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Transparenz-Lücken

Der Fall Nüßlein - oder warum es so kommen musste

Masken-Affäre im Bundestag. Der Fall Nüßlein offenbart die Transparenz-Defizite in der deutschen Politik - ein Skandal mit Ansage.

von Roman Ebener, 26.02.2021

Bundestagsabgeordnete, die zwischen Wirtschaft und Ministerien vermitteln, gehören zur Tagesordnung im Berliner Politikbetrieb, bei einigen gehört diese Dienstleistung auch zum Selbstverständnis. Doch der Fall Georg Nüßlein unterscheidet sich von den vielen Gefälligkeiten: Es geht um eine mutmaßliche Provision in Höhe von 660.000 Euro, gezahlt an die Firma "Tectum Holding GmbH", deren einziger Gesellschafter der Bundestagsabgeordnete Nüßlein ist.

Ob die stolze Summe tatsächlich geflossen ist, müssen nun die Ermittlungen gegen Nüßlein zeigen, der sein Amt als Fraktionsvize vorerst ruhen lässt. Auch der Verdacht der Bestechlichkeit wird untersucht. Ob die Vorwürfe den Straftatbestand Abgeordnetenbestechung (§108e Strafgesetzbuch) erfüllen ist allerdings unklar. Doch ans Licht gekommen ist dieser Interessenkonflikt nur durch eine Steuer-Fahndung. Nach den Bundestags-Transparenz-Regeln mussten die engen wirtschaftlichen Verbindungen u.a. zu einem hessischen Textil-Hersteller nicht aufgedeckt werden.

An dem Fall zeigen sich jedoch wesentliche Transparenz-Schlupflöcher:

  • Nüßlein muss die Einkünfte seiner "Tectum Holding GmbH" nicht angeben, sofern er sie sich nicht auszahlen lässt. Dass er Gesellschafter der Firma ist, muss er nur angeben, da er mehr als 25 Prozent der Anteile hält. Geringere Beteiligungen müssen, unabhängig vom Wert, nicht angegeben werden. Ähnlich gelagert war die Affäre von Phillip Amthor, der Optionen auf Unternehmensbeteiligungen (sogenannte Aktienoptionen) erhalten hatte, diese aber ebenfalls nicht angeben musste.
  • Wie viel Geld für die Vermittlung von Interessen in die Politik gezahlt wird, ist oft unklar. Wenn die Vermittlung durch Abgeordnete selbst erfolgt, sind Interessenkonflikte kaum auszuschließen.
  • Die engen Kontakte der Unternehmen zur Politik werden nicht sichtbar. Doch die Pläne der Koalition zur Verschärfung der Lobby-Kontrolle durch ein Lobbyregister sehen die Veröffentlichung von Lobbykontakten gar nicht vor. Darüber hinaus stocken die Verhandlungen über das seit Sommer 2020 angekündigte Gesetz immer wieder.

Diese Schlupflöcher sind seit Jahren bekannt. So wurden wesentliche Lücken bereits 2014 im 4. Evaluationsbericht der Antikorruptions-Kommission des Europarates (GRECO) sichtbar. Unter anderem forderte die GRECO, dass Abgeordnete Interessenkonflikte unverzüglich und proaktiv offenlegen müssen. Die Dringlichkeit wurde im Umsetzungsbericht 2019 verschärft: Die GRECO „hielt es  aber für bedenklich,  dass  (…) noch  keine  konkreten  Schritte  zur  Umsetzung  dieser  Empfehlung  unternommen worden waren.“

Deutlich wird, dass diese Defizite und die immer wieder auftretenden Skandale in Kauf genommen werden. Überraschend sind die Fälle nicht. Es bleibt zu befürchten, dass nach Amthor und Nüßlein noch weitere Fälle bekannt werden. Ob die Politik diesmal handelt, bleibt abzuwarten.

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