So oft fehlten die Abgeordneten bei namentlichen Abstimmungen

63 Mal haben die Bundestagsabgeordneten seit Beginn der Legislaturperiode im Oktober 2013 namentlich abgestimmt - über Bundeswehreinsätze genauso wie über Gentechnik und den Mindestlohn (das Abstimmungsverhalten finden Sie hier.) Wie verhält es sich eigentlich mit der Anwesenheit der Volksvertreter bei derart wichtigen Abstimmungen? Ist der Bundestag zum Beispiel besonders leer, wenn am späten Abend abgestimmt wird? Bei welcher Fraktion ist die Fehlquote am höchsten? Und bei welcher Abstimmung fehlten die meisten Parlamentarier - und warum?

von Martin Reyher, 24.11.2014

Das sind die Haupterkenntnisse der abgeordnetenwatch.de-Untersuchung:

Linken-MdBs fehlen am häufigsten, Unions-Abgeordnete haben die größte Disziplin

Über eine derart satte Parlamentsmehrheit wie Union und SPD verfügte bislang noch keine Koalition, insofern wäre es wenig überraschend, wenn der ein oder andere Abgeordnete bei namentlichen Abstimmungen zu Hause bleiben würde - auf seine Stimme kommt es schließlich nicht an. Doch das Gegenteil ist der Fall: Unter allen vier Fraktionen sind die Parlamentarier der Großen Koalition am diszipliniertesten: Von der Union fehlten bei den 63 namentlichen Abstimmungen in dieser Legislaturperiode im Schnitt 6,4 Prozent der Abgeordneten, bei der SPD waren es mit 7,8 Prozent nur unwesentlich mehr. Die Grünen liegen mit einer Fehlquote von 8,7 Prozent knapp über dem Durchschnitt aller Fraktionen von 8,0 Pozent.

Heraus sticht die hohe Abwesenheitsquote der Linken - mit 15,4 Prozent liegt diese mehr als doppelt so hoch wie bei der Union. Mit einem hohen Krankenstand o.ä. ist die hohe Abwesenheitsquote allerdings nicht zu erklären: Schon bei den abgeordnetenwatch.de-Erhebungen der Vorjahre (2005-2009, 2010, 2012)* fehlten die Linken-Abgeordneten ähnlich oft wie in dieser Legislaturperiode. 2012 schrieb SPIEGEL ONLINE: "Hinter vorgehaltener Hand erklären die Genossen die mangelnde Disziplin damit, dass das Votum der Linken bei den meisten Abstimmungen vergleichsweise unerheblich sei."

[Ergänzung von 13 Uhr: Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Petra Sitte, sagte zur hohen Fehlquote ihrer Fraktion gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Unsere Abgeordneten müssen im Wahlkreis mehr Präsenz zeigen als die der größeren Parteien. Weil sie nicht flächendeckend mit Personal vertreten sind, etwa in den Verwaltungen. Ich vertraue unseren Mandatsträgern, dass sie gute Gründe haben, wenn sie nicht teilnehmen können. Jedem und jeder Abgeordneten muss klar sein, was es bedeutet, wenn er oder sie nicht da ist. Grundsätzlich gilt aber die freie Ausübung des Mandats. Niemand kann und sollte zur Teilnahme gezwungen werden."]

[Ergänzung von 16:45 Uhr: n-tv.de schreibt unter der falschen Überschrift "Gysi-Truppe schwänzt am häufigsten": "Linken-Sprecher Hendrik Thalheim verweist auf den außergewöhnlich hohen Krankenstand in der Fraktion. Viele Parlamentarier seien im Mutterschutz, andere nähmen eine Pflegezeit für Angehörige in Anspruch. (...) Glücklich ist die Parteispitze allerdings nicht mit der Statistik (....) 'Wir sind damit nicht zufrieden und arbeiten daran', so Thalheim."]
 

Besser als der Ruf: Fast jeder dritte Parlamentarier fehlte nie

Wenn Fernsehkameras einen fast leeren Plenarsaal abfilmen, macht nicht selten das Wort von den "faulen Politikern" die Runde. Doch die Volksvertreter sind weitaus besser als ihr Ruf, zumindest was die Anwesenheit bei namentlichen Abstimmungen angeht. Fast jeder Dritte hat in den ersten 13 Monaten dieser Legislaturperiode keine einzige verpasst - egal ob eine Abstimmung während der Mittagspause oder um kurz vor 23 Uhr stattfand.

Sieben Parlamentarier fehlten dagegen bei mehr als der Hälfte der namentlichen Abstimmungen, einige von ihnen aus nachvollziehbaren Gründen. Die Linken-Politikerin Agnes Alpers beispielsweise war vergangenes Jahr während der letzten Plenarsitzung zusammengebrochen. Seitdem hat sie an keiner namentlichen Abstimmung mehr teilgenommen.

Häufig fehlten auch Kabinettsmitglieder, etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD).

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hat in der Vergangenheit keinen Hehl daraus gemacht, dass er nicht allzu viel vom "Absitzen fremdbestimmter Termine" hält - worunter für ihn offenbar auch Abstimmungen im Deutschen Bundestag fallen. Seit Beginn der Legislaturperiode im September 2013 fehlte Gauweiler bei 36 von 63 namentlichen Abstimmungen. Der CSU-Politiker ist neben seinem Mandat auch als Rechtsanwalt tätig und hat in den vergangenen zwölf Monaten Nebeneinkünfte in Höhe von weit über einer Million Euro gemeldet. Wegen seiner häufigen Abwesenheit war der Gauweiler zuletzt auch aus den Reihen der Großen Koalition kritisiert worden.

