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Spitzenverdiener beklagen sich über Transparenzregeln, die sie selbst beschlossen haben

Unzureichend und irreführend seien die geltenden Transparenzregeln, klagen einige Abgeordnete, weil sie in der Öffentlichkeit plötzlich als Spitzenverdiener dastehen. Die Kritik mag berechtigt sein – doch wer hat die Regelung eigentlich beschlossen?

von Martin Reyher, 17.10.2014

Anfang der Woche wurde der CDU-Politiker Peter Jahr einem breiteren Publikum als "deutscher Spitzenverdiener im EU-Parlament" bekannt.

bild.de titelte:

RP online meldete gar:

Die RP online-Schlagzeile war natürlich barer Unsinn (was spätestens beim Lesen des Artikels auffiel). Vollkommen korrekt aber war die Darstellung von bild.de: Bis zu 27.000 Euro pro Monat kassiert der CDU-Abgeordnete nebenher. Das ist die Maximalsumme, die sich aus Jahrs "Erklärung der finanziellen Interessen" vom 27. Mai 2014 ermitteln lässt. (Eine Aufstellung der Nebeneinkünfte aller 751 EU-Abgeordneten findet sich im Integrity Watch von Transparency International.)

Wenige Stunden nach den ersten Presseberichten sah der sächsische Europaabgeordnete sich am Montag zur medialen Selbstverteidigung gezwungen. Als Gesellschafter von sechs Unternehmen habe er natürlich nicht annähernd so viel verdient. Tatsächlich hätten seine Bruttoeinkünfte 2012 bei rund 52.000 Euro gelegen, 2013 bei etwa 110.000 Euro, teilte Jahr per Presseerklärung mit. Nach Abzug der Steuern könne man sich davon "gerade einmal einen modernen Traktor" anschaffen.

Dass nun statt Jahrs tatsächlicher Einkünfte die Zahl 27.000 Euro (pro Monat) durch die Medien geisterte, hat der CDU-Abgeordnete sich zumindest in Teilen selbst zuzuschreiben. Mit Jahrs Stimme hatte das Europäische Parlament im Dezember 2011 nämlich jene Veröffentlichungsregeln beschlossen, die ihm jetzt den Schlamassel bescherten.

Nach den geltenden Transparenzpflichten müssen Europaabgeordnete ihre Nebeneinkünfte in vier Einkommenskategorien (s. links) veröffentlichen, was im Fall von Peter Jahr dazu führt, dass die Bandbreite seiner Nebeneinkünfte 9.054 bis 27.000 Euro pro Monat beträgt. In der Öffentlichkeit blieb hängen: 27.000. Mit einer Komplettveröffentlichung der Nebeneinkünfte auf Euro und Cent wäre das nicht passiert - doch so viel Transparenz wollte eine Mehrheit der EU-Parlamentarier dann doch nicht.

Rund drei Jahre später sieht sich Peter Jahr als Leidtragender dieser wenig transparenten Veröffentlichungsregeln ("da wird ein falscher Eindruck erzeugt“) und präsentiert sich nun in seiner Presseerklärung als deren entschiedener Kritiker.

Auch im Bundestag schwant inzwischen einigen Abgeordneten, dass sie mit weitgehenden Transparenzregeln sehr viel besser fahren würden als mit der geltenden Zehn-Stufen-Regelung. Als abgeordnetenwatch.de im vergangenen Sommer eine Liste mit den Mindest-Nebeneinkünften aller Bundestagsabgeordneten veröffentlichte, echauffierten sich vor allem die Landwirte: Die Auflistung schaffe statt Transparenz oft nur Neid, klagte der CDU-Abgeordnete Albert Stegemann (mind. 57.500 Euro Nebenverdienst in neun Monaten). Sein Parteifreund Johannes Röring (mind. 290.500 Euro) fand, die Veröffentlichung solcher Zahlen mache "die Leute scheu". Und der CDU-Politiker Hans-Georg von der Marwitz (mind. 279.500 Euro) fragte: "Soll ich alles verkaufen, bevor ich in den Bundestag einziehe?"

Dass ausgerechnet von der Marwitz und Röring sich über die geltenden Veröffentlichungsregeln ärgerten, auf denen die Zahlen zu ihren Nebeneinkünften basierten, verwundert dann doch ein wenig: Beide Politiker hatten eben diese Regeln im März 2013 mit beschlossen (Albert Stegemann saß damals noch nicht im Bundestag).

Dabei ist die Kritik der Landwirte im Kern durchaus nachvollziehbar. Auf der Bundestagshomepage müssen sie ausschließlich ihre Bruttoeinkünfte angeben, nicht ihre tatsächlichen Gewinne. Ob ein Landwirt aber von den gemeldeten Einkünften Mitarbeitergehälter oder neue Maschinen zahlt, bekommt die Öffentlichkeit nicht mit.

Dieses Problem ließe sich leicht beheben, indem Volksvertreter ihre Steuerbescheide veröffentlichen. Einige Bundestagsabgeordnete machen dies bereits jetzt auf freiwilliger Basis, z.B. Uwe Schummer (CDU) oder Bärbel Bas (SPD).

Als Landwirt von der Marwitz im Zuge der Diskussion über die Spitzenverdiener im Bundestag anregte, die Veröffentlichung des Steuerbescheides für alle Parlamentarier zur Pflicht zu machen, stieß er bei seinen Kollegen weitgehend auf taube Ohren. Für seinen Vorschlag, so schrieb SPIEGEL ONLINE damals, fand der Brandenburger CDU-Politiker nur "wenig Unterstützung".

Anstatt sich öffentlich über die unzureichenden Verhaltensregeln zu beklagen, sollten die Abgeordneten in ihrer Fraktion darauf drängen, die bestehenden zu verbessern. Noch immer gibt es großen Reformbedarf:

  • Sämtliche Nebeneinkünfte müssen endlich Euro und Cent genau offengelegt werden. Mit der geltenden Stufenregelung lassen sich nachwievor hohe Beträge verschleiern.
  • Die Namen aller Geldgeber, von denen Abgeordnete Nebeneinkünfte beziehen, müssen veröffentlicht werden. Allein seit Beginn der Wahlperiode im Herbst 2013 sind mindestens 2,2 Mio. Euro aus anonymen Quellen an Parlamentarier geflossen.
  • Um dem berechtigen Anliegen von Freiberuflern nach mehr Transparenz bei ihren Nebeneinkünften Rechnung zu tragen, sollten Abgeordnete ihre Steuerbescheide veröffentlichen.

Was meinen Sie: Sollen Abgeordnete ihre Steuerbescheide veröffentlichen müssen? Sagen Sie uns Ihre Meinung in den Kommentaren.

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Fotos (v.l.n.r.): Peter Jahr: EVP-Fraktion / Albert Stegemann: Bernd Hempen, Lizenz: CC-BY-SA 3.0 / Johannes Röring: Frank Ossenbrink, Lizenz: CC BY-SA 3.0 / Hans-Georg von der Marwitz: Laurence Chaperon, Lizenz: CC-BY-SA 3.0

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