Die Lobbykontakte der Bundesregierung

Von den Lobbytreffen der Regierung bekommt die Öffentlichkeit normalerweise nichts mit. abgeordnetenwatch.de hat nun hunderte Kontakte mit Interessenvertretern zusammengetragen und ausgewertet, die die Große Koalition auf Druck der Linken offenlegen musste. Die Regierungsantworten zeigen unter anderem, wie Lobbyisten vom kurzen Draht zu ihren Parteifreunden in den Ministerien profitieren. Weil die Regierung unvollständige Angaben machte, droht ihr eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

von Martin Reyher, 27.05.2019
Auszug der Liste mit Lobbygesprächen / Foto des Kanzleramtes

Eine Tabelle mit allen bekannten Lobbykontakten findet sich am Ende des Textes und wird laufend aktualisiert


Die Große Koalition war genau zwei Monate im Amt, als ein einflussreicher Wirtschaftsboss in der Regierungszentrale vorstellig wurde – zum „Antrittsbesuch“, wie die Bundesregierung in ihren Unterlagen vermerkte. Doch Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer (BDA) schaute beim frisch vereidigten Kanzleramtschef Helge Braun nicht allein zum Kennenlernen vorbei, sondern hatte noch ein weiteres Anliegen: Den Referentenentwurf der Bundesregierung zum sogenannten "Qualifizierungschancengesetz".

Normalerweise bleiben Lobbykontakte der Regierung wie das Tête-à-Tête vom 14. Mai 2018 im Dunkeln, eine Veröffentlichungspflicht gibt es nicht. Nun aber sind die Aktivitäten von Interessenvertretern zumindest in Ausschnitten sichtbar: Die Große Koalition hat auf Druck der Linksfraktion offengelegt, mit welchen Unternehmen, Wirtschaftsverbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren sie seit der Wahl im Herbst 2017 Kontakt hatte.

Gesprächstermine u.a. für Philip Morris, Vattenfall, Mieterbund

In den 75 Regierungsantworten, die abgeordnetenwatch.de zusammengetragen und ausgewertet hat, werden unter anderem hunderte Treffen und Telefongespräche zwischen Lobbyakteuren und hochrangigen Regierungsmitgliedern aufgelistet. Besonders häufig bekamen demnach große Wirtschaftsverbände wie BDI und BDA sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Gewerkschaft Verdi einen Gesprächstermin mit der Kanzlerin, ihren Ministern und Staatssekretären. Auch Vertreter von Konzernen (Philip Morris, Deutsche Wohnen, Vattenfall u.a.), Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen (AWO, VdK, Mieterbund u.a.) haben sich mit der Bundesregierung getroffen, um über konkrete Gesetzentwürfe zu sprechen. Eine Übersicht über alle von der Regierung mitgeteilten Lobbykontakte finden Sie am Ende dieses Artikels.
 

Gegen eine Beteiligung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft an der Gesetzgebung hat die Linksfraktion nach eigener Aussage gar nichts einzuwenden, „sondern ganz im Gegenteil: Das ist sogar wichtig“, schreibt sie in ihren Anfragen an die Bundesregierung. Doch transparent müsse es zugehen. Deswegen reicht die Fraktion inzwischen zu fast jedem Gesetzentwurf bei den federführenden Ministerien einen umfangreichen Fragenkatalog zur "Einflussnahme von Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern" ein. Darin will die Oppositionsfraktion unter anderem Folgendes wissen:

  • Sind Forderungen von Lobbyisten in Gesetzentwürfe eingeflossen?
  • Wurden Formulierungsvorschläge von externen Dritten übernommen?
  • Gab es in den Gesetzgebungsverfahren „dienstliche Kontakte“ zwischen Regierungs- und Lobbyvertretern?

Aus den Antworten der Bundesregierung ergibt sich ein aufschlussreiches Bild über die Mitwirkung von Interessenvertretern an der Gesetzgebung.

Vier Beispiele:

Ex-Politiker als Türöffner:

Aus den Regierungsantworten wird deutlich, warum Lobbyverbände und Konzerne gerne Ex-Politiker unter Vertrag nehmen: Diese können auf ihre persönlichen Kontakte zu Parteifreunden in den Ministerien zurückgreifen.