Negativ-Rekord: Warum bei der Abstimmung über das "Lebensversicherungsreformgesetz" jeder Siebte fehlte

Im Schnitt fehlten bei den bisherigen namentlichen Abstimmungen 50 Parlamentarier, am 4. Juni 2014 waren es mit 93 jedoch fast doppelt so viele. Der Grund ist naheliegend: Die Abstimmung über einen Linken-Antrag zum "Lebensversicherungsreformgesetz" fand am frühen Nachmittag des letzten Sitzungstages vor der Sommerpause statt - eine große Zahl an Abgeordneten war zu diesem Zeitpunkt bereits in die Parlamentsferien aufgebrochen.

Am vollsten war der Bundestag in den Plenarsitzungen am 28. November 2013 und am 29. Januar 2014, als bei den Abstimmungen über die Verlängerung der Bundeswehreinsätze im Südsudan und im Mittelmeer nur jeweils 29 Parlamentarier fehlten. Die hohe Anwesenheitsquote dürfte aber weniger den Themen geschuldet gewesen sein: Die Abstimmung im November fand in der konstituierenden Sitzung des Bundestages statt, beim Termin Ende Januar hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre erste Regierungserklärung seit der Bundestagswahl.


Auch spät abends ist der Bundestag noch gut besucht

Ob eine namentliche Abstimmung gut besucht ist oder nicht, hat wenig mit der Uhrzeit zu tun. Ob morgens, mittags oder nachmittags - auf die Zahl der fehlenden Abgeordneten hat die Tageszeit so gut wie keinen Einfluss. Selbst bei Abstimmungen am späten Abend ist das Parlament noch gut besucht, so wie am 13. November 2014: Bei einer Abstimmung um kurz vor 23 Uhr über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Darfur fehlten 54 Volksvertreter - und damit nur geringfügig mehr als im Durchschnitt aller namentlichen Abstimmungen (50).

Auch der Wochentag hat wenig Einfluss auf die Anwesenheit. Mitunter wird Abgeordneten unterstellt, sie würden freitags auch schon mal eine Abstimmung schwänzen, um früher ins Wochenende zu gehen. Doch diese Behauptung ist so nicht zu halten. Die Fehlquote an einem Freitag ist im Schnitt nur unwesentlich höher als an einem Donnerstag, an diesen beiden Tagen findet das Gros der namentlichen Abstimmungen statt. Mittwochs wird dagegen nur in seltenen Fällen abgestimmt, weswegen die Abwesenheit nur schwer mit der an anderen Tagen vergleichbar ist.

Linken-MdBs fehlen am häufigsten, wenn über eigene Anträge abgestimmt wird

Wenn im Parlament über Anträge der Linken abgestimmt wird, fehlt ausgerechnet eine Fraktion besonders häufig: die Linke selbst. Den 21 eigenen Abstimmungen blieb im Schnitt jedes sechste Fraktionsmitglied fern (16,7 Prozent). Die Fehlquote liegt damit sogar über dem Linken-Gesamtschnitt von 15,4 Prozent. Dasselbe Phänomen ist übrigens bei den Grünen zu beobachten: Mit einer Abwesenheitsquote von 9,9 Prozent fehlten bei Abstimmungen über die 13 eigenen Anträge mehr Fraktionsmitglieder als im Schnitt aller 63 Abstimmungen im Lauf dieser Legislaturperiode.

Die Linke ist auch die Fraktion mit der höchsten Abwesenheitsquote überhaupt bei einer Abstimmung in dieser Legislaturperiode. Als die Parlamentarier am 27. Juni 2014 über den Bundeshaushalt abstimmten, fehlte aus den Reihen der Linksfraktion mehr als jeder vierte Abgeordnete (29,7 Prozent/19 von 64 MdBs).

Die höchste Fehlquote der übrigen Fraktionen bei namentlichen Abstimmungen:

  • Grüne: 15,9 Prozent (Abstimmung über das Lebensversicherungsreformgesetz  am 4. Juli 2014)
  • SPD: 15,5 Prozent (Abstimmung "Echte Transparenz und parlamentarische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen herstellen" am 8. Mai 2014)
  • CDU/CSU: 12,5 Prozent (Abstimmung über das "Lebensversicherungsreformgesetz" am 4. Juli 2014)


"Teilgenommen" und "nicht beteiligt": Die Präsenz der Bundestagsabgeordneten in der Übersicht

Wie häufig haben Parlamentarier an namentlichen Abstimmungen teilgenommen, wie oft haben sie gefehlt? Die folgende Liste gibt Aufschluss über die Präsenz der 631 Bundestagsabgeordneten seit Beginn der Legislaturperiode im Oktober 2013.

Sollten Sie Fragen zur Abwesenheit eines Politikers haben, können Sie diese direkt über abgeordnetenwatch.de stellen. Berücksichtigen Sie bitte, dass es gute Gründe für eine hohe Fehlquote geben kann, beispielsweise eine langwierige Erkrankung oder eine Auszeit, um Angehörige zu pflegen.

Die Tabelle zum Herunterladen:

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* Anders als bei der Auswertung für diese Legislaturperiode sind in der Vergangenheit nicht alle namentlichen Abstimmungen berücksichtig worden, sondern nur die von abgeordnetenwatch.de dokumentierten

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