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Die Autolobby und die Mär vom angeblichen Job-Kahlschlag

Annähernd 600.000 Jobs ständen auf dem Spiel, wenn die Politik den Verbrennungsmotor verbietet, behauptet die Autolobby. Tatsächlich? Wir haben mit dem Automobil-Experten Ferdinand Dudenhöffer gesprochen. Seiner Einschätzung nach übertreibt die Autolobby maßlos – und gefährdet durch das Festhalten an einer überholten Technik sogar selbst Arbeitsplätze.

von Roman Ebener, 21.11.2017
SPIEGEL-Meldung zu Söder-Forderung nach Verbot von Verbrennungsmotoren

Dieser Tage machte eine bemerkenswerte Nachricht die Runde durch die Sozialen Netzwerke. Die CSU, hieß es da, setze sich für ein Ende des Verbrennungsmotors ein. "Ab dem Jahr 2020“, so Markus Söder, „dürfen nur noch Autos zugelassen werden, die über einen umweltfreundlichen Antrieb verfügen."

Eine CSU, die die Grünen links überholt – was ist da los? Nun, die Meldung stammt aus dem Jahr 2007. Damals hatte Söder tatsächlich ein Zulassungsverbot für Benzin- und Dieselfahrzeugen ab 2020 gefordert.

Doch davon sind wir heute, rund zwei Jahre vor Ablauf der Söder'schen Frist, meilenweit entfernt. Der Grund ist offensichtlich: Die Automobillobby setzt alles daran, ihr lange Zeit funktionierendes Geschäftsmodell zu verteidigen, nämlich eine Technik zu verkaufen, die im vorletzten Jahrhundert erfunden worden ist.

Matthias Wissmann (VDA)
Pressefoto Matthias Wissmann

Wann immer die Politik in den letzten Jahren strengere Abgasregeln zum Schutz von Mensch und Natur beschließen wollte, traten die Lobbyisten der deutschen Automobilwirtschaft auf den Plan – meist höchst erfolgreich. Entweder wurden die geplanten Abgasrichtlinien abgeschwächt oder sogar komplett verhindert. Fast immer hatte dabei ein Mann seine Finger im Spiel: Matthias Wissmann, der Präsident des einflussreichen Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA). Wissmann war einst Bundestagsverkehrsminister, seine Lobby-Briefe an Bundeskanzlerin Merkel beginnt er heute gerne mit der Anrede „Liebe Angela“.

600.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel?

Seit einiger Zeit dreht sich die öffentliche Debatte nicht mehr allein um strengere Abgasregeln, inzwischen geht es für die deutsche Autoindustrie um nichts weniger als ein Verbot von Verbrennungsmotoren. Ein solches wollen Wissmann und die Seinen um jeden Preis verhindern. Ihr Lieblingsargument, das auch viele Politiker beeindruckt, lautet: Wer den Verbrennungsmotor abschaffen will, gefährdet annähernd 600.000 Arbeitsplätze. So stellen es VDA und das ifo-Institut in einer viel zitierten gemeinsamen Presseerklärung dar (z.B. WELT, FAZ oder ZEIT).

Wie kommt Wissmanns Verband zu dieser Behauptung, woher hat er solche Zahlen? Fragen wir jemanden, der sich mit dem Thema bestens auskennt: Ferdinand Dudenhöffer. Wann immer Zeitungen oder Nachrichtensendungen einen Auto-Experten suchen, wenden sie sich an den Professor von der Universität Duisburg-Essen.

Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer, Auto-Experte an der Universität Duisburg-Essen
Pressefoto Ferdinand Dudenhöffer

Dudenhöffer hält die vom VDA und fo-Institut in die Welt gesetzten Zahlen für maßlos übertrieben. „Die ifo-Studie erweckt den Eindruck der deutlichen Übertreibung“, erklärt Dudenhöffer gegenüber abgeordnetenwatch.de. „In der ganzen Branche gibt es überhaupt nur 850.000 Arbeitsplätze. Es ist nicht nachzuvollziehen, wie diese Zahlen entstehen“.

"Je länger wir warten, desto mehr Arbeitsplätze fallen weg"

Viel gravierender für die Entwicklung bei den Arbeitsplätze seien die zehn verlorenen Jahre aufgrund des verpassten Technologiewandels, so Dudenhöffer. „Je länger wir warten, desto mehr Arbeitsplätze fallen künftig weg." Denn insbesondere China, das schnell gegensteuere, gewinne einen Vorsprung, während in Deutschland zu lange an bestehenden Technologien festgehalten werde. "Wenn man damals den Unsinn der Dieselsubvention aufgegeben hätte, wäre die Chance groß gewesen, dass Deutschland den Hybridantrieb erfunden hätte und dann auch schneller in die Elektromobilität eingestiegen wäre“, meint der Auto-Experte von der Universität Duisburg-Essen.

Dass es nach wie vor eine Dieselsubvention in Form von Steuererleichterungen gibt und auch kein gesetzliches Ende des Verbrennungsmotor in Sicht ist, darf als Erfolg für Wissmann und die Autolobby gewertet werden. Doch fatalerweise haben die Lobbybemühungen genau den gegenteiligen Effekt als eigentlich beabsichtigt. Denn am Ende dürften die deutschen Autobauer schlechter dastehen, weil sie international den Anschluss verlieren. Dudenhöffer: „Man wollte mit dem Verbrennungsmotor in das nächste Jahrtausend und hat deshalb die Elektromobilität ‚beiseite‘ geschoben. Hier setzen inzwischen China und Silicon Valley die Benchmark.“

Was bedeutet das für die Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie? Folgt man Dudenhöffers Aussagen, dann strebt die Autolobby nach kurzfristigen Gewinnen – auf Kosten der eigenen Belegschaft. Denn Arbeitsplätze werden durch das Festhalten am Verbrennungsmotor mittelfristig nicht gerettet, sondern ganz im Gegenteil.

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