseite (https://genossenschaft.taz.de/zeichnen/):
[...] Sie können mindestens 500 Euro oder ein Vielfaches von 500 Euro zeichnen, höchstens jedoch 100.000 Euro.
Raimund Bornefeld am 22.01.2023 um 17:10 Uhr
PermalinkDas Schöne an Genossenschaften ist ja, dass jeder Genosse und jede Genossin grundsätzlich nur eine Stimme haben. Insofern ist die Zahl der Anteile eigentlich irrelevant.
Gerhard Hokamp am 23.02.2023 um 14:07 Uhr
Antwort auf Das Schöne an… von Raimund Bornefeld
PermalinkEs wird dann relevant, wenn ein Genossenschaftsmitglied mit vielen Anteilen kündigt und somit anrecht auf Auszahlung seiner Anteile hat. Insbesondere kann es zu erheblichen Problemen führen, wenn andere Genossenschaftsmiglieder mit vielen Anteilen aus dem Grund des Ausstritts auch austreten. Könnte dann eine Austritt-Lawine werden. Dies ist eine Macht die mit prominenten Anteileignern kommt, die einen gewissen Einfluss auf andere Anteileigner haben könnten.
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