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Studie: Bezahlte Nebentätigkeiten sind Betrug am Wähler

"Aufstocker im Bundestag", so lautet der Titel einer aktuellen Studie über die Nebeneinkünfte unserer Volksvertreter. Jeder Vierte der 631 Bundestagsabgeordneten hat demzufolge ein Zusatzeinkommen. Für den Autor der Studie ist klar: Bezahlte Nebentätigkeiten sind letztlich ein Betrug am Wähler.

von Martin Reyher, 22.04.2014

Cover Studie
Ein Bundestagsabgeordneter ist finanziell gut ausgestattet: Jeden Monat erhält er eine ordentliche Diät von derzeit 8.252 € Euro brutto plus eine steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von 4.204 €. Derart abgesichert soll er nicht nur unabhängig arbeiten, sondern sich auch auf das Abgeordnetenmandat konzentrieren können.

Soweit die Theorie.

In der Praxis jedoch ist jeder Vierte der 631 Bundestagsabgeordneten ein "Aufstocker", der seine Diäten durch bezahlte Nebentätigkeiten aufbessert (151 MdBs). "Aufstocker im Bundestag" heißt eine heute veröffentlichte Studie der gewerkschaftsnahen Otto Brenner Stiftung, die Nebeneinkünfte und Nebentätigkeiten der Abgeordneten zu Beginn der 18. Wahlperiode beleuchtet.

Die Kernthese der Studie lautet: Bezahlte Nebentätigkeiten sind letzten Endes ein Betrug am Wähler - weil dieser nicht "100 Prozent Volksvertreter" bekommt. Erstens, so der Autor, sei die Bezahlung eines Parlamentariers durch Unternehmen und Verbände ein starkes Indiz, dass sich der betreffende Abgeordnete auf Einzelinteressen fokussiere, die zu Lasten seines Verfassungsauftrages gehen können. Schließlich sind Parlamentarier Vertreter "des ganzen Volkes". Auf diese Weise würde der Wähler eines Abgeordneten mit Nebenjob gegenüber dem Wähler eines anderen Abgeordneten benachteiligt, der keine Verpflichtungen gegenüber Einzelinteressen eingegangen ist und keine Zeit dafür aufwendet.

Zweitens würde auch der Souverän insgesamt benachteiligt, "weil dem Nebenverdienst eine Arbeitsleistung und ein Zeitaufwand entsprechen müssen, die nicht für das Mandat aufgebracht werden können." Der Autor der Studie schätzt, dass dem Souverän, also uns allen, durch bezahlte Nebentätigkeiten "möglicherweise zwischen 640.000 und 1.280.000 Arbeitsstunden" vorenthalten würden, zum größeren Teil durch die Regierungsfraktionen. Sie könnten bei einer anderen Regulierung der Nebentätigkeiten zumindest teilweise für die Ausübung des Mandats genutzt werden.

Die wichtigsten Zahlen der Studie im Überblick:

  • allein zwei Drittel der Abgeordneten, die sich für Nebentätigkeiten bezahlen lassen, sind Mitglieder der Unionsfraktion, die aber weniger als die Hälfte aller Abgeordneten stellt. Die 97 nebenher tätigen Unions-Abgeordneten machen rund ein Drittel ihrer Fraktion aus.
  • der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gehören auch die vier Abgeordneten mit dem höchsten Einzeleinkommen an (jeweils über 250.000 Euro).
  • nur etwas über zehn Prozent der Abgeordneten, die Nebeneinkünfte erzielen, gehören der Opposition an, zu der aber 20 Prozent der Abgeordneten zählen. In den Oppositionsfraktionen sind die Nebenverdiener laut Studie auch nur eine kleine Minderheit (11 Prozent bei den Grünen und 15 Prozent bei der Linken).
  • nur 13 Prozent der Frauen im Bundestag üben eine bezahlte Nebentätigkeit aus. "Der Anteil der Frauen im Bundestag, die nebenher verdienen, ist weniger als halb so groß wie der der Männer," so die Studie.
  • statt vergüteten Nebenjobs nachzugehen wirken weibliche Abgeordnete vor allem unbezahlt in Vereinen, Verbänden und Stiftungen mit. Der Anteil der Frauen, die dort in Funktionen aktiv sind, ist mit 57 Prozent annähernd so hoch, wie der entsprechende Anteil der Männer (59 Prozent).
  • knapp 30 Prozent der direkt gewählten Abgeordneten üben bezahlte Nebentätigkeiten aus, dagegen nur etwas über 20 Prozent der über Landesliste gewählten. Funktionen in Unternehmen üben laut Studie knapp 40 Prozent der direkt gewählten MdB aus, aber nur etwas über 30 Prozent der auf den Landeslisten platzierten. Noch deutlicher fielen die Unterschiede bei den Funktionen in Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts (60 gegenüber 40 Prozent) und den Funktionen in Vereinen etc. (70 gegenüber 50 Prozent) aus. Der Autor der Studie erklärt dies damit, dass die Aufstellung als Direktkandidat und die Direktwahl offenbar ein höheres Maß an Vernetzung voraus setze. Andererseits eröffne der Status des Wahlkreis-Abgeordneten die Chance auf ein höheres Maß an Vernetzung. "Die Vernetzung über Nebentätigkeiten scheint sich eher positiv auf die Wahl auszuwirken, eine abschreckende Wirkung ist nicht feststellbar."
  • 77 Abgeordnete des Bundetages geben auf der Website des Bundestages als Berufsbezeichnung Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt an. Während nur ein Viertel aller MdB bezahlte Nebentätigkeiten ausübt, sind es bei den Rechtsanwälten 70 Prozent.

Unser Kollege Gregor Hackmack hat vor dem Hintergrund der Studie heute in der Tagesschau für ein Verbot von Nebeneinkünften plädiert:

 

Wer sind die Abgeordneten, die in dieser Wahlperiode besonders hohe Nebeneinkünfte kassiert haben? Lesen Sie hier unseren Artikel über die Spitzenverdiener im Parlament.

Welche Lobbyisten sitzen im Deutschen Bundestag? Lesen Sie hier unseren Artikel "Volksvertreter und Lobbyisten in Personalunion" mit vier konkreten Beispielen.

Grafik: Philipp Heinisch http://www.kunstundjustiz.de für abgeordnetenwatch.de

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