Andreas Storm als MdB (2002)

 

DAK-Chef Andreas Storm als MdB (2002) |© Dt. Bundestag, MELDEPRESS/Sylvia Bohn

DAK-Vorstandsvorsitzender Andreas Storm (Foto) etwa klingelte im April 2018 bei Kanzleramtschef Helge Braun wegen des sogenannten "GKV-Versichertenentlastungsgesetz" durch – Storm und Braun saßen jahrelang gemeinsam für die CDU im Deutschen Bundestag.

Martin Pätzold von der Beratungsgesellschaft Baker Tilly telefonierte am 6. September 2018 zur Energiepolitik mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Thomas Bareiß. Beide sind langjährige Parteikollegen, zwischen 2013 und 2017 gehörten sie der Unionsfraktion im Bundestag an. (Ob Pätzold im Auftrag eines Baker Tilly-Kunden bei seinem Parteifreund im Ministerium anrief, geht aus der Regierungsantwort nicht hervor).

Katherina Reiche, Cheflobbyistin vom Verband der kommunalen Unternehmen (VKU), hatte im Mai 2018 ebenfalls Gesprächsbedarf zur Energiepolitik der Bundesregierung. Dazu traf sie sich mit ihrem langjährigen Fraktionskollegen: Kanzleramtschef Helge Braun.

Dokumente unter Verschluss:

Aus den Regierungsantworten geht hervor, dass mehrere Konzerne und Verbände ihre Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen unter Verschluss halten wollen. Seit der erfolgreichen Transparenzaktion "Gläserne Gesetze" von abgeordnetenwatch.de und FragDenStaat veröffentlicht die Bundesregierung standardmäßig die Schreiben von Lobbyakteuren – seit der letzten Bundestagswahl annähernd 1.500 Stellungnahmen. Doch einige Konzerne und Lobbyverbände sperren sich gegen eine Veröffentlichung. Philip Morris etwa verweigert die Offenlegung seines Schreibens zum Tabakerzeugnisgesetz, die DEKRA will ihre Stellungnahme zum Fahrlehrergesetz nicht freigeben. Auch Lobbyorganisationen aus der Lebensmittelwirtschaft sperrten sich zunächst gegen eine Veröffentlichung – abgeordnetenwatch.de hat die Dokumente schließlich über das Informationsfreiheitsgesetz erhalten (Foto) und sie hier veröffentlicht.

Anrufe beim Arbeitsminister:

Im Arbeitsministerium werden auffallend viele Interessenvertreter telefonisch zu Minister Hubertus Heil (SPD) durchgestellt, zumeist sind es Funktionäre von SPD nahe stehenden Gewerkschaften. So telefonierten Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Sommer 2018 innerhalb weniger Wochen gleich drei Mal mit dem Arbeitsminister über einen Gesetzentwurf zur Rentenversicherung. Auch die Chefs von IG Metall, Verdi und der Chemiegewerkschaft IGBCE bekamen bei Heil einen Telefontermin. In den Regierungsantworten werden insgesamt 45 Telefonate von Interessenvertretern aufgelistet, 20 davon entfallen auf den Arbeitsminister (Stand: 21. Mai 2019).

Änderung nach Lobbyforderung:

In einem Fall, so die Bundesregierung in ihrer Antwort, habe der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) "mehrfach gefordert“, ein bestimmtes Anliegen in einen Gesetzentwurf aufzunehmen. BDEW-Geschäftsführer Stefan Kapferer, ein langjähriger Staatssekretär und FDP-Politiker, traf sich unter anderem mit Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Die Forderung des Lobbyverbandes fand laut Regierung am Ende tatsächlich Eingang in den Gesetzestext, wenn auch in einer anderen Formulierung als vom BDEW vorgeschlagen.

Bundesbildungsministerium

bilderkombinat berlin / bundesministerium für bildung und forschung / Flickr / CC BY 2.0

Tatsächlich ist es wenig verwunderlich, dass Gesetzentwürfe inhaltlich überarbeitet und ergänzt werden. Denn das Gesetzgebungsverfahren dient auch dazu, dass Betroffene aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft frühzeitig auf Probleme oder Versäumnisse in einem Referentenentwurf hinweisen. Das Problem ist jedoch: So gut wie immer bleibt dabei im Dunkeln, auf wessen Anregung ein Gesetzentwurf geändert wird. Ein Großteil der Entwürfe habe eine Änderung erfahren, schreibt die Regierung in ihren Antworten. Doch ob dabei Wünsche von Lobbyisten aufgegriffen wurden, lässt die Große Koalition offen.

Von den Transparenzanfragen der Linken ist die Bundesregierung inzwischen spürbar genervt. Seit Dezember 2018 habe man mehrere Dutzend identische Anfragen beantwortet, nun seien „die Grenzen der Zumutbarkeit erheblich überschritten“, echauffierte sich die Bundesregierung in einer ihrer letzten Antworten. Was die Linksfraktion mit ihren Anfragen betreibe, sei eine „administrative Überkontrolle“. Nüchtern betrachtet sind Parlamentarische Anfragen eines der wichtigsten Oppositionsrechte zur Kontrolle der Regierung.

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Entsprechend gering ist der Elan, mit dem Kanzleramt und Ministerien Auskunft über die Lobbyaktivitäten geben. Manche Fragen werden nur allgemein und oberflächlich abgehandelt, bei anderen – etwa zu Lobbytreffen – kommt lediglich die Spitze des Eisbergs zum Vorschein. Denn die Bundesregierung führt nur Fälle auf, in denen Kanzlerin, Minister und Staatssekretäre in Kontakt mit Lobbyisten standen, und nicht einmal diese Angaben sind vollständig. „Eine Verpflichtung zur Erfassung sämtlicher geführter Gespräche – einschließlich Telefonate – besteht nicht, und eine solche umfassende Dokumentation wurde auch nicht durchgeführt“, schreibt die Regierung. Offen bleibt auch, welche Lobbyisten sich mit den Referenten in den Ministerien, die die Gesetzentwürfe verfasst haben, austauschten.

Linksfraktion droht GroKo mit Klage

Wann kommt ein Lobbyregister?

Bei den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD wurde ein Lobbyregister im letzten Moment aus dem Vertrag gestrichen. Die CDU, die schärfere Transparenzregeln lange Zeit ablehnte, erarbeitet derzeit einen Gesetzentwurf. Aussagen von Fraktionsvize Patrick Schnieder in der FAZ (€) deuten jedoch darauf hin, dass die Union keine Veröffentlichung von Lobbykontakten will.

Wegen der unkonkreten und fehlenden Antworten droht die Linksfraktion dem Kanzleramt nun mit Klage. In einem Beschwerdebrief schrieb Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte am 29. April an Kanzleramtschef Braun: „Die Bundesregierung unterlässt verfassungswidrig die Angabe, warum sie welche Regelungsvorschläge von Interessenvertreter*innen in die Gesetzentwürfe übernommen hat.“ Auch dass die Bundesregierung trotz expliziter Anfrage in mehreren Fällen die Lobbytreffen des Kanzleramtes unter Verschluss hält, ärgert die Oppositionsfraktion. Dafür gebe es „keinen verfassungsrechtlich nachvollziehbaren Grund“. Die Regierung solle die fehlenden Informationen nun nachreichen, fordert Fraktionsgeschäftsführer Korte. Andernfalls müsse man eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht „ernsthaft erwägen“.

Selbst wenn das Verfassungsgericht die Große Koalition zu detaillierten Auskünften verpflichten würde, wäre wenig gewonnen – Lobbyaktivitäten kämen weiterhin nur unvollständig, scheibchenweise und in seitenlangen Regierungsdrucksachen versteckt ans Licht. Dabei ist eine wirklich transparente Lösung recht naheliegend: Ein verpflichtendes Lobbyregister, bei dem die Veröffentlichungspflicht bei den Interessenvertretern liegt. Sie müssten sämtliche Kontakte zur Politik sowie weitere Angaben offenlegen, bei Verstößen gäbe es empfindliche Sanktionen. Eine Mehrheit der Bevölkerung will laut einer aktuellen infratest dimap-Umfrage im Auftrag von abgeordnetenwatch.de derartige Transparenzpflichten.

Dann müsste die Bundesregierung auch nicht länger die Beantwortung von Transparenzanfragen beklagen.

Mitarbeit: Mika Parlowsky, Andrea Knabe



